Strache und Kern führen "amikales" Streitgespräch

vlnr.: Bundeskanzler Christian Kern und FPÖ-Bundesparteichef Heinz-Christian Strache
vlnr.: Bundeskanzler Christian Kern und FPÖ-Bundesparteichef Heinz-Christian StracheAPA (GEORG HOCHMUTH)
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SPÖ-Kanzler Christian Kern und FPÖ-Bundesparteichef Heinz-Christian Strache stellten sich im ORF-Radio "Ö1" ihrer ersten öffentlichen Diskussion.

Sachlich, freundlich, ruhig: So begann das erste öffentliche Zusammentreffen von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache am Donnerstagabend in der Ö1-Livesendung "Klartext". Inhaltlich wurden etwa die Themen EU oder Migration im vollbesetzten Großen Sendesaal abgeklopft. Offen blieb, ob es zu einer rot-blauen Koalition kommen könnte.

Das Streitgespräch war natürlich nicht das erste persönliche Zusammentreffen zwischen Kern, seit rund sechs Monaten Kanzler, und dem Chef der größten Oppositionspartei. Er habe mit dem neuen Chef der Sozialdemokraten bisher mehr Gespräche geführt, als mit dessen Vorgänger Werner Faymann während dessen gesamter Regierungszeit, meinte Strache. Hier sei jedenfalls eine „neue Qualität eingezogen“. Kern begründete sein Zugehen auf den Freiheitlichen damit, dass er „respektiere, dass es Herrn Strache auch darum geht, das Land voranzubringen“.

Einen Nationalisten wollte Kern Strache in der Diskussion nicht nennen, auch der Freiheitliche selbst nahm den Begriff nicht in den Mund. „Wir sind Patrioten im besten, im positiven Sinn des Wortes“, meinte Strache, der die FPÖ als „Freiheitspartei“ definierte, die verkrustete Systeme aufbrechen wolle. Stichwort: „Rekordarbeitslosigkeit“, „höchste Steuerabgabenquote der Zweiten Republik“.

Ob Kern ein Populist sei, ein Linkspopulist?, wollte Moderator Klaus Webhofer wissen. „Das ist eine interessante Diskussion, aber auch die interessiert mich überhaupt nicht“, antwortete der Kanzler darauf. Er sei sich dessen bewusst, dass Journalisten stets ein politisches „Hunderennen“ konstruieren wollen, ihm sei aber einerlei „welcher Pudel die Nase vorne hat". Applaus aus dem Publikum. Die Frage, wohin sich Österreich entwickeln sollte, beantwortete der Bundeskanzler mit Verweis auf eine obdachlose Frau, die er zuletzt kennengelernt hatte und die ihm voll Stolz erzählt habe, dass ihre zwei Töchter nun einen Lehrabschluss geschafft hätten. „Diese Geschichte ist genau das, wofür wir Politik machen müssen: Arbeit zu guten Bedingungen schaffen, die Wirtschaft ankurbeln und ein soziales Netz haben, wenn man es einmal braucht.“

„Ich habe noch nie vom Öxit gesprochen“

Inhaltlich kamen unter anderem das Freihandelsabkommen Ceta oder die EU aufs Tapet. Zu ersterem hielt Kern fest, dass es sein Ziel gewesen sei, Verbesserungen für Österreich zu erzielen. Strache verwies jedoch auf die SPÖ-Regierungsverantwortung, die bereits vor Kerns Amtsübernahme bestanden habe. Beim Thema Europäische Union gingen die Meinungen deutlich auseinander. Der FPÖ-Chef wehrte sich zunächst, für einen Öxit plädiert zu haben: „Ich habe noch nie vom Öxit gesprochen“, dieser Begriff werde nur stets von Journalisten gewählt, meinte Strache. Er wolle die EU vielmehr reformieren – und zwar zurück zu der „liberalen Idee der Gründerväter“, zurück zu einer einfachen Handelsgemeinschaft.

Das aber war Kern wiederum zu wenig: Es gehe in der EU auch um Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Respekt und die Achtung der Menschenrechte, zählte er auf. Außerdem würde rund ein Viertel der Jobs an den Exporten hängen, wandte der Kanzler ein, weshalb eine aktive Wirtschaftspolitik betrieben werden müsse. Strache darauf: „Herr Kern, Sie sind wirklich ein Meister der schöngekleideten Worthülsen, zum Teil.“ Eine gemeinsame Europa-Armee lehnten beide Parteichefs mit Verweis etwa auf die Neutralität ab.

Von Würstelbuden und Visegrad-Ländern

Gesprochen wurde auch über die Ost-Orientierung des Freiheitlichen Bundespräsidentschaftskandidaten Norbert Hofer. Dazu betonte Strache, dass dies keine Position der Partei sei, sondern lediglich zeige, dass es keine internationale Isolation ihm gegenüber gebe. Er unterstütze das, sei selbst aber derzeit nicht in der Funktion, von den osteuropäischen Staaten eingeladen zu werden, so Strache. Kern verwies hier auf die Solidarität in Europa und schwenkte auf die Steuerflucht, die inakzeptabel sei. Anders als große Konzerne habe "jede Würstelbude eine höhere Steuerbelastung". Auch kam er bei dem Thema auf das Lohn- und Sozialdumpinggesetz auf europäischer Ebene zu sprechen. Die Gruppe der Visegrad-Länder wolle hier keine Verschärfungen, seien sie doch die Profiteure.

Beim Thema Zuwanderung attestierte Kern den beiden Parteien "erhebliche Unterschiede". Er hob die Bedeutung einer sicheren EU-Außengrenze hervor sowie eine nachhaltige Lösung in den Herkunftsstaaten. Was den erneuten Streit um die Obergrenze der Asylanträge in der Koalition betrifft, zeigte der Kanzler Unverständnis: "Wir haben eine Obergrenze definiert, die ist verbindlich, die ist umzusetzen." Ob dies in der Verfassung sei oder nicht, sei juristisch zu klären, so Kern. Einen aktuellen Streit würde er "nicht ausblenden": "Aber der ist von wenig Rationalität geschlagen."

Strache kritisierte einmal mehr die Vorgangsweise der Bundesregierung bei der Flüchtlingswelle im Vorjahr, seien mit dieser doch auch radikale Islamisten und Terroristen mitgekommen. Kritik übte er auch daran, dass Hilfsgelder für die betroffenen Regionen zurückgefahren wurden. Er pochte auch darauf, dass Flüchtlinge im ersten sicheren Drittstaat um Asyl ansuchen müssen und nicht in ihre "Wunschdestination" Österreich reisen dürfen. Strache warnte weiters davon, dass "teilweise faschistoide Ideologie" hinter Religion versteckt werde und Parallelgesellschaften entstanden seien.

Im Parlament "klescht's" regelmäßig

Ein aktuell laut diskutiertes Thema wurde ebenfalls angesprochen. Wie geht es der Wiener SPÖ? „Wir sind von einem sozialdemokratischen Knittelfeld weit entfernt“, betonte Kern auf eine Frage nach dem momentanen Rumoren in der Partei. Außerdem habe Michael Häupl unlängst einen „spektakulären“ Wahlsieg davon getragen, sagte Kern – was Strache mit einem lauten Lachen quittierte und auf aktuelle Umfragen verwies, die der FPÖ ein äußert gutes Zeugnis ausstellten. Kern konterte: Würden solche Umfragen stimmen, wäre Großbritannien noch in der EU und Hillary Clinton Präsidentin der USA. Strache betonte, dass Kern dennoch als neuer Kanzler und SPÖ-Chef völlig überbewertet werde: „Sie werden als der Erlöser betrachtet, aber das sind Sie nicht.“

Und nach einer Zusammenarbeit von SPÖ und FPÖ gefragt, meinte der Kanzler: Eine "große, stolze Partei, die den Führungsanspruch stellt", müsse sich darüber definieren, wofür sie steht, nicht darüber, was sie nicht tut. Zunächst werde die SPÖ nun die Kriterien für künftige Koalitionen ausarbeiten und dann gebe es darauf basierend Entscheidungen. Abschließend wurden die Diskussionspartner gebeten, das Gespräch zu bewerten. War etwas Positives dabei?

"So ein amikales Gespräch wie heute haben wir noch nie geführt", so Kern, denn im Parlament "klescht's" regelmäßig. Es sei aber "gut zu sehen, dass wir eine gute Kinderstube haben". Inhaltlich freilich "trennen uns mittlere Welten", meinte der SPÖ-Chef. Strache bekräftigte: "Ich grenze grundsätzlich niemanden aus." Anspruch der FPÖ sei es, stärkste Partei zu werden und dann mit dem Zweiten und Dritten zu reden. Zwar gebe es Schnittstellen mit der SPÖ, etwa bei der Infrastruktur, der Gesundheit oder beim Thema Soziales. Bei den Pensionen sei man jedoch "schon kritischer", vor allem die soeben beschlossenen 100 Euro "Almosen" störten Strache. Damit endete das Gespräch in jener Tonalität, in der es begonnen hatte: sachlich, freundlich, ruhig.

(aich/hell/sh/apa)

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