Asyl: "Kein Zufall, dass Verfahren so lange dauern"

Archivbild: Mächtiger Manager, der nicht in die Politik will: FSW-Chef Peter Hacker.
Archivbild: Mächtiger Manager, der nicht in die Politik will: FSW-Chef Peter Hacker. Clemens Fabry / Die Presse
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Peter Hacker, Wiener Flüchtlingskoordinator und Chef des Fonds Soziales Wien, glaubt, dass die Zahl der Menschen in der Grundversorgung absichtlich hoch gehalten wird. Und er kündigt die Schließung des Notquartiers in Wien-Neubau an.

Die Presse: Sie haben zuletzt in einem „Falter“-Interview gesagt, dass in Wien konstant zirka 21.000 Menschen in der Grundversorgung sind – und dass Sie nicht verstehen, dass die Zahl nicht abnimmt, obwohl ja nicht mehr so viele nachkommen. Was ist Ihre These, warum das so ist?

Peter Hacker: Seit 2004 bin ich für die Grundversorgung in Wien zuständig, und immer reden wir über die Beschleunigung der Asylverfahren. Aber ich sehe sie nicht. Das ist kein Zufall, dass die Verfahren so lange dauern.


Das heißt, es ist Absicht?

Ja, das schaut so aus. Einfache Verfahren und Dublin-Verfahren werden vorgezogen, normale bleiben aber liegen. Fakt ist, dass der Integrationsfonds und das AMS wesentlich weniger (Anm.: anerkannte) Flüchtlinge in Deutschkursen haben als geplant (s. Artikel unten). Die suchen Flüchtlinge für die Kurse. Das ist doch absurd. Und die haben sich nicht verspekuliert bei der Planung. Es war einfach die Annahme, dass das viele zusätzliche Personal für die Asylverfahren schön langsam dazu führt, dass die Zahl der erledigten Bescheide in die Höhe schießt. Tut sie aber nicht. Die Zahl der Menschen in der Grundversorgung in Wien müsste elementar niedriger sein. Da passt etwas nicht zusammen.


Wem sollte es denn etwas bringen, wenn mehr Menschen in der Grundversorgung bleiben?

Ich würde unterstellen, dass es schwieriger wäre, ernsthaft über eine Obergrenze zu diskutieren, wenn sich die Zahl der Flüchtlinge in der Grundversorgung bereits halbiert hätte.


Polemisch formuliert: Die Verfahren dauern so lange, um die Obergrenzendebatte zu rechtfertigen?

Ich habe nichts gegen Polemik. Und ich widerspreche nicht.


Es gibt das Gerücht, dass speziell bei minderjährigen, unbegleiteten Afghanen die Verfahren länger dauern. Damit die Jugendlichen bis zum Verfahrensende volljährig werden und daher der Familiennachzug schwieriger wird. Glauben Sie das auch?

Ja, das ist einer der Faktoren, die zum Ist-Zustand führen und die Teil einer unsinnigen Strategie sind. Die Grundversorgung muss eine kurze Übergangsphase sein. Diese Menschen sollten längst selbstständig sein. Stattdessen hängen sie in einer Hundertprozentversorgung des Staates herum.


Afghanen haben medial ein schlechtes Image. Afghanische Jugendliche sind angeklagt wegen der Vergewaltigung am Praterstern, auch bei einem Mord an einer Studentin in Deutschland ist der Tatverdächtige ein Afghane. Kann das die Dauer der Asylverfahren beeinflussen?

Das darf bei Asylverfahren in einer Demokratie keine Rolle spielen.


Haben Sie Sorge, dass die Stimmung in Wien kippen könnte, wenn es hier so etwas wie die Silvesternacht Köln gibt?

Was ich interessant finde: Die Kölner waren schon in den Tagen danach weniger hysterisch als andere, die nur eine Außensicht hatten. Die Sorge wächst mit der Entfernung. Worüber ich viel mehr nachdenke, ist, dass vielen Wienern die Flüchtlingsdebatte schon beim Hals heraushängt. Was ich nachvollziehen kann. Andere Themen verdienen viel mehr Aufmerksamkeit.


Wie das Wachstum der Stadt? Stadtrat Ludwig hat den Zugang zum geförderten Wohnbau verschärft: Jene, die länger da sind, werden vorgereiht. Ist das für Flüchtlinge ein Problem?

Natürlich bin ich darüber nicht glücklich, aber es ist kein Drama und betrifft ja nicht nur Flüchtlinge. 62 Prozent der 20.600 Menschen in der Grundversorgung sind ohnehin bereits in einer Wohnung. Der Rest wohnt in organisierten WG oder in Flüchtlingsheimen. Das sind etwa 7500 Menschen. Ich habe mehr Wohnungslose als Flüchtlinge in betreuten Einrichtungen des FSW. Aber für alle in prekären Wohnsituationen gibt es neue Wege. Man kann jetzt leichter Wohnhäuser errichten, die befristet und von geringerer Bauqualität sind.


Wie lange braucht Wien noch Großquartiere für Flüchtlinge?

Wir werden nächstes Jahr bis zum Sommer mindestens zwei weitere schließen. Fix ist die Schließung des Notquartiers Schottenfeldgasse mit einer Kapazität von 200 Personen mit Ende Februar 2017. Derzeit diskutieren wir, ob wir nicht manche Einrichtungen in normale oder betreute Wohnungen umwandeln.


Wer mit anerkannten Flüchtlingen spricht, hört immer Klagen über den Wohnungsmarkt. Es sei schwer, etwas zu finden.

Ich sage nicht, dass es perfekt ist. Nur zwischen „nichts haben“ und „es ist schlecht“ ist ein Unterschied. Natürlich gibt es Häuser, in denen nur Flüchtlinge wohnen, aber keine Ghettos. Ein Teil der anerkannten Flüchtlinge wird in den Smartwohnungen der Stadt unterkommen. Es dauert halt.


Sie haben oft kritisiert, dass es zu wenig Daten über Flüchtlinge gibt. Hat Wien keine Datenbank?

Nein, wir müssen mit der des Bundes arbeiten. Wenn wir eine Auswertung machen wollen, müssen wir jedes Mal das Ministerium bitten. Und die Qualität der Daten ist legendär. Seit der Einführung der Grundversorgung im Jahr 2004 ist das Innenministerium nicht in der Lage, gute Daten zu liefern. Die benötigen wir aber, um unser Betreuungssystem planen zu können: wie viele Menschen werden voraussichtlich anerkannt, wie viele abgeschoben etc. Wegen der Datenprobleme können wir auch nicht abrechnen. Wien und die anderen Bundesländer strecken dem Bund die Grundversorgung vor. Seit drei Jahren wurde nicht abgerechnet. Da geht es um Millionen.


Apropos Prognose: Könnte Wien noch einmal so einen Flüchtlingszustrom bewältigen?

Wenn die Vorbereitungen passen und das politisch erklärt wird, ist das natürlich schaffbar. Ich finde es ja spannend, wenn man jetzt versucht den Leuten zu erklären, dass die Fluchtbewegung abschließbar ist. Wir gehören zu den reichsten Ländern der Welt, das Thema wird nie enden. Und wenn wir es im nächsten halben Jahr nicht schaffen, an den EU-Außengrenzen die Situation in den Flüchtlingslagern zu verbessern, traue ich mir keine Prognose zu, was im Herbst 2017 los ist.


Sie sind regelmäßig für eine Politikkarriere im Gespräch. Diesmal wieder einmal als Gesundheits- und Sozialstadtrat. Sie selbst haben das ausgeschlossen. Warum? Was haben Sie gegen Politik?

Ich habe mein ganzes Leben im Grenzbereich von Politik und Verwaltung gearbeitet. Und ich habe auch politische Meinungen. Aber ich bin gern Manager.


Sie sind auch für den Managerposten des KAV-Chefs im Gespräch. Wäre der etwas für Sie, oder schließen Sie den auch aus?

Ja, ich schließe es aus, weil es mich momentan nicht interessiert. Ich habe im FSW eine Riesenverantwortung, und ich wüsste auch nicht, dass der Posten im KAV ausgeschrieben ist.

Zur Person

Peter Hacker ist quasi nur im Nebenjob Flüchtlingskoordinator. Hacker ist Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien (Budget: 1,7 Mrd Euro). Der FSW ist zuständig für Leistungen der Pflege/Betreuung, Behinderten-, Wohnungslosenhilfe sowie Grundversorgung für Flüchtlinge. Bevor er den FSW übernahm war Hacker Wiener Drogenkoordinator.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10. Dezember 2016)

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