Die ÖVP Erwin Prölls regiert mit einer absoluten Mehrheit an Mandaten (und Stimmen). Ein Spezialfall in Österreich – und in ganz Europa.
Wien. Wenn Erwin Pröll mit seinen Kollegen Landeshauptleuten zusammenkommt, kann er sich deren Neides gewiss sein. Um etwas in seinem Niederösterreich umzusetzen, ruft er den zuständigen Landesrat an oder einen der Treuesten der Treuen, Klubchef Klaus Schneeberger. Und die Sache ist rasch im Sinn Prölls geregelt.
Nur bei Themen, die er als potenziell heikel erspürt, lässt der Landeshauptmann die Spitzen der anderen Parteien zu Verhandlungen einladen. So wie bei der aktuellen Auflösung der Landesakademie und Gründung einer privaten Stiftung als Thinktank. Da zeigt sich die ÖVP auch gern generös. 14 von 15 Änderungswünschen der Grünen wurden berücksichtigt. Der Klimaschutz gilt so nun als eines der Förderziele. Kostet ja nichts. Letztlich stimmten alle Parteien im Landtag zu. Erwin Pröll durfte zufrieden sein.
Großartige Rücksichtnahmen auf Koalitionspartner muss er ohnedies nicht nehmen. Wozu auch? Im Landtag zu St. Pölten verfügt die ÖVP über eine besonders komfortable Mehrheit, die absolute. Eine Rarität in Österreich und darüber hinaus.
Wenn wir schon bei Raritäten sind: Die Rechte der anderen Parteien im niederösterreichischen Landtag sind alles andere als entwickelt. Stellen eigener Anträge oder von Abänderungsanträgen? Gegen die ÖVP-Mehrheit unmöglich. Dringliche Anfrage an ein Regierungsmitglied? Untersuchungsausschuss? In der gelebten Praxis des niederösterreichischen Landtags sind das allesamt Fremdwörter. „Die fossilen Formen der Demokratie leben in Niederösterreich weiter“, diagnostiziert die grüne Landessprecherin und Klubobfrau, Helga Krismer, nicht ohne einen Anflug von Bitterkeit.
Pröll selbst verweist auf ein sehr gutes und korrektes Verhältnis zu allen Klubobleuten. Sitzungen des Landtags gehören aber ohnedies nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Wohl auch deshalb, weil Pröll als Landesrat in die Politik eingestiegen ist, zuvor nie einfacher Landtagsabgeordneter war. Das Wort pflegt er im Landesparlament abseits von Zwischenrufen nicht zu ergreifen. Pröll begründet das so: „Der Landtag ist die Bühne für die Abgeordneten.“ Schwingt ungesagt mit, dass der Landeshauptmann schließlich zu arbeiten hat?
Pröll kann Sätze sagen wie: „Natürlich, mit der absoluten Mehrheit haben wir ein Alleinstellungsmerkmal.“ Aber, fügt er sofort hinzu, die Bilanz nach der letzten Regierungssitzung des Jahres weise 140 Anträge aus, die mit einer Ausnahme, und da war es keine Gegenstimme, sondern nur eine Enthaltung, alle konsensual beschlossen wurden. Denn die Landesregierung ist – Absolute hin oder her – nach dem Proporzsystem gebildet. So kommt es, dass Karin Renner und Maurice Androsch für die SPÖ am Regierungstisch sitzen. Wundern darf man sich nicht, wenn Renner von der „gerechtesten Regierungsform“ spricht, weil sie den Wählerwillen nicht nur im Landtag, sondern auch in der Exekutive widerspiegle. Dass die ÖVP ohne Not, gleichsam zum Drüberstreuen, 2013 ein Arbeitsübereinkommen mit der SPÖ geschlossen hat, wird von Vertretern anderer Parteien kritisch bis höhnisch kommentiert.
SPÖ in prekärer Lage
„Die SPÖ befindet sich in einer Duldungsstarre“, spottet FPÖ-Landeschef Walter Rosenkranz. Er hat sich viel vorgenommen, will die FPÖ zur zweitstärksten Partei machen und jedenfalls (wieder) Regierungsverantwortung übernehmen. Das Ergebnis der Wahl 2013 eröffnet einiges an Potenzial nach oben. Die 8,2 Prozent können angesichts der heutigen Rahmenbedingungen nur noch überboten werden. Bis zur SPÖ mit deren 21,6 Prozent ist es aber ein weiter Weg. Wenngleich die Sozialdemokraten im Land einen besonders schweren Stand haben.
Und das, obwohl es einen Genossen gibt, der es Erwin Pröll schon mehrfach gleich getan hat. Matthias Stadler konnte zuletzt als Bürgermeister in der Landeshauptstadt, St. Pölten, seine Zustimmung auf 59 Prozent hinaufschrauben. Dieser Erfolg bindet ihn gleichzeitig. Der SPÖ-Landeschef hat mehrfach bekundet, bei der Landtagswahl nicht als Spitzenkandidat anzutreten. Wer aber steigt gegen Pröll in den Ring? Lässt sich Stadler umstimmen? Führt mit Renner eine Frau die SPÖ-Liste an? Sie selbst hält sich bedeckt. Im Frühjahr soll eine Entscheidung getroffen werden.
Bedeckt hält sich auch Pröll. Er sagt, sich hinsichtlich dieser Frage „noch im analytischen Bereich“ zu befinden. Wann die Entscheidung reif sein wird? „Zeitgerecht.“ Deutlicher wird der Landeshauptmann, was den Wahltermin betrifft. Der ist im Frühjahr 2018 fällig. Pröll im O-Ton: „Was sollte jemand mit absoluter Mehrheit für einen Grund haben, früher zu wählen?“
Nicht wenige sehen die Entscheidung längst gefallen. Pröll wirke keineswegs amtsmüde, trete sicher wieder an, heißt es in St. Pölten. Der groß in Stift Göttweig gefeierte 70. Geburtstag knapp vor Weihnachten wird als inoffizieller Wahlkampfauftakt interpretiert. Kein Halten geben wird es im nächsten Oktober. Wenn Pröll seit 25 Jahren Landeshauptmann sein wird. Da könnte dann ja auch offiziell der Wahlauftakt erfolgen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2016)