Ein Stück über Nicht-Besitz, Besitz und alles dazwischen

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Volx/Margareten. Was haben wir, wer sind wir? Stefan Wipplingers „Hose Fahrrad Frau“ begeisterte in Holle Münsters verspielter Inszenierung.

Ohne was können wir nicht leben, worauf können wir problemlos verzichten? Gehört uns wirklich, was wir haben? Kann man alles kaufen, kann man alles auch tauschen oder leihen? Und was von dem, was wir haben oder nicht haben, macht uns zu dem, wer wir sind? „Im Grunde ist eine Identität auch bloß ein Bündel Sachen. Völlig austauschbar“, sagt ausgerechnet derjenige, der nichts hat, der nichts haben will, ein Sandler, gespielt von Stefan Suske. Er hat sich von allem materiellen Besitz befreit, lässt sich im schwarzen Federmantel über langer weißer Unterwäsche durch die Szenen treiben und nimmt dabei neue Figuren mit jeder Perücke, jedem falschen Bart, den er aufsetzt, an. Er ist der freie, ungebundene Spieler in einer Welt, in der die anderen verzweifelt ihren Platz suchen.

Mit den unterschiedlichsten Ausformungen von Besitz und Nichtbesitz beschäftigt sich „Hose Fahrrad Frau“, das am Freitag im Volx/Margareten als Koproduktion mit dem Max Reinhardt Seminar seine Uraufführung hatte. Es ist das erste abendfüllende Stück des jungen oberösterreichischen Dramatikers Stefan Wipplinger, der seit 2011 in Berlin lebt und in einer Großstadt wie dieser auch seine episodenhaft ineinandergreifenden Geschichten ansiedelt. Dass sein Text die eindeutige Aussage verweigert, hat Wipplinger selbst eingeräumt. Vielmehr streift er komplexe Themen gewitzt an und erzählt die Geschichten hinter den Konflikten, von denen manche gern als „first world problems“ abgetan werden: Da gibt es den verloren wirkenden Ehemann (Lennart Lemster), der, wie seine Frau meint, zu sehr an seinen Kleidern hängt und doch zumindest eine Hose in ein Spendenlager bringen soll. Seiner Frau (Alina Ilonka Hagenschulte) hingegen fehlt etwas: Sie will ein Kind, und weil ihre eigene nicht funktioniert, will sie sich die Gebärmutter ihrer Freundin ausborgen. Diese (Carolin Knab) wiederum verliebt sich in denjenigen (Manuel Ossenkopf), mit dem sie eigentlich nur die Wohnung tauschen wollte. Und einer der Flüchtlinge, die sich auf dem Bahnhof um Kleidung anstellen, (Enrique Fiß) sucht währenddessen seine Schwester. Sie wurde einst von einem weißen Mann gekauft und fristet jetzt ein Leben in unglücklicher Zwangsehe.

Mensch wird zu Stehlampe

Gekaufte Menschen und Gegenstände, für die man ähnliche Gefühle wie für seine Mitmenschen hat: Wie um diese Idee zu unterstreichen, lässt Regisseurin Holle Münster die Darsteller – die meisten sind Schauspielstudenten – zwischendurch auch unbelebte Objekte darstellen. Da formt sich das streitende Ehepaar plötzlich zu den Schwingtüren einer Bar, Schauplatz der nächsten Szene, an anderer Stelle werden Menschen – voller Leichtigkeit und Ausdruckskraft – zu Stehlampen, Büchern, Fahrrädern, einem Bärenfell auf dem Boden. Dann purzeln oder staksen sie wieder marionettenhaft in ihren schwarz-weißen Kostümen zwischen Trainingsanzug und Businesslook über die bis auf ein (laufendes) Fließbandgerät leere Bühne, lassen wilde Mimik spielen und schauen mit großen Augen ins Publikum: Die ungezähmte Spielfreude der (Nachwuchs-)Darsteller und Münsters verspielte, einfallsreiche Inszenierung machte den Abend zu einem großen Vergnügen.

Verbindendes Element aller Erzählstränge ist der Obdachlose, der immer wieder in verschiedenen Verkleidungen auftaucht, um orakelhaft Lebensweisheiten von sich zu geben und die anderen gedanklich herauszufordern. Das Ende kann man optimistisch oder verräterisch deuten, furchtlos ist es jedenfalls: Steht da doch wirklich ein Spiegel auf der Bühne, Horror jedes abergläubischen Theatermachers! Hier trübt er das Glück nicht: Das Premierenpublikum bedachte die kurzweilige Vorstellung mit Jubelrufen und lang anhaltendem Applaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2016)

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