Analyse: Was die Volksoper dringend braucht

(c) APA (Roland Schlager)
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Wie ein Haufen Edelsteine ohne Fassung: Eine bemerkenswert gesungene „Ariadne“ verrät, wie gut Wiens zweites Haus sein könnte.

Da ist zuallererst einmal die bemerkenswerte Tatsache, dass die Volksoper ein heikles Stück wie „Ariadne auf Naxos“ besetzen kann – und zwar auf exzellentem Niveau und mit Ausnahme des aus Bayreuth importieren Tenors für den Bacchus wirklich aus dem Ensemble. Das wäre bejubelnswert, stünde zu dieser Beobachtung nicht eine zweite quer. Zu welcher Qualität, so denkt man im Laufe dieses Abends, könnte eine solche Aufführung finden, wäre sie mit Liebe und Bedacht auf das eminente Können der Sänger von Anbeginn vorbereitet worden. Und bliebe auch im Repertoire in den Händen eines entsprechend kompetenten musikalischen Leiters.

Nun hat bei der zweiten Aufführung der Wiederaufnahme der ganz normale Opernwahnsinn zugeschlagen, Endrik Wottrich ließ sich krankmelden und entzog sich als Bacchus jeglicher Kritik – was gar nicht nötig gewesen wäre, denn er klang stentorhaft und Ton für Ton kraftvoll wie gewohnt. Es sagte auch die Dryade ab und wurde durch Eva Maria Riedl ersetzt – und hier funktioniert das Ensembletheater immerhin noch so gut, dass diesen Umstand einer plötzlichen Umbesetzung einer Partie, die in vertrackten Terzetten ihren Alt so unauffällig wie möglich stehen muss, kaum jemand bemerken würde.

Viel auffallender ist schon die Tatsache, dass eben jenes Nymphenterzett bei der Ankunft des Gottes, wie auch unmittelbar davor das letzte der Komödianten-Ensembles, von allen Beteiligten an der Rampe gebrüllt werden – ganz so, als gälte es, das „Elektra“-Orchester zu übertönen.

Fehlende Delikatesse

Da fehlt jegliche Delikatesse, zumal nicht mehr der Premierendirigent am Pult steht, sondern die 36 Volksopernmusiker nunmehr von Roberto Paternostro befehligt werden. Der ist zwar aus Kassel Repertoirekummer gewohnt, kann jedoch wenig daran ändern, dass man eine Aufgabe dieses Zuschnitts nicht einfach im fliegenden Wechsel übergeben darf.

So begeben sich denn auch manche Phasenverschiebungen zwischen Bühne und Orchester, wo feingliedrig balancierte Feinarbeit ein perfekt schnurrendes Musiktheater-Räderwerk garantieren müsste. An den Solisten liegt es nicht, denn die beherrschen ihre Rollen gut, mehrheitlich sogar fulminant. Die Ariadne von Melba Ramos hat herrlich dunkel timbrierte Fundamenttöne zu bieten und leuchtkräftige, bis in Spitzenregionen beinah mühelos modellierte Phrasen in den Arien.

Die Zerbinetta der Jennifer O'Loughlin ist ein kleines Wunder an Präzision – bis hin zu den exaktest definierten Sechzehnteln und Zweiunddreißigsteln der mörderischen Koloraturen. Ein einziger Ton in dem unüberschaubaren Vokalfeuerwerk des zentralen Rondos war nicht ganz sauber – eine sensationelle Bilanz, weiß Gott nicht nur in der Volksoper!

Musikalische Zähflüssigkeit

Im Vorspiel hätte das Glück beinah vollständig sein können, denn da gab es mit Michael Kraus einen Musiklehrer, der geradezu aus einer Felsenstein-Produktion entsprungen schien, die von einem bedeutenden Kapellmeister minuziös einstudiert wurde – da saß jeder Ton, man verstand jede Silbe und erfreute sich sogar daran, dass jemand weiß, wann welches Quäntchen von wienerischem Dialekt einfließen darf und soll.

Cornelia Horak als Komponist – mit wunderbar weich entwickelter, auch in der Tiefe samtig schöner Sopranstimme – hält mit und durchlebt das Schicksal des jugendlichen Stürmers und Drängers naturalistisch. Und der Tanzmeister von Norbert Ernst ergänzt das Trio frisch-fröhlich. Doch gegen die musikalische Zähflüssigkeit des doch nur aus bemerkenswerten Einzelleistungen kompilierten Abends konnten alle miteinander so wenig ausrichten wie (nolens volens) der distinguierte Haushofmeister von Peter Matic in seiner Sprechrolle.

Ein Turbomotor muss her!

Ein Haufen Edelsteine liegt an einem solchen Abend ohne Fassung herum, wirkt lediglich dank der klugen Inszenierung Josef E.Köpplingers immerhin theatralisch halbwegs geordnet.

Wenn es einen Beweis gibt, dass an der Volksoper Handlungsbedarf herrscht, dann findet man ihn angesichts solcher Schaustellungen, die Ahnungen davon vermitteln, was hier im besten Falle möglich wäre. Das Haus braucht daher einen musikalischen Antrieb – keinen behutsamen Segler, einen Turbomotor, der die Richtung vor- und dann Vollgas gibt!

Letzter Termin für „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss in der Volksoper: am Sonntag, den 4. Oktober, um 16.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2009)

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