Wolfgang Sobotka: Der Unterschätzte

APA/ROBERT JAEGER
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Er gilt als Poltergeist aus dem Hause Niederösterreich, zuständig für die Polizei, das Fremdenwesen und nun auch die Bundespräsidentenwahl. Dabei ist Innenminister Wolfgang Sobotka der Schöngeist dieser Regierung.

Leonard Bernstein. Der Innenminister gerät ins Schwärmen. 1986 war das. In Salzau in Schleswig-Holstein. Beim deutschen Dirigenten Justus Frantz. Dieser hatte Nachwuchstalente um sich versammelt und ihnen Lehrstunden mit Leonard Bernstein vermittelt. „Le Sacre du Printemps“ stand auf dem Programm, Igor Strawinskys schwieriges Werk, das bei der Uraufführung noch einen Skandal auslöste. „Bernstein hat nicht einfach nur dirigiert, das war ein choreografisches Gesamtkunstwerk, ein ganz eigener Groove“, erinnert sich Sobotka. Zwei Flaschen Whiskey – „oder war es Cognac?“ – habe der Maestro während dieser Probe mit dem Nachwuchs ausgetrunken.

„Letztlich hatte ich zu wenig Talent für die ganz große Karriere. Und die Ochsentour war mir auch zu beschwerlich.“ Dennoch hat Wolfgang Sobotka Tourneen absolviert, an Wettbewerben teilgenommen, CDs herausgegeben. Heute noch dirigiert er das Kammerorchester von Waidhofen/Ybbs, seiner Heimatstadt.

Ein Bernstein wurde aus Wolfgang Sobotka nicht. Dafür ein Innenminister. Einer wider Willen. Er war Teil einer Rochade, die Erwin Pröll ausgeheckt hatte: Johanna Mikl-Leitner aus dem Innenministerium nach Niederösterreich, Wolfgang Sobotka aus Niederösterreich ins Innenministerium. Es galt, Sobotka als kommenden niederösterreichischen Landeshauptmann zu verhindern.

„Grundsätzlich traut man ja niemandem zu, gegen den Willen Erwin Prölls seine Ziele durchzusetzen. Aber bei Wolfgang Sobotka wäre ich mir da nicht so sicher“, meint Dennis Beck, der langjährige Leiter der Aids-Hilfe Wien und heutige Geschäftsführer der Wiener Gesundheitsförderung. Der bekennende Sozialdemokrat ist mit Sobotka in Waidhofen aufgewachsen. „Er war ein wilder Hund damals, rebellisch, aber er ist schon in der Schule hervorgestochen.“ Ein Kind aus dem Bildungsbürgertum, der Vater Hochschullehrer für Gesang. Als Bürgermeister von Waidhofen habe Sobotka dann etwas gemacht aus der Stadt, so Beck. Er sei durchsetzungsstark, geschickt und könne gut mit Leuten umgehen.

Dirigieren hat Wolfgang Sobotka am Linzer Brucknerkonservatorium gelernt. Er hat Violoncello und Musikpädagogik studiert. Und Geschichte. Der Grund dafür sei sein „persönliches Herkommen“ gewesen. Der Großvater sei ein illegaler Nationalsozialist gewesen, einer „reinsten Wassers“, das habe später die Familie und auch ihn sehr belastet. Er wollte verstehen, wie es dazu kommen konnte. Zwei Jahre lang habe er dann auch im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes mitgearbeitet.

„Wenn ich einen Telefonjoker für die ,Millionenshow‘ bräuchte, ich würde Wolfgang Sobotka anrufen“, sagt Iris Müller-Guttenbrunn, viele Jahre Sprecherin im Innenministerium, heute Kommunikationschefin der Wiener ÖVP. Auch sie stammt aus Waidhofen/Ybbs. Sobotka sei es gewesen, der sie seinerzeit für Politik begeistert habe.

Ein universal Denkender. Ob er sich als Intellektuellen bezeichnen würde? „Nein“, sagt Wolfgang Sobotka. Er sei ein „universal denkender Mensch“, keine wirkliche Koryphäe auf einem bestimmten Gebiet, aber eben an vielem interessiert. „Von überall ein bisschen etwas. Nicht immer so in die Tiefe wie notwendig.“

Auf YouTube findet sich ein Video vom Oktober diesen Jahres, das Sobotka auf der deutschen „Blumeninsel“ Mainau im Bodensee zeigt. Ein Abstecher vom EU-Ministerrat, um dort einen Vortrag über Gärten und deren Bedeutung für Europa zu halten. Richtig gelesen. Gärten. Woher sein Faible dafür rührt? Er habe schon als Umweltlandesrat in Niederösterreich viel mit dem Thema zu tun gehabt, bei einer Reise nach England sei dann seine Leidenschaft für Landschaftsgärtnerei geweckt worden, die er nun auch bei sich zu Hause auslebt.

Seinen Vortrag in Mainau nützte er auch für Querverweise zu seiner eigentlichen Tätigkeit: der Garten als Heimat, der Platz für Reflexion, der auch Sicherheit gibt in seiner Begrenztheit. In der Flüchtlingspolitik gilt Wolfgang Sobotka als Hardliner. Auch Kritik aus dem sogenannten Caritas-Flügel der ÖVP ficht ihn nicht an. „Bei jenen, die immer die christlich-soziale Moral vor sich hertragen, sollte man vorsichtig sein.“ Die Vertreter der NGOs sähen vielfach nur die Einzelschicksale – „was man ihnen auch nicht verdenken kann“ –, aber eben nicht das große Ganze. Und Menschen, die zu uns kämen, dann nicht integrieren zu können, sei nicht christlich.

Sobotka nennt sich selbst einen religiösen Menschen. Er habe zum Glauben zurückgefunden. Ein befreundeter Priester sei ihm auch in jenen dunklen Stunden beigestanden, als seine Frau starb, mit der er vier Kinder hat. Das war 1999. Sobotka ringt nach Worten, wenn er darüber spricht.

„Das Leben ist so. Solch ein Schicksal erfahren Hunderte andere auch“, versucht er zu relativieren. Heute ist er wieder verheiratet, mit seiner jetzigen Frau hat er auch vier Kinder. Wie er das macht mit der Familie? In erster Linie kümmere sich die Frau darum, am Wochenende mache er dann, was er könne. Eine Tochter ist behindert und sitzt im Rollstuhl.

In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Wolfgang Sobotka als rauer Polterer niederösterreichischer Schule. Er sei aber schon ruhiger geworden, sagt er, bemühe sich, allzu laute Töne zu vermeiden. Eine schlechte Nachrede wird ihm bleiben: Landesgelder verspekuliert zu haben. Von einer Milliarde Euro Verlust spricht der Rechnungshof. Sobotka widerspricht energisch: Die von ihm als Landesrat veranlagten Wohnbaugelder hätten immer wieder Gewinn abgeworfen, in manchen Jahren halt nicht so hohe wie zuvor erwartet. Zudem liefen die Fonds ja noch weiter.

Spott und Häme erntete Sobotka im September diesen Jahres, als er die Verschiebung der Bundespräsidentenstichwahl bekannt geben musste. Erst recht, als er anregte, die Wahl schon am 27. November abzuhalten, weil es rund um den 4. Dezember zu viele Nikolofeiern gebe. Sobotka zum Rücktritt aufzufordern, gehörte in den Sozialen Medien zum guten Ton.

Als Politiker müsse man das aushalten, sonst dürfe man nicht Politiker werden, sagt der Innenminister. In seinen Anfängen bei der ÖVP sei er als „Kryptokommunist“ beschimpft worden. Und warum wird man Politiker? „Nicht, um zu gefallen, sondern um etwas bewegen zu können.“

Doskozil besser für das Amt. Wobei Peter Pilz, der grüne Sicherheitssprecher, da seine Zweifel hat: „Für mich ist Sobotka eigentlich gar kein Innenminister. Er ist keiner, der das Metier wirklich versteht. Doskozil wäre das viel eher. Der ist in der Sache wesentlich breiter aufgestellt und letztlich auch geschickter.“ Sobotka dilettiere bei der Cyber-Security, anstatt eine bessere Polizei zu schaffen, und trachte danach, im „Grauslichkeitswettbewerb“ bei den Flüchtlingen unsinnige Härte zu zeigen. Aber immerhin, so konzediert Pilz, pflege Sobotka einen anständigen Umgang mit dem Parlament.

Vielleicht hat Peter Pilz da sogar Recht: Innenminister war sicher nicht der Lebenstraum des Wolfgang Sobotka. Und nachdem es zum Bernstein nicht gereicht hat – vielleicht reicht es eines Tages ja für den niederösterreichischen Landeshauptmann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2016)

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