Soziale Gerechtigkeit? "Mit ÖVP nicht möglich"

Soziale Gerechtigkeit? "Mit ÖVP nicht möglich"
Soziale Gerechtigkeit? "Mit ÖVP nicht möglich"(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Interview. Burgenlands Landeshauptmann Niessl kritisiert SPÖ-Empfehlungen für Van der Bellen. So sinke die Hemmschwelle, andere Parteien zu wählen.

Die Presse: Minister Sebastian Kurz hat wie Sie keine Empfehlung für die Hofburg-Wahl gegeben. Laut eigenen Aussagen hat ihn das Ergebnis aber nicht überrascht. Er hat sogar Bekannten geraten, für Van der Bellen zu wetten. Waren Sie überrascht?

Hans Niessl: Ich war vom klaren Abstand überrascht. Aber offensichtlich ist der Herr Außenminister ein Hellseher, der sich so rasch wie die Fahne im Wind dreht.

Sind Sie enttäuscht, dass kein Burgenländer in die Hofburg einzieht?

Nein, das hat für mich keinen Stellenwert. Ich akzeptiere das Ergebnis und habe Alexander Van der Bellen gratuliert. Ich bin aber überzeugt, dass Herr Hofer im Burgenland einen Heimvorteil hatte.

Hofer erzielte dort sein bestes Ergebnis. War das nur der Heimvorteil, oder hat die rot-blaue Regierung dazu beigetragen?

Die burgenländische SPÖ ist die stärkste Landespartei. Wir haben auch das beste Ergebnis für Rudi Hundstorfer (Ex-Präsidentschaftskandidat der SPÖ, Anm.) erzielt. Um das Burgenland muss man sich also keine Sorgen machen. Und ich gebe keine Wahlempfehlung für einen nicht sozialdemokratischen Kandidaten. Das würde eher dazu führen, dass Vertreter anderer Parteien bei der nächsten Wahl Stimmen bekommen.

Sie sprechen Wien an, wo Bürgermeister Michael Häupl für Alexander Van der Bellen geworben hat.

Nein, nicht nur. Ich meine das ganz allgemein.


Die rot-blaue Koalition im Burgenland hat nicht die Hemmschwelle gesenkt, einen Freiheitlichen zu wählen?

Die Hemmschwelle sinkt eher durch Wahlempfehlungen. Die Sozialdemokratie fährt im Burgenland immer beste Ergebnisse ein, die Freiheitlichen lagen bei der vergangenen Landtagswahl bei 15 Prozent. Wir können beruhigt in die Zukunft schauen.


Laut einer Sora-Befragung haben aber 85 Prozent der Arbeiter für Hofer gestimmt. Was bedeutet das für die SPÖ mit Blick auf die Nationalratswahlen?

Das bedeutet, dass man den Weg des Burgenlands gehen muss. Wir hatten bei der vergangenen Wahl die Mehrheit der Jugend und Arbeiter auf unserer Seite. Wir haben die niedrigste Armutsgefährdung und seit drei Monaten einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Mir geht es übrigens nicht nur um die Arbeiter. Sondern ganz allgemein um kleine Einkommensbezieher.


Apropos Armutsgefährdung: Sie wollen die Mindestsicherung auf 1500 Euro begrenzen. Ist das kein Widerspruch?

Mindestsicherung allein leistet ja keinen Beitrag für Integration. Deswegen muss man einen höheren Anteil an Sachleistungen schaffen und auch Anreize schaffen, damit Menschen in den Arbeitsmarkt einsteigen. Das Ziel kann ja nicht sein, möglichst viele Mindestsicherungsbezieher zu haben.


Das bestreitet niemand. Trotzdem wollen Sie die Mindestsicherung auch für Österreicher deckeln. Das muss man dazusagen.

Ja, ganz klar. Zigtausende Menschen verdienen mit ihrem Beruf nur 1600 Euro brutto und müssen ihre Familie erhalten. Sie kriegen das Gehalt 14-mal im Jahr, aber eine Flüchtlingsfamilie mit zwei Kindern bekommt mehr.


Wenn Sie Sozialhilfe im vollen Ausmaß kriegen. Genauso wie Österreicher.

Ja, aber jemand, der 40 Stunden die Woche hart arbeitet, bekommt weniger. Ist das soziale Gerechtigkeit?


Die Sozialdemokratie fordert doch eigentlich höhere Löhne statt weniger Sozialleistungen – für die soziale Gerechtigkeit.

Natürlich bin ich für höhere Löhne. Aber niemand wird glauben, dass der Mindestlohn ab Jänner 2017 plötzlich erhöht wird. Daher muss man Anreize schaffen, um Menschen in Beschäftigung zu bringen.


Schafft es die FPÖ – als selbst ernannte „soziale Heimatpartei“ – besser als die Bundes-SPÖ, Wähler anzusprechen?

Die Bundes-SPÖ ist in einer Koalition mit der ÖVP. Das führt dazu, dass die SPÖ von ihren Vorstellungen wenig umsetzten kann.


War das ein Ja?

Nein, es sind andere Voraussetzungen als hier im Burgenland. Wir sind mit Abstand die stärkste Kraft. Dass Österreich die niedrigste Vermögensbesteuerung in Europa hat, muss auch einen Grund haben. Die ÖVP tritt gegen Vermögensbesteuerung auf. Ich bin dafür – gemeinsam mit einer Entlastung der Lohnnebenkosten und Bezieher kleiner Einkommen.


Sie wollen Vermögensteuern in den Kriterienkatalog für künftige Koalitionen festschreiben lassen. Neben der ÖVP ist aber auch die FPÖ gegen diese Steuern. Mit wem soll die SPÖ denn dann überhaupt koalieren?

Dann muss die FPÖ ihren Wählern eben erklären, warum sie gegen Vermögensteuern ist. Wenn die Sozialdemokratie eines ihrer Kernelemente nicht umsetzen kann, kriegt sie ein Problem. Das hat sie auch schon, durch die langjährige Koalition mit der ÖVP.


Die SPÖ überlegt, die Reform des Parteiprogramms auf 2018 zu verschieben. Sollte man jetzt nicht die Chance nutzen, um das eigene Profil zu schärfen?

Ich sage in diesem Fall: Qualität vor Tempo. Wir brauchen einen Schutzschild für soziale Gerechtigkeit, dann werden wir die Arbeiter und die kleinen Einkommensbezieher zurückgewinnen.

Wenn man davon ausgeht, so wie Sie, dass 2017 gewählt wird: Sollte dann das neue Programm nicht vorher stehen?

Viel wichtiger, als etwas zu Papier zu bringen, ist, eine entsprechende Politik zu machen. Die SPÖ muss und wird einen Schwerpunkt setzen auf die Anhebung der Einkommen und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.


Hätte die SPÖ das nicht nach so vielen Jahren in der Regierung längst machen sollen? Oder, wenn es mit der ÖVP nicht möglich ist, die Koalition aufgeben?

Deswegen soll soziale Gerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit, in Zukunft ein Kriterium sein für Koalitionen.


Muss die SPÖ eigens in einem Katalog festhalten, dass sie für soziale Gerechtigkeit ist?

Wenn es so selbstverständlich wäre, brauchten wir keinen Katalog. Es ist mit der ÖVP nicht möglich, also brauchen wir einen Katalog, damit wir in Zukunft mit jenen zusammenarbeiten, die unsere Forderungen mittragen.

ZUR PERSON

Hans Niessl ist seit mittlerweile 16 Jahren Landeshauptmann des Burgenlands. Und: Er hat nach der Landtagswahl 2015 mit dem Verlust der absoluten Mehrheit für die SPÖ ein parteiinternes Tabu gebrochen. Der frühere Volks- und Hauptschullehrer bildete eine Koalition mit der FPÖ. Damals sehr zum Missfallen vor allem von Wiens Bürgermeister Michael Häupl, der wenig später mit einer dezidierten Abgrenzung zur FPÖ in den Wahlkampf ging.

(Print-Ausgabe, 10.12.2016)

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