Rot-schwarzer Konflikt bei Mindestsicherung spitzt sich zu

THEMENBILD: MINDESTSICHERUNG
THEMENBILD: MINDESTSICHERUNG(c) APA/BARBARA GINDL
  • Drucken

Eine bundesweit einheitliche, strengere Regelung ist wieder in die Ferne gerückt. Rot-schwarzer Hauptkonfliktpunkt ist eine niedrigere Leistung für Asylberechtigte.

Wien. „So geht seriöse politische Arbeit nicht“, wetterte Sozialminister Alois Stöger (SPÖ). „Er [Stöger] hat in der Form nicht recht, ich verstehe auch nicht, so in die Öffentlichkeit zu gehen“, konterte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. Nach monatelangen Verhandlungen ohne Einigung über eine bundesweite Neuregelung eskalierte am Donnerstag der Streit in der Regierung. Stöger sah die Schuld bei der Bundes-ÖVP und Mitterlehner, der eine Kompromisslösung in seiner Partei in den Bundesländern nicht durchgebracht habe. Die ÖVP solle „sich am Riemen reißen“. Mitterlehner wies die Darstellung zurück und warf Stöger vor, dieser habe das rot-grüne Wien nicht für eine Neuregelung ins Boot holen können. Die Verantwortung für eine Einigung mit den Ländern liege beim Sozialminister.

Eine österreichweite Lösung bei den Voraussetzungen und beim Vollzug der Mindestsicherung, die ab Beginn des kommenden Jahres notwendig wäre, droht damit zu scheitern. Die Haupthürde dafür ist, dass sich SPÖ und ÖVP nicht auf ein Modell einigen können, ob und in welcher Form es Kürzungen für Asylberechtigte bei der Mindestsicherung, die für Alleinstehende bisher maximal 837 Euro ausmacht, geben soll.


ÖVP-Modell: Die ÖVP verlangt, dass es für Menschen, die in den vergangenen fünf Jahren nicht ihren rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich hatten, nur eine niedrigere Mindestsicherung in der Höhe von maximal 560 Euro im Monat inklusive 40 Euro Taschengeld (Mindestsicherung 1) ausbezahlt wird. Auf die volle Höhe von maximal 837 Euro (Mindestsicherung 2) monatlich sollen Betroffene erst nach fünf Jahren kommen, sie müssen auch den Nachweis für Integrationsmaßnahmen wie Deutsch- und Wertekurse erbringen. Das Modell gilt grundsätzlich für jeden, betrifft aber vor allem Asylberechtigte. Die ÖVP argumentiert das mit den steigenden Kosten für die Mindestsicherung und dem Umstand, dass Tausende Asylberechtigte ohne Arbeit zusätzlich dieses Sozialgeld in Anspruch nehmen werden.


• SPÖ-Modell: Für die SPÖ und Sozialminister Stöger kommt eine Art Wartefrist von fünf Jahren für Asylberechtigte mit lediglich einer niedrigen Mindestsicherung nicht infrage. Er hat eine Variante in die Verhandlungen eingebracht, die auch Asylberechtigten sofort die Auszahlung der vollen Höhe der Mindestsicherung bringen würde. Davon wären 520 Euro Sozialgeld, dazu kommen fix 317 Euro als Integrationshilfe. Bei Stögers Modell würde eine Kürzung erst im Nachhinein erfolgen, wenn Integrationsmaßnahmen nicht erfüllt würden. Der Vollzug soll dann streng kontrolliert werden inklusive Kürzungen als Sanktion. Der Sozialminister beruft sich darauf, dass das schwarz-grün regierte Vorarlberg mit einer Integrationsvereinbarung, die Bezieher zuerst unterschreiben müssen, ähnlich vorgeht.


• Deckelung: Beim zweiten Hauptstreitpunkt zwischen den Regierungsparteien, einer Begrenzung der Mindestsicherung für Familien mit maximal 1500 Euro im Monat, gab es hingegen tatsächlich eine weitgehende Annäherung an einen Kompromiss. Stöger und die SPÖ sind nach anfänglichem Widerstand bereit, einer Obergrenze von 1500 Euro, in die auch ein Viertelanteil als Wohnleistung schon eingerechnet ist, für arbeitslose Bezieher der Mindestsicherung zu akzeptieren. De facto wären dies 1125 als Barleistung, der restliche Betrag wäre für die Wohnung. Ausnahmen etwa für Menschen mit Behinderung waren vorgesehen. Für die ÖVP kommt aber eine Neuregelung erst bei einer umfassenden Reform – auch für Asylberechtigte – in Betracht.
Gemeinnützige Tätigkeit: Keine Einigkeit gibt es außerdem darüber, dass die ÖVP Asylberechtigte für eine begrenzte Stundenanzahl für gemeinnützige Tätigkeiten heranziehen möchte. Das war bereits einer der Punkte, an denen das Integrationspaket gescheitert ist.


• Wohnsitzpflicht: Stögers Kompromissvariante beinhaltet auch die Einführung einer Wohnsitzpflicht für arbeitslose Asylberechtigte mit Mindestsicherung. Sie müssten im jeweiligen Bundesland bleiben, das würde vor allem Wien entlasten. Für die ÖVP ist das erst der nächste Schritt, sie knüpft das an eine Gesamtreform der Mindestsicherung.


In zwei ÖVP-dominierten Ländern werden, weil eine Einigung für eine bundesweite Lösung aussteht, Verschärfungen für Asylberechtigte geschaffen. In Oberösterreich gilt seit Juli ein Modell mit 355 Euro im Monat (plus 40 Euro Taschengeld), dazu kommt ein Integrationsbonus von 155 Euro, wenn Integrationsmaßnahmen nachgewiesen werden. Niederösterreich bereitet ab 2017 nach dem ÖVP-Modell eine Wartefrist von fünf Jahren auf die volle Mindestsicherung vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.