Blairist ist er jedenfalls keiner

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Ist Christian Kerns Text in der "FAZ" die Aufregung wert? Eine kleine Exegese.

Einen Aufsatz mit dem Titel „Europa muss wieder gerechter werden“ hätte wahrscheinlich auch Werner Faymann mit ein wenig Unterstützung von Markus Marterbauer zusammengebracht. Faymannesk muten auch Sätze an wie „Wir brauchen mehr Wachstum und wieder jene Art von Wachstum, das, wie die Gezeiten am Meer, alle Boote hebt und nicht nur ein paar wenige Yachten.“
Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Und uns den Text mit dem Titel „Europa muss wieder gerechter werden“, erschienen am Montag in der „FAZ“, noch einmal genauer ansehen.

Geschrieben hat ihn Christian Kern. Angeblich selbst. In mehreren Tranchen. Er hatte einige Tage Zeit dafür. Und immer wieder, wenn es die Zeit zuließ, ein paar Absätze verfasst. Am Ende wurde eine ganze großformatige Zeitungsseite draus.

Er hat sich jedenfalls nicht der „FAZ“ angedient. Er wurde gefragt. Die Serie „Zerfällt Europa?“, in deren Rahmen sein Essay erschien, läuft schon länger. Auch Wolfgang Schäuble, Martin Schulz und Viktor Orbán haben bereits Texte geliefert. „Ein Panoptikum der Freudlosigkeit“ wie Kern in seinem Text übrigens schreibt.

Und der Kern-Essay hätte in Routine-Zeiten wohl nicht jene Aufregung ausgelöst, die er innenpolitisch – mit Neuwahlen am Horizont – nun ausgelöst hat. Dass Kern die ÖVP nicht fragen muss, bevor er so einen Text veröffentlicht, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Und inhaltlich? Dass er neue Schulden machen will, davon steht in Kerns Text kein Wort. Allerdings: Man kann von Kerns Forderung nach neuen Investitionen darauf schließen, denn von irgendwo muss das Geld ja herkommen.

Sonst kann der Text allerdings nicht allzu sehr überraschen, wenn man mitbedenkt, dass Kern eben Sozialdemokrat ist. Er vertritt hier eine linke Mainstream-Position. Zum Vergleich: Tony Blairs Dritter Weg war nicht linker Mainstream. Kerns Weg ist es: Die Lasten aus den Gewinnen der Globalisierung müssten gerechter verteilt werden. Investitionen der öffentlichen Hand würden mehr Arbeitsplätze schaffen. Ungleichheit bremse Wachstum. Austerität schade. Konzerne wie Apple müssten mehr Steuern zahlen.

Aufklärung vs. Märkte. Nicht ganz schlau wird man aus Sätzen wie „Europa muss wieder ein Projekt der Aufklärung werden, nicht der Märkte.“ Schön ist jedenfalls der Satz: „Ich bin der Regierungschef eines kleinen Landes, und da ist man gegen Machtillusionen einigermaßen immunisiert.“

Es ist ein solider Text, auch seine Lieblingsinputgeberin, Mariana Mazzucato, darf nicht fehlen. Bezeichnend für diesen ist allerdings, dass er keine internationalen Reaktionen nach sich gezogen hat. Nur nationale. ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2016)

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