Gambias abgesagte Sensation

Der Jubel nach den Wahlen in Gambia hat nicht lang angehalten. Ob der Gewaltherrscher wirklich friedlich weichen wird, scheint derzeit unwahrscheinlich.
Der Jubel nach den Wahlen in Gambia hat nicht lang angehalten. Ob der Gewaltherrscher wirklich friedlich weichen wird, scheint derzeit unwahrscheinlich.APA/AFP/MARCO LONGARI
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Langzeitdiktator Yahya Jammeh erkennt seine Wahlniederlage nun doch nicht an und verlangt Neuwahlen. Die Wirtschaft des kleinen Landes liegt ohnehin am Boden.

Bevor seine Schwester Fatoumata (35) nicht aus dem Gefängnis kommt, kann Omar Jawara nicht aufatmen. „Sie haben sie mit einer Eisenstange geschlagen, bis sie Blut spuckte. Dann blieb sie nackt in einer Zelle liegen, über eine Woche.“ Ihr Vergehen: Sie war in Gambia auf die Straße gegangen, mit anderen Aktivisten der Oppositionspartei United Democratic Party (UDP), und hatte eine Änderung des Wahlsystems gefordert, das Diktator Yahya Jammeh zu seinen Gunsten manipulierte. Strafe: drei Jahre Haft.

Anfang Dezember aber ist Jammeh überraschend abgewählt worden – ein Vorgang, den das Magazin „Foreign Policy“ als „größte Wahlüberraschung des Jahres“ bewertete. Nach 22 Jahren an der Macht sollte der Diktator alter Schule, der demokratische Grundwerte ignorierte und Wahlen fälschte, abtreten. Er erkannte das Wahlergebnis an, die Sensation war perfekt. Nur ein paar Tage später aber revidierte Jammeh seine Aussage: Bei der Wahl sei es zu Unregelmäßigkeiten gekommen, die Zahl der Wahlkarten stimme nicht mit dem Verzeichnis überein. Er verlange Neuwahlen. Von den USA bis zur Afrikanischen Union hagelte es Kritik an dem Diktator.

Jawara hat die Wahl über Internetradio in einer Unterkunft für Asylwerber in Deutschland verfolgt. Er macht eine Ausbildung zum Anlagentechniker im idyllischen Esslingen, Baden-Württemberg. Grauen und Armut in der Heimat ist er vor zwei Jahren entflohen, doch sie blieben stets gegenwärtig in Gedanken. Besonders, wenn die weinende Mutter am Telefon war. Jawara fürchtet, seine Schwester sei auch vergewaltigt worden. Sagen würde sie das nie, wegen der Schande für die Familie: Vergewaltigungen sind in Gambia tabu, jedenfalls, was die Opfer betrifft. Sollte Jammeh tatsächlich die Macht abtreten, werde seine Schwester „zu 100 Prozent“ freigelassen, meint Jawara.

Als Wahlgewinner ging Adama Barrow (51) hervor – ein Immobilienunternehmer, der in den 2000er-Jahren in London studiert und zeitweise als Kaufhauswächter gearbeitet hatte, um Geld zu verdienen. Zu einem Regierungswechsel sollte es eigentlich im Jänner kommen in jenem winzigen Land, von dem Jammeh behauptet hatte, er werde es „eine Milliarde Jahre“ regieren. In einem Telefonat mit Barrow soll Jammeh zunächst angedeutet haben, sich auf seine Farm zurückziehen zu wollen. Es heißt aber auch, er habe allerhand Mittel auf die Seite geschafft, mit denen er womöglich einen Putsch versuchen könnte. Jammeh habe auch versucht, die Bekanntgabe des Wahlergebnisses zu verhindern. Tatsächlich hatte er am Wahltag das Internet und internationale Telefonverbindungen sperren lassen. Oppositionspolitiker sagten, man werde ihn vor Gericht stellen.

Jammehs Herrschaft hat Hunderttausende in die Flucht getrieben: Sieben Prozent der Migranten, die heuer in Italien ankamen, sind Gambier. Proportional zur geringen Einwohnerzahl (1,9 Millionen) liegt Gambia in Afrika damit weit vorn. In vielen Ländern der EU könnte ein – friedlicher – Machtwechsel Folgen für die Einschätzung der Risikolage in Gambia haben. Österreich schätzt es derzeit nicht als sicheres Herkunftsland ein, wegen der weitverbreiteten politischen Verfolgung und Folter. Sollte Jammeh, der laut Human Rights Watch Gegner systematisch foltern ließ, tatsächlich abtreten, würde das die Abschiebung abgelehnter Asylwerber erleichtern.

Hummer-Jeep. Jawara sagt, er wolle Deutschland verlassen, sobald sich die Dinge wirklich zum Guten gewendet hätten. Er würde gern als Politiker beim Wiederaufbau der Heimat helfen oder mit seinen in Europa erworbenen Fähigkeiten eine Firma gründen. Doch auch er traut dem Wandel nicht. In ein paar Wochen läuft seine Aufenthaltsgenehmigung ab, aber er könne noch nicht zurück: Auch ohne den Diktator seien noch zu viele Leute in Amt und Würden, die er, Jawara, in Interviews und sozialen Medien kritisiert habe.

Jammeh, Fahrer eines Hummer-Jeeps mit sechs Rädern, gilt als launisch, seine Leibgarde ist gut ausgestattet. Und so wählte Barrow warnende Worte in Richtung des Machthabers: „Das Volk hat gesprochen. Wir haben klar gewonnen, er kann nichts daran ändern.“ Der Oppositionspolitiker hatte über 45 Prozent der Stimmen im kleinsten Land Afrikas (11.300 km2) gewonnen, Jammeh lediglich 36 Prozent. Diesem ward wohl seine eigene Tyrannei zum Verhängnis: Im April ließ er den alternden UDP-Spitzenkandidaten, Ousainou Darboe, wegen Teilnahme an einem ungenehmigten Protest verhaften und ließ ihn bis zu der Wahl hinter Gittern. Deshalb wurde Barrow zum Kandidaten.

Ihm gelang, was dem vor einigen Tagen aus dem Gefängnis entlassenen Darboe kaum gelungen wäre: Er einte sieben wichtige Oppositionsparteien, von denen einige Vorbehalte gegen Darboe hatten. Nur so konnte die Abwahl Jammehs gelingen.



Große Versprechen. Barrows Versprechen sind groß. Er will eine Beschränkung von zwei Amtszeiten für den Präsidenten einführen, die politischen Gefangenen freilassen, dem Weltstrafgericht und dem Commonwealth wieder beitreten und die Freiheit von Justiz und Presse garantieren. Schwieriger erscheint da die Einigung des gespaltenen Landes. Ein zukünftiger Präsident Barrow muss Spannungen zwischen dem Jola-Stamm, zu dem Jammeh gehört, und der größten ethnischen Gruppe, den Mandinkas, ausräumen. Politische Erfahrung hat der Immobilienunternehmer keine. Und er muss eine Wirtschaft aufbauen, die am Boden liegt – der wohl wichtigste Fluchtgrund für viele junge Gambier.

Auch Omar Jawara, der Gambier in Deutschland, kann Jammeh nicht verzeihen. „Ich werde nie vergessen, was er meiner Schwester angetan hat, er gehört lebenslang hinter Gitter.“ Es ist kaum vorstellbar, dass sich Jammeh diesem Szenario widerstandslos fügt.

ZUR PERSON

Yahya Jammeh (51) hat den Kleinstaat Gambia in Westafrika schon seit 1994 mit zusehends harter Hand regiert. Seine Eltern sind Senegalesen, er brach 1984 die Schule ab, um dem kleinen Heer Gambias beizutreten, stürzte 1994 als Offizier Präsident Dawda Jawara und setzte sich bald selbst durch. Seine Amtsführung war bizarr: So forderte er etwa 2008 alle Homosexuellen auf, binnen 24 Stunden auszureisen, drohte ihnen andernfalls die Köpfung an, sagte, er könne mit Handauflegen heilen und dass die britische Ex-Kolonie (bis 1965) 2015 das reichste Land der Welt sein werde.
?AFP

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2016)

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