4. Februar 2000: Unten durch

Schuessel und Haider
Schuessel und Haider(c) Roland Schlager
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Rückblende: Am 4. Februar 2000 schreitet Schwarz-Blau unterirdisch zur Angelobung. Zehn Jahre danach macht sich "Die Presse am Sonntag" auf den Weg in die Hofburg.

Weinselig wird der ersten schwarz-blauen Regierung der Zweiten Republik am 4.Februar 2000, es war ein Freitag, nicht zumute gewesen sein. Eher schon wein-selig. Draußen, auf dem Ballhausplatz, vor Bundeskanzleramt und Hofburg, toben 5000 Demonstranten. „Widerstand, Widerstand“ und „1938 Gründe gegen Haider“ skandieren sie gegen eine Koalition der ÖVP mit der Haider-FPÖ. Und die designierte Bundesregierung, angeführt von Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Susanne Riess-Passer (FPÖ), macht sich auf den Weg zur Hofburg – ganz, ganz leise. Dorthin, wo sie von Bundespräsident Thomas Klestil zur Mittagszeit angelobt werden soll.

Statt der drohenden Buhrufe, Raketen-, Böller-, Flaschen-, Eier- und Tomatenwürfe auf dem Ballhausplatz wählt sie die Stille und die Sicherheit. Obwohl der Platz von der Polizei so gut gesichert ist wie noch bei keiner Regierungsangelobung davor. Schwarz-Blau nimmt als erste Regierung der Zweiten Republik den unterirdischen Gang zu ihrer Angelobung, vom BKA in die Hofburg.

Dort, wo bis in die 80er-Jahre der Lichthof des Kanzleramts und bis zum 19.Jahrhundert der Misthaufen des Hauses waren, kommt die Regierung nur eiligen Schrittes vorbei. Steigt in den Lift, braun getäfelt mit Goldverzierung. Und fährt ins zweite Kellergeschoß hinunter.


Brauner Boden und Neonlicht. Sie steigt aus, Neonlampen an der Decke. Ein geschwungener Gang, kaum drei Meter breit, mehr als zwei Meter hoch, liegt vor den zwölf Ministern und vier Staatssekretären, die in wenigen Minuten angelobt werden sollen. Die Regierung mit einer FPÖ, der im In- und Ausland Nazi-Hintergrund vorgeworfen wird, blickt auf einen braunen Linoleumboden. Beim Lokalaugenschein der „Presse am Sonntag“ zehn Jahre später sind Schlieren darauf. Boden und Gang sind seit 2000 nur geringfügig verändert worden; die weißen Wände sind neu gestrichen. Ansonsten bietet sich schon seit den 80er-Jahren etwa das gleiche Bild.

Zügig geht es für Schüssel, Riess-Passer und Co. durch die Glastür. „Ballhausplatz 1, Hofburg, Werksküche“ steht auf der Tür, die den Blick auf den Gang freigibt. Ginge man ihn geradeaus bis ans Ende, man käme in die Kantine des Bundeskanzleramts im Amalientrakt der Hofburg, 200 bis 400Mitarbeiter des BKA nehmen heute pro Tag diesen Weg.

Für die Regierung Schüssel I geht es nur 80 Meter weit den Gang entlang, im grellen Neonlicht schreitet sie voran zu einer Stunde, die eine Stunde der Ehre und Freude hätte werden sollen und nun im Wortsinn unterirdisch beginnt. Nüchtern ist es hier, aber funktional. Links und rechts des Ganges finden sich Türen zum „Zeitungsbroschürenlager links“ und zum „Aktenlager WiSt rechts“ des BKA. Die Luft ist stickig.

Rund 80 Meter geht die Regierung voran, rund 100 Schritte pro Person, das macht 1600 Schritte bei zwölf Ministern und vier Staatssekretären – der Skandalregierung, wie sie schon jetzt in Teilen des In- und Auslands heißt. Die Regierung hat ihre Zukunft, ihre Amtszeit noch vor sich. Dann macht sie einen Schritt in die Vergangenheit. Fünf Betonstufen hinunter, und Schüssel I steht in einem Gewölbe in Richtung Amalientrakt, zwei Etagen unter der Straße, die BKA und Präsidentensitz verbindet.

Wer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hierhergekommen ist, hat an dieser Stelle Wein bekommen: roten, weißen, edle Tropfen sollen dabei gewesen sein an dem Ort, an dem einst Fässer mit der Aufschrift „F.J.I“ gelagert wurden. „F.J.I“ für Franz Joseph I. Es war ein Stadtheuriger, einer von vielen in Wien, der im zweiten Kellergeschoß zwischen BKA und Hofburg einige Zeit seine Tore offen hielt. Schüssel und seinem Team, begleitet vom Protokoll und von einem Kriminalbeamten, präsentierte sich das Gewölbe leer. Staubig. Muffig. Aber, ein solider Bau und gute Heiztechnik aus den vorigen Jahrzehnten machen es möglich: mit trockener Luft.


Auf den Spuren von Omar Sharif. In den 60ern drehten hier Omar Sharif und Catherine Deneuve, in genau diesem Gewölbe standen sie für einen Kitschfilm, historisch nicht ganz korrekt, vor der Kamera. Kakanien lässt grüßen: Sharif gab in „Mayerling“ aus dem Jahr 1968 den Rudolf, Deneuve war Mary Vetsera.

Aus dem 16. Jahrhundert stammt die Amalienburg, fast so alt ist auch das Gewölbe, das derzeit wieder Baustelle ist: Beim Lokalaugenschein der „Presse am Sonntag“ sind Bodenplatten gelöst, meterlange Kabel sind zu sehen, sie werden neu verlegt. Auf dem Boden: Zigarettenstummel der Arbeiter, die gerade pausieren, und ein paar Fetzen Papier.

An der Wand ist heute wie damals, im Februar 2000, eine gesicherte Tür. Sie führt in die Hofburg, zum Sitz des Bundespräsidenten. Nur wer einen streng gehüteten Schlüssel hat, kann und darf hindurch. Die Alarmsicherung müsste raus. Journalisten dürfen nicht durch die Tür, Heinz Fischer will das nicht vor seiner Wiederkandidatur zum Präsidenten, auch nicht zum „Zehn-Jahre-Jubiläum“ von Schwarz-Blau, so heißt es. Für den Laien lässt sich die gesicherte Tür in die Hofburg nicht ausmachen, sie verbirgt sich hinter Natursteinen, die, kaum eine Handbreit hoch, sauber in einem Raum gestapelt sind. Er ist so groß wie ein Klassenzimmer, ihm schließt sich ein zweiter Raum an.

Von diesem nimmt Schwarz-Blau im Februar 2000 den letzten Teil des Gangs zum Bundespräsidenten. 40 Meter trennen die zwölf Minister und vier Staatssekretäre noch von ihrer Angelobung durch Thomas Klestil; insgesamt 800 weitere Schritte müssen sie noch machen. Dann steht das designierte Regierungsteam erneut in einem Lift, der sie wieder über die Erde bringen soll. Der Lift ist ein Behindertenlift und kommt neben den WC-Anlagen der Präsidentschaftskanzlei zum Stehen.


Angelobung bei Klestil. Erste Etage, Angelobung im Maria-Theresien-Zimmer. Bundespräsident Klestil zeigt steinerne Miene. Die Regierung, die Opposition und auch die EU-Partner, die Schüssel I bis in den September diplomatisch „schneiden“ werden, sollen sehen, dass er die Koalition der ÖVP mit der Haider-FPÖ nur duldet, jedoch nicht gutheißt. Nach dem Amtseid geht es für die Regierung wieder zurück durch den 120 Meter langen Gang, zurück ins Bundeskanzleramt.

Draußen toben noch immer die Demonstranten. Flaschen und Eier fliegen, ohne dass sich die Regierung Schüssel I oberirdisch gezeigt hat. Drinnen findet der konstituierende Ministerrat mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer statt. Schwarz-Blau beginnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2010)

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