Mindestsicherung: Wien will den Flüchtlingszustrom bremsen

Gegenmaßnahme von Wiens Stadträtin Wehsely.
Gegenmaßnahme von Wiens Stadträtin Wehsely. (c) Die Presse/Clemens Fabry
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Wien rüstet für Verschärfungen auf: Eine Wartefrist soll Zuzug von Beziehern aus anderen Bundesländern eindämmen.

Wien. Im Konflikt um die Mindestsicherung ist jetzt die nächste Stufe erreicht. Weil die Bundeshauptstadt schon bisher mit 180.000 Beziehern der Mindestsicherung die Hauptlast trägt, bereitet Wien eine Gegenmaßnahme wegen des drohenden Scheiterns einer bundesweiten Neuregelung vor. Es ist eine Mindestaufenthaltsdauer geplant, bevor eine Person in Wien Mindestsicherung erhält. Vorerst ist freilich von einer „möglichen“ Maßnahme die Rede. Diese soll jedenfalls dem Ansturm von Empfängern der Mindestsicherung aus anderen Bundesländern vorbeugen und würde zwar grundsätzlich alle, besonders aber Asylberechtigte treffen.

Der Haken: Wien kann und will, wie im Rathaus erläutert wird, Personen, die trotz dieser Wartefrist zuziehen wollen, nicht generell abweisen: Offen bleibt, wovon Betroffene dann leben. Genauere Details – auch zur Mindestaufenthaltsdauer – liegen nicht vor: „Wir sind zweifellos noch nicht so weit, dass wir ein fertiges Paket auf den Tisch legen können“, heißt es im Büro von Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ). Derzeit gibt es eine Regressregelung der Länder: Lebt jemand in den letzten sechs Monaten vor Gewährung der Mindestsicherung mindestens fünf Monate etwa in Oberösterreich und beantragt im ersten Monat nach dem Umzug in Wien Sozialgeld, kann sich Wien das Geld via Regress von Oberösterreich holen. Bei einem Antrag nach dem ersten Monat nicht mehr. Aber auch ein künftiger Regress wäre bei einer Mindestaufenthaltsdauer offen.

Ohne Gegenplan noch attraktiver

Der Grund für die Wiener Aktion ist klar: Wien möchte nicht tatenlos zusehen, während speziell in den beiden großen ÖVP-dominierten Bundesländern Niederösterreich und Oberösterreich strengere Regeln beim Bezug der Mindestsicherung für Asylberechtigte eingeführt werden. Denn die Folge wäre, dass Wien noch attraktiver als Wohnsitz für anerkannte Flüchtlinge, aber auch Österreicher, die Sozialgeld erhalten, würde. Mit den Überlegungen, die Stadträtin Wehsely (SPÖ) am Freitag im ORF-Radio geäußert hat, versucht Wien nun seinerseits, den Druck auf die Bundesländer zu erhöhen, um doch rechtzeitig ab 2017 eine Lösung für eine österreichweite Neuregelung zu erzwingen.

Sie wirft der ÖVP ein „perfides Spiel“ vor. Denn Ziel der Verschärfungen sei, dass noch mehr Menschen in die Großstädte ziehen. Dann würde man erst recht auf Wien zeigen und sagen: „Wahnsinn, dort sind so viele Mindestsicherungsbezieher.“ Wien werde „nicht als trauriges Opfer dastehen und nichts tun“. Am liebsten wäre der Stadtregierung nicht nur eine bundesweite Neuregelung, sondern auch die Einführung einer Wohnsitzpflicht, damit anerkannte Flüchtlinge im jeweiligen Bundesland bleiben müssen. Dieses Vorhaben von Sozialminister Stöger scheitert daran, dass die ÖVP dies an Verschärfungen des Sozialgeldes knüpft.

Im Vorjahr lebten rund 180.000 von insgesamt 284.000 Beziehern der Mindestsicherung in Wien. Heuer wird in Wien ein Anstieg auf 198.000 Empfänger erwartet. Das Budget wurde daher nachträglich um 130 Millionen auf 664 Millionen Euro aufgestockt. Wien weist im Gegensatz zu anderen Bundesländern aus, dass im Vorjahr 31.505 Asylberechtigte oder subsidiär Schutzberechtigte Mindestsicherung erhalten haben. Heuer kamen insgesamt 6420 Erstbezieher dazu – vor allem auch durch Zuzug aus anderen Bundesländern. Mehr als der Hälfte (54 Prozent) der Erstbezieher betrafen Asylberechtigte, die aus einem anderen Bundesland nach Wien kamen. Genau das möchte Wien nun bremsen.

Stöger verhandelt wieder mit Ländern

Im Sozialministerium zeigt man „Verständnis“, dass sich Wien mit einem derartigen Plan für den Fall rüstet, dass es ab Anfang 2017 keine Bundeslösung gibt und einige Länder Verschärfungen umsetzen. Um seinen Willen für eine bundesweite Neuregelung zu dokumentieren, wird Stöger nun erneut mit den Sozialreferenten der Länder verhandeln. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler trat im Gespräch mit der Austria Presse Agentur nun für Verhandlungen ohne die Bundes-ÖVP ein. Sollte sich diese wieder einbinden wollen, würde Stöger dies aber nicht ablehnen. Vorerst begrüßt die ÖVP das Gespräch mit den Ländern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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