Mindestsicherung ist Chefsache

(c) APA/BARBARA GINDL
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Die Koalitionsgespräche spießen sich an einer Arbeitsverpflichtung für Bezieher des Sozialgelds. Länder befürchten einen verstärkten „Asyltourismus“ nach Wien.

Wien. Während sich SPÖ und ÖVP öffentlich einen Schlagabtausch um das Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada und den Wirtschaftskurs und eine Lockerung des Sparkurses liefern, spitzt sich in der Regierung die Kraftprobe um die Mindestsicherung zu. Nach dem Einlenken der ÖVP beim Limit von 1500 Euro im Monat – bei der Geldleistung soll es dabei bleiben, Wohnkosten können aber bei Bedarf darüber hinaus gehen – sind nun die Konsequenzen einer Arbeitsverpflichtung zur größten Hürde geworden.

Ein Indiz für die Brisanz des Konflikts: Nach Informationen der „Presse“ verhandelt nicht nur Vizekanzler Reinhold Mitterlehner mit Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) sowie ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger, sondern es wurde bereits Bundeskanzler SPÖ-Chef Christian Kern vor seiner jetzigen New-York-Reise eingebunden – ohne Erfolg. Daher vertröstete Stöger nach dem Ministerrat, ein Kompromiss brauche „noch Zeit“.

Die Zahl der Bezieher einer Mindestsicherung ist 2015 um knapp elf Prozent auf 284.000 Personen gestiegen. Wegen schlechter Jobaussichten für Asylberechtigte wird erwartet, dass 30.000 bis 40.000 neue Bezieher dazukommen. Gleichzeitig scheiden sich in der Koalition die Geister daran, wie mit einer Verschärfung durch die Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit bei der Mindestsicherung umgegangen wird.

„Ideologischer Graben“ in der Koalition

Es existiere ein „ideologischer Graben“, heißt es. Die ÖVP verlangt, dass Bezieher zuerst selbst eine Leistung durch (gemeinnützige) Arbeit und Integration erbringen, bevor sie die volle Mindestsicherung von 838 Euro für Alleinstehende im Monat erhalten. Die SPÖ will die volle Geldleistung gewähren und dann – etwa bei Verweigerung von Integration – als Sanktion die Geldleistung kürzen.

Die ÖVP hat sich auf die Linie eingeschworen, da nicht mehr nachzugeben, weil sonst ein weiterer Wählerverlust in Richtung FPÖ in den Ländern befürchtet wird. Schon jetzt wächst das Unverständnis darüber, dass Asylberechtigte ohne Einzahlungen in das Sozialsystem mehr Geld erhalten als viele Pensionisten, die jahrelang gearbeitet haben. In der SPÖ werden Kürzungen der Mindestsicherung für Asylwerber als Auftakt für weiteren Sozialabbau für Österreicher gesehen.

Bonus bei Wiedereinstieg

Einigkeit herrscht bei anderen Punkten. So sollen Bezieher einer Mindestsicherung diese für maximal sechs Monate bis insgesamt rund 1150 Euro behalten dürfen, wenn sie ein Arbeitseinkommen haben. Ebenfalls Einvernehmen auch auf Ebene der Sozialpartner gibt es, dass Unternehmen einen Integrationsbonus für eine begrenzte Zeit erhalten, wenn sie Asylberechtigte einstellen.

Die ÖVP bedrängt den Sozialminister, dieser solle endlich für Wien mit seinen SPÖ-Parteifreunden Kürzungen der Mindestsicherung vereinbaren. ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka verweist besonders auf Kürzungen in Dänemark: Sozialhilfeleistungen würden dort von umgerechnet 1454 Euro auf 797 Euro für Alleinstehende stark gesenkt; für Paare mit Kindern seien es künftig 1593 Euro statt maximal 1934 Euro. Dazu komme ein Bonus von 201 Euro bei ausreichenden Dänischkenntnissen für den Arbeitsmarkt. Die Kürzungen gelten für Personen, die, wie Flüchtlinge, in den vergangenen acht Jahren mindestens sieben Jahre im Ausland waren.

Die ÖVP-dominierten Länder rüsten für ein Scheitern einer Bundeslösung. Sie befürchten dann, wie Vorarlbergs Landeschef Markus Wallner (ÖVP) im ORF-Radio, einen „Asyltourismus“ nach Wien wegen der dort höheren Mindestsicherung. Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) bekräftigte, das Land werde 2017 notfalls im Alleingang die 1500-Euro-Grenze einführen.

AUF EINEN BLICK

Die Mindestsicherung hat im September 2010 die Sozialhilfe abgelöst. Sie macht pro Monat für Alleinstehende maximal 838 Euro aus. Im Schnitt wurden 331 Euro pro Person und Monat gezahlt. Im Vorjahr gab es 284.374 Bezieher, davon allein 56 Prozent in Wien. Das war bundesweit ein Anstieg um 10,9 Prozent gegenüber 2014. Die Gesamtkosten lagen bei 765 Millionen Euro (plus 13,7 Prozent), davon entfielen auf Wien 483 Millionen Euro. Gelingt keine Einigung über eine Lösung auf Bundesebene, gelten ab 2017 unterschiedliche Länderregelungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2016)

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