Sobotka/Landau: „Wir haben keinen Notstand“

Sobotka, Landau
Sobotka, Landau(c) Clemens Fabry (Presse)
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Die Gesellschaft darf nicht auseinanderbrechen, sagt Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) zum Thema Asyl. Caritas-Präsident Michael Landau warnt davor, das Asylrecht infrage zu stellen.

Herr Landau, haben wir in Österreich einen Notstand?

Michael Landau:
Wer sich umsieht, weiß, wir haben keinen Notstand. Ich war in den vergangenen zwei Jahren mehrmals im Libanon, in Jordanien, im Nordirak. Ich habe dort hungernde Kinder unter Plastikplanen getroffen, dort gibt es einen Notstand.

Herr Sobotka, Sie nicken?

Wolfgang Sobotka:
Wir haben auch keinen Notstand.

Wozu benötigen wir dann eine Notstandsverordnung?

Sobotka: Deswegen ist es auch keine Notstandsverordnung, sondern eine Sonderverordnung der Bundesregierung. Es gab auch im Vorjahr keinen Notstand, sondern eine Krise. Eine Krise der Rechtsstaatlichkeit, eine Krise der Organisationsfähigkeit, aber mit Sicherheit keinen Notstand.

Aber Sie wollen einen Teil des Asylrechts außer Kraft setzen, was nur im Fall eines Notstands möglich ist.

Sobotka: Nein, wir setzen nicht das Asylrecht außer Kraft. Sondern, wenn es eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit gibt, bekommen nur noch jene ein Asylverfahren, bei denen wir verfassungsrechtlich dazu verpflichtet sind. Alle anderen werden in jenen Nachbarstaat zurückgewiesen, aus dem sie versucht haben einzureisen.

Landau: Sie kommen aus dem Mostviertel, ich aus Wien. Wir haben weder im Mostviertel noch in Wien einen Notstand oder eine Gefahr für Sicherheit und Ordnung. Uns ist klar, einige wenige EU-Länder können nicht die Aufgaben für alle Länder bewältigen. Aber: Es wird in verschiedenen Ländern an Notstandsverordnungen oder Vergleichbarem gearbeitet. Ich vermisse die gleiche Energie bei der Arbeit an einer europäischen Solidaritätsverordnung. Wir werden letztlich keine italienische, deutsche oder österreichische, sondern nur eine europäische Lösung finden können.

Sobotka: Auch da stimme ich Ihnen zu. Ich verstehe aber einzelne Länder, wenn Europa nicht in der Lage ist, für ein gleichmäßiges Verteilen und Tragen von Lasten zu sorgen.

Verstehen Sie den Wunsch der Politik nach besserem Grenzschutz?

Landau: Wir treffen uns in dem Punkt, dass es mehr und nicht weniger Europa brauchen wird. Es wäre viel gewonnen, wenn wir gemeinsam zwei Dinge außer Streit stellen könnten. Erstens: Flucht ist kein Verbrechen und Asyl ein Menschenrecht. Und zweitens: Die Grenzen Europas dürfen keine Grenzen des Todes sein. Es stimmt mich sehr nachdenklich, wenn ich lese, dass wieder 200 Menschen auf dem Weg von Ägypten nach Europa ertrunken sind. Es wird sichere Zugänge brauchen. Dabei bin ich auch überzeugt: Nicht jeder, der Asyl beantragt, wird Asyl erhalten können. Aber jeder hat ein Recht auf ein faires, qualitätsvolles Asylverfahren.

Sobotka: Das Asylrecht ist zu einer Zeit entstanden, als es noch ganz andere Bedingungen gab. Ich halte es daher für notwendig, sich über die Strukturen des Asylrechts in unserer Zeit zu unterhalten. Es ist nicht nachvollziehbar, dass eine tschetschenische Familie, die um Asyl ersucht, nach zwei Monaten zurückfährt, um die Großmutter nachzuholen. Sobald ich in der Lage bin, in mein Heimatland zurückzufahren, kann kein Asylgrund gegeben sein.

Landau: Die Bischöfe haben gesagt, Asyl ist ein heiliges Recht. Ich würde vorsichtig sein, nach den Erfahrungen, die Europa im und nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht hat, so grundsätzliche Dinge wie das Asylrecht infrage zu stellen.

Sobotka: Das ist eine Unterstellung, ich stelle das Asylrecht nicht infrage. Ich stelle die Struktur, wie es aufgebaut ist, infrage. Wenn jemand an Leib und Leben verfolgt wird wegen seiner Rasse, seiner religiösen oder politischen Einstellung, ist Asyl zu gewähren. Das ist gar keine Frage.

Das ist das Wesen des Asylrechts. Was wollen Sie ändern?

Sobotka: Unsere Zeit lässt sich eben nicht mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichen. Das Asylrecht ist in der Abgrenzung zur Migration ganz anders zu bewerten, das stellt uns vor ungeheure Herausforderungen. Wir stehen vor der Situation, dass die Flüchtlinge zu 70 Prozent junge Männer sind, dass Jugendliche auf die Reise geschickt werden, um den Familiennachzug zu organisieren, dass sie alles wegwerfen an Identifikationspapieren, aber ihr Handy nicht. Es gibt ein Ausnutzen dieses heiligen Asylrechts. In Libyen warten viele, die nach Europa wollen. Zu 70 bis 80 Prozent sind diese Menschen nicht vor Krieg und Verfolgung geflüchtet, sondern wollen einfach ihre wirtschaftliche Situation verändern. Die Schlepper sagen ihnen, ihr kommt am besten in Österreich unter, wenn ihr einen Asylantrag stellt.

Landau: Wer Schleppern das Handwerk legen will, muss Menschen sichere Zugänge zu Asylverfahren eröffnen. Da gab es in der Vergangenheit Instrumente, etwa das Botschaftsverfahren. Ich glaube, dass Lösungen sich an den Geboten der Humanität orientieren müssen, weil es zuallererst um Menschen geht, die Dramatisches hinter sich gebracht haben und die ein Recht darauf haben, dass sie auch wie Menschen behandelt werden.

Sobotka: Jeder möchte dem anderen helfen, wenn er in Gefahr ist. Das ist auch heute noch so. Aber wir können es nicht schaffen, wenn wir keine Grenzen setzen. Und solange die Europäische Union nicht in der Lage ist, die Außengrenze wirksam zu schützen, so lang brauchen wir diese Hilfsmaßnahme. Ich bin todunglücklich darüber, aber sonst bricht unsere Gesellschaft im Inneren auseinander. Meine Sorge ist, wie das zusammenzuhalten ist.

Verstehen Sie diese Sorge?

Landau: Ja, auch wenn manches geschürt wird. Aber angesichts der Hilfsbereitschaft im vergangenen Jahr glaube ich zugleich: Bei einer Partei, die immer stolz auf ihre christlichen Wurzeln war, sollte es ein Stück Nachdenklichkeit auslösen, wenn viele Menschen in Österreich versuchen, Werthaltungen gerade auch in schwierigen Situationen zu leben.

Sobotka: Die Zivilgesellschaft hat Werthaltungen durchgehalten, und jeder von uns ist ein Teil dieser Zivilgesellschaft. Wichtig ist für uns aber auch, dass wir nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft beitragen. Ich möchte keine Situation wie in Deutschland, wo Asylheime brennen, ich möchte nicht eine Situation wie in Frankreich, wo ganze Stadtteile nicht mehr begehbar sind, ich möchte keine Ghettoisierung, und vor allem möchte ich kein aggressives Aufeinanderlosgehen der unterschiedlichen Standpunkte. Österreich nimmt heuer wieder die zweithöchste Anzahl an Asylwerbern auf. Wenn wir die nicht integrieren können, dann tun wir den Menschen auch nichts Gutes. Das ist nicht unchristlich. Man kann nicht verlangen, dass wir all das schultern, was an Weltunheil passiert.

Landau: Deshalb sage ich auch, Österreich hat im Vorjahr Großes geleistet. Einige wenige Länder können die Aufgabe nicht für alle anderen auf Dauer übernehmen. Aber ich halte es für schwierig, jetzt auf nationalstaatliche Kraftmeierei zu setzen und zu sagen, künftig sollen die Aufgaben von Griechenland, Italien und Spanien bewältigt werden. Aber ich bin bei Ihnen, was das Thema Integration betrifft. Ich lade Sie ein, in eine unserer Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu kommen. Die sagen selbst, wir müssen die Kultur lernen, die Sprache lernen. Wer mit den Jugendlichen spricht, weiß, sie haben oft Dramatisches erlebt. Erfahrungen, die wir uns gar nicht vorstellen können und wollen. Ich nehme wahr, wie viele Österreicher in dieser Situation bereit sind, da zu sein. Das ist das Potenzial an Anständigkeit, das im Grunde in jedem von uns steckt. Ich würde mir wünschen, dass auch die Politik dieses Potenzial stärkt und nützt.

Sobotka: Da bin ich ganz bei Ihnen. Sie kämpfen um die Solidargesellschaft im Individuellen, und ich kämpfe um die Solidargesellschaft im Strukturellen. Das Strukturelle ist meine Verantwortung des politisch Agierenden, jene der Caritas, wie ja schon der Name sagt, die direkte Hinwendung zum Einzelnen.

Sie akzeptieren diese Rollenaufteilung?

Landau: Das Konzil sagt ganz klar, man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist. Der Bau an einer gerechteren Gesellschaft ist immer auch Caritas-Auftrag.

Sobotka: Aber...

Landau: ... Zweites Vatikanum, Apostolicam actuositatem Nummer acht, um genau zu sein.

Sobotka: Wenn das der kirchliche Anspruch ist, ist das in Ordnung, das unterstütze ich auch. Aber ein Rechtssystem baut nie auf dem einzelnen Schicksal auf, sondern immer auf der normativen Situation. Der Auftrag der Caritas in der Einzelbetreuung ist für mich ein ganz wesentlicher. Wenn Sie interessiert sind, strukturell mitzuwirken: Was machen Sie in der Prävention, um Brände in Flüchtlingsheimen zu verhindern, unversöhnliche Standpunkte aufzulösen, ohne zu sagen, ihr habt unrecht. Man kann sagen: Da sind die, die es gut meinen, und da sind die Rechtsbrecher. Ich nehme auch die ernst, die vorurteilsbeladen sind, Sorgen und Ängste haben. Weil die sind auch Teil unserer Gesellschaft.

Landau: Ich glaube, wir brauchen so etwas wie eine doppelte Integration, eine Integration der Menschen, die jetzt zu uns kommen, aber auch eine Integration der Menschen, die Sorge haben, die das Gefühl haben, jetzt wird auf ihre Not vergessen – auf Themen wie Arbeitslosigkeit oder Pflege. Wir müssen auf die einen wie die anderen Menschen achten. Kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch.

Steckbrief

Wolfgang Sobotka war jahrelang Stellvertreter des niederösterreichischen Landeshauptmanns, Erwin Pröll, und galt als dessen Kronprinz. Seit April ist der 60-Jährige Innenminister. Vor seiner politischen Karriere war er AHS-Lehrer und Leiter der Musikschule in seinem Heimatort Waidhofen an der Ybbs.

Michael Landau ist seit 2013 Präsident von Caritas Österreich. Der 56-Jährige studierte in Wien Biochemie und trat erst während seiner Studienzeit in die katholische Kirche ein. 1986 trat er in das Priesterseminar ein und studierte Philosophie und Katholische Theologie. 1995 übernahm er die Leitung der Caritas Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2016)

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