Faymanns langer Schatten

Werner Faymann hat ein Erbe hinterlassen, das nun Michael Häupl unter extremen Druck bringt, seine eigene Nachfolge zu regeln.
Werner Faymann hat ein Erbe hinterlassen, das nun Michael Häupl unter extremen Druck bringt, seine eigene Nachfolge zu regeln.Michael Gruber / EXPA / picturedesk.com
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Der Aufstand in der Wiener SPÖ wurzelt im ungeklärten Richtungsstreit unter Werner Faymann, in den die Häupl-Nachfolge hineinspielt. Dieser könnte nun den SP-Vorsitz abgeben.

Selbst altgediente Genossen, die noch Bruno Kreisky persönlich erlebt haben, können sich nicht erinnern, jemals derartige Szenen erlebt zu haben. Fassungslos wird beobachtet, wie in der Wiener SPÖ, der bedeutendsten roten Landespartei, völlig entfesselt ein Richtungsstreit tobt. Und den Säulenheiligen der Wiener SPÖ, Michael Häupl, nach mehr als 20 Jahren uneingeschränkter Herrschaft in der SPÖ so massiv beschädigt, dass nicht mehr diskutiert wird, ob – sondern wann er zurücktritt.

In dieser erbitterten Auseinandersetzung geht es um ein Konglomerat dreier Dinge: den Kurs der Partei in der Frage von Zuwanderung, Asyl, Mindestsicherung, die unter Werner Faymann aufgeflammt und ungelöst an Christian Kern übergeben wurde – damit verbunden die Frage nach dem Umgang mit der FPÖ. Untrennbar mit dem Richtungsstreit gekoppelt ist dazu die Frage der Nachfolge von Michael Häupl. Und auch die Eigeninteressen verschiedener Personen, sei es aus Rachegefühlen für die Demontage von Werner Faymann oder Machtstreben, verschärfen die ohnehin kaum mehr übersichtliche Situation. Das führte dazu, dass am Wochenende unklar war, was bei der Sitzung des SPÖ-Parteivorstandes („Wiener Ausschuss“) am Montag passieren wird.

Zwar hatte Häupl am Donnerstag noch gemeint: Man werde im Jänner eine Arbeitstagung zu inhaltlichen Themen abhalten. Aber das gilt nicht mehr – nachdem es heftigen Widerstand der roten Rebellen gab, welche die Partei im freien Fall sehen, eine sofortige Entscheidung fordern und ihre Anliegen nicht in eine Arbeitsgruppe irgendwann in den Jänner verräumen lassen wollen: „Das ist inakzeptabel, weil die öffentlichen Diskussionen sonst bis Jänner in voller Härte weitergehen würden.“ Die Rebellen fordern als Minimum den Rücktritt von Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely, Galionsfigur der Willkommenskultur. Begründet wird das auch mit zahlreichen Problemen und Missständen in ihrem Ressort – Stichwort: Spital Nord, Ärztestreiks, unangenehme Rechnungshofberichte über den Krankenanstaltenverbund (KAV), für den Wehsely politisch verantwortlich ist.


Druck wurde zu groß. Während Häupl am Donnerstag das Szenario eines parteiinternen Aufstands nonchalant kommentiert hatte, klang er 48 Stunden später völlig anders. Vor der Vorstandssitzung am Montag stellte er in einem „Profil“-Interview eine Lösung in den Raum – offenbar als Angebot an die Rebellen: eine Trennung des Parteivorsitzes vom Bürgermeisteramt, die bereits in den vergangenen Tagen kursiert war: „Unter Helmut Zilk war es getrennt. Unter mir wurden Bürgermeisteramt und Parteivorsitz wieder vereint. Das muss nicht so bleiben, auch die Trennung war ein Erfolgsmodell.“ Nachsatz: Spätestens im Jänner würde entschieden, ob diese Variante tauglich sei.

Nach Informationen der „Presse am Sonntag“ war dem Bürgermeister nicht mehr viel übrig geblieben. „Wir haben acht bis zwölf Bezirke“, war in den Kreisen der Rebellen postwendend zu hören, als der Bürgermeister den Konflikt offiziell in eine Arbeitsgruppe im Jänner vertagt hatte: „Und sechs Bezirke reichen, um den Landesparteitag von Herbst 2017 auf Jänner vorzuverlegen, um dann über Personalentscheidungen abzustimmen.“ Niemand wolle an dem Sessel des Bürgermeisters sägen, man stehe grundsätzlich hinter Häupl, wird in Rebellenkreisen beteuert: Aber wenn es am Montag keine Konsequenzen gebe, Häupl sich auf die Seite von Sonja Wehsely stelle und es kein klares Signal für deren Ablöse gebe, werde man den Parteitag vorziehen, war zu hören: „Und dann könnte nicht nur Sonja Wehsely zur Disposition stehen.“ Man werde „sicher nicht“ tatenlos zusehen, wie der desaströse Zustand der Partei bis zum Herbst 2017 verlängert würde, während die FPÖ-Umfragewerte immer weiter stiegen. Ein Genosse meint erschüttert: „Die Demontage von Michael Häupl beginnt wie jene von Werner Faymann – mit der Diskussion über die Vorverlegung des Parteitages.“

Das Klima zwischen den Fraktionen könnte jedenfalls nicht vergifteter sein. In einem Medienbericht wurden (auf Basis von Detailinformationen aus dem linken SPÖ-Flügel) die roten Rebellen ausschließlich als „Rache für Faymann“-Fraktion dargestellt, deren einzige Motivation die Rache für den Verlust von Geld und Posten nach der Demontage des Kanzlers ist.

Man wisse, wer in der SPÖ diese „letztklassige Aktion“ in den Medien lanciert habe, heißt es bei den Rebellen. Dort wird betont, dass die ehemaligen Faymann-Vertrauten nur ein Teil der Rebellen sind: „Oder glaubt jemand ernsthaft, dass die Gewerkschaft eine Refugees-Welcome-Linie wie jene von Sonja Wehsely mitträgt?“ Außerdem müsse man nur schauen, wer sich bisher zu Wort gemeldet habe. Das waren beispielsweise Proponenten, die in den Bezirken Liesing, Donaustadt, Floridsdorf, Simmering, Döbling, Favoriten und Hietzing verankert sind.

Die engste Vertraute von Werner Faymann hielt sich bisher auffällig zurück. Kein Wunder, dass deshalb der Name von Nationalratspräsidentin Doris Bures kursiert. Würde die engste Vertraute von Werner Faymann als Wiener Bürgermeisterkandidatin positioniert, würde das allerdings ebenso einen Aufstand in einem großen Teil der Partei nach sich ziehen. Wobei Häupl am Samstag sowieso Gerhard Zeiler ins Spiel gebracht hatte.

Der Konflikt

Jänner 2016. Die Ergebnisse des Bundes-Asyl-Gipfels werden von den Wiener Stadträtinnen Sonja Wehsely, Sandra Frauenberger und Renate Brauner harsch kritisiert. Und damit Michael Häupl, der das Ergebnis mitpräsentiert hat. Erstmals in der Ära Michael Häupl gibt es eine öffentliche, aus der Wiener SPÖ kommende, Kritik am Bürgermeister.

Jänner bis Mai. Gegenseitige Rücktrittsaufforderungen der beiden Parteiflügel, die auch Werner Faymann treffen.

Mai 2016. Kanzler Werner Faymann tritt zurück. Der Konflikt über eine strengere oder weichere Linie bei Zuwanderung und Asyl hatte zuvor von Wien aus auf die Bundesebene übergegriffen.

November 2016. Nachdem der Konflikt über Monate eskaliert ist, trotz Appelle nach einem Machtwort Häupl nicht eingriff, fordern rote Rebellen eine Entscheidung – über den Kurs der Partei und die Personen, die diesen Kurs tragen. Sie fordern damit von Häupl, dass er seine Nachfolge jetzt regelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2016)

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