Schnizers Alleingang: Wie kam es zu der VfGH-Affäre?

 Johannes  Schnizer
Johannes Schnizer(c) Die Presse (Fabian Hainzl)
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Die Affäre um Verfassungsrichter Johannes Schnizer zieht immer weitere Kreise. Eine Chronologie der Ereignisse, wie sie sich zugetragen haben sollen.

Wien. Die Affäre um Verfassungsrichter Johannes Schnizer zieht immer weitere Kreise. Andere Verfassungsrichter versuchten laut „Presse“-Informationen am Donnerstag sogar, Schnizer zum Rücktritt zu bewegen. Zu groß sei der Schaden, den er dem Ruf des Gerichts zugefügt habe. Schnizer hat im Zuge einer eigenen Medienoffensive nicht nur das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zur Wahlaufhebung verteidigt. Sondern auch der FPÖ vorgeworfen, die Anfechtung schon vor der Wahl vorbereitet zu haben. Doch wie kam es zu der Affäre am Höchstgericht? Eine Chronologie der Ereignisse, wie sie sich zugetragen haben sollen.

1. Das Erkenntnis zur Wahlaufhebung wird gefällt. Schnizer will Kritikern in Medien kontern, kann aber noch zurückgehalten werden.

Es ist der 1. Juli, der Verfassungsgerichtshof (VfGH) entscheidet, dass die Bundespräsidentenwahl wiederholt werden muss. Das Erkenntnis zugunsten des freiheitlichen Kandidaten, Norbert Hofer, sorgt für Diskussionen. Insbesondere in grünen und linken Kreisen stellt man in der Folge die Richtigkeit des Richterspruchs in Abrede.

VfGH-Präsident Gerhart Holzinger will sich den ganzen Sommer lang nicht zu der von ihm verkündeten Entscheidung äußern. Erst nach geschlagener Bundespräsidentenwahl möchte er Stellung nehmen, um den Gerichtshof zuvor nicht in weitere politische Diskussionen hineinzuziehen. Der einfache Richter Johannes Schnizer aber will unbedingt schon früher öffentlich reden, obwohl sich nach bisheriger Usance nur der Präsident zu Erkenntnissen äußert. Den bekennenden Sozialdemokraten Schnizer wurmt es sehr, dass das Gericht nun mancherorts als willfähriger Helfer der FPÖ dargestellt wird, obwohl das Erkenntnis zur Wahlaufhebung auf einer jahrzehntealten Judikatur des Gerichtshofs fußt. Schnizer will das erklären.

Er kann grundsätzlich tun, was er will. Es gibt kein Weisungsrecht des Präsidenten gegenüber anderen Richtern. Schnizer kann aber von Holzinger und den anderen VfGH-Richtern zunächst noch überredet werden, sich in Geduld zu üben.

2. Die Wahl wird verschoben. Schnizer geht nun doch in die Medien, informiert seine Kollegen spät und stellt sie vor vollendete Tatsachen.

Schnizer will es nun, Ende September, wissen. Er gibt der Zeitschrift „Falter“, die zuvor Kritikern des VfGH-Erkenntnisses besonders breiten Raum gewidmet hat, ein Interview. Erst nach dem Interview, aber noch vor Erscheinen verständigt Schnizer seine Kollegen. Ebenso setzt er sie in Kenntnis, dass er in der „ZiB 2“ Studiogast sein wird.

Auch Stimmen aus der SPÖ sollen Schnizer durchaus dazu animiert haben, sich medial zu dem umstrittenen Erkenntnis zu äußern. Zudem wird nächstes Jahr entschieden, wer ab 2018 Präsident des Verfassungsgerichtshofs wird. Schnizer gilt als Kandidat für den Posten, mit einer Medienoffensive könnte er sich dafür in Stellung bringen.

3. Schnizer erhebt in seinen Auftritten Vorwürfe gegen die FPÖ, sagt, dass er Van der Bellen wählt. Am Gerichtshof herrscht Unmut.

Eigentlich wollte Schnizer erklären, warum die Wahlaufhebung nötig war. „Es sind nicht bloß Schlampigkeiten passiert, sondern es ist in Zehntausenden von Fällen das Wahlgeheimnis verletzt worden“, sagt er. Doch der Versuch, den VfGH aus der Schusslinie zu nehmen, misslingt, weil Schnizer noch eines drauflegt. Wohl, um zu betonen, dass das Gericht kein willfähriger Helfer der FPÖ ist, erklärt er, Alexander Van der Bellen zu wählen.

Und Schnizer wirft dem FPÖ-Kandidaten, Norbert Hofer, vor, dass dieser „offenkundig entschlossen war, den Sieg des anderen nicht zu akzeptieren“. So habe die FPÖ schon vor der Stichwahl die Anfechtung vorbereitet, sagt Schnizer im „Falter“ in Anbetracht der umfangreichen Anfechtungsschrift. FPÖ-Vertreter in der Wahlbehörde hätten nicht darauf hingewirkt, rechtmäßig vorzugehen. Am Gericht herrscht Unmut über die ohne Beweise erhobenen Vorwürfe eines Richters. Im ORF wiederholt Schnizer seine Vorwürfe, sagt aber dazu: „Vielleicht täusche ich mich.“

4. Der Verfassungsgerichtshof gerät erst recht in die politische Schusslinie. Präsident Holzinger ist verärgert.

VfGH-Präsident Gerhart Holzinger ist außer sich. Schnizer hat mit seinen Soloauftritten dem Gericht erst recht Probleme eingehandelt. Bei der Session am Donnerstagvormittag fehlt Schnizer: Er erklärt sich bei einer Verhandlung über Tiroler Agrargemeinschaften für befangen, weil die FPÖ an der Beschwerde des Tiroler Landtags beteiligt war.

Denn ebendiese FPÖ, seit Haider-Zeiten und Ortstafel-Erkenntnissen gern im Konflikt mit dem VfGH, schießt sich auf Schnizer ein. Sie fordert ihn auf, seine Äußerungen zurückzunehmen, wenngleich man ihn doch nicht klagen wolle. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache erklärt, Schnizer sei „eines Verfassungsrichters nicht würdig“. Eine Debatte um die Bestellung von VfGH-Richtern beginnt. Alle Oppositionsparteien fordern, dass das Parlament mehr mitreden darf. Momentan werden VfGH-Richter teils von der Bundesregierung bestellt (Präsident, Vizepräsident, sechs Mitglieder), teils von Nationalrat oder Bundesrat (zusammen sechs VfGH-Mitglieder). De facto wurden alle VfGH-Richter aber entweder von der SPÖ oder ÖVP nominiert.

Doch achtet der VfGH immer darauf, für politische Unabhängigkeit zu stehen. Gerade unter diesem Blickwinkel sind viele Verfassungsrichter verärgert über Schnizer und wollen seinen Rücktritt. Erzwingen kann man diesen nicht. Aber der VfGH kann einen Richter mit Zweidrittelmehrheit des Amtes entheben, wenn sich dieser durch sein Verhalten „der Achtung und des Vertrauens, die sein Amt erfordert, unwürdig gezeigt“ hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2016)

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