Gesundheit: 600 Millionen für die Krankenkassen

(c) Clemens Fabry
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Zwei Experten rechnen vor, wie sich die Kassen aus dem aufgeblähten Spitalsapparat Geld holen könnten. Dazu bräuchte es Druck auf die Länder - vom Finanzminister.

WIEN. Österreich kämpft mit einem der teuersten Gesundheitssysteme, es leistet sich einen aufgeblähten Spitalsapparat, und das Ganze ist noch dazu relativ reformresistent – Umstände, mit denen sich Gerald Zenker und Michael Haas, zwei Insider des Systems, nicht länger abfinden wollen. Zenker ist Kardiologe und Primarius am LKH Bruck an der Mur, Haas Consulter und Projektentwickler im Gesundheits- und Sozialbereich.

Kennengelernt haben sich beide bei der Erarbeitung eines Reformpool-Projektes, das in den letzten Jahren breit gefächert in ganz Österreich Innovationen lieferte – allerdings ohne weitreichenden Erfolg, weil es bisher keinem der Projekte gelang, auf eine breitere Basis gestellt und österreichweit umgesetzt zu werden. Das erste und einzige könnte die sogenannte E-Medikation werden, bei der Wechsel- und Nebenwirkungen durch Fehlmedikation verhindert werden sollen, was die Patienten gesünder und damit das System billiger hält. Ein singuläres Ereignis allerdings, so es tatsächlich 2012 in die Tat umgesetzt wird.

Gutes Geld für schlechte Dinge

Deshalb reicht es Zenker und Haas. „Es wird immer mehr gutes Geld für schlechte Dinge ausgegeben“, ärgert sich Haas. Beispiele dafür gebe es genug, etwa die teure Investition in zwei nur wenige Kilometer entfernte Spitalsstandorte, wie es derzeit in Niederösterreich für Mödling und Baden der Fall ist. Oder, wie Zenker anführt, das skurrile Beispiel der gescheiterten Chirurgiereform in der Steiermark. Obwohl die Fallzahlen und damit die Patientensicherheit das Gegenteil gebieten würden, bleiben sowohl in Mürzzuschlag als auch in Bad Aussee die chirurgischen Abteilungen bestehen. „Aus Bruck muss nun ein überqualifizierter Chirurg abgestellt werden, der sich mit eitrigen Zehennägeln beschäftigt“, formuliert es Zenker überspitzt. Das bringe auch das funktionierende größere Spital unter Druck, ohne das teure Kleinspital wirklich zu retten.

Belohnung der Faulen

Somit wäre die größte Furcht von Zenker und Haas zusammengefasst: Der Kostendruck im Gesundheitswesen steigt rasant, ohne dass die Reformen mithalten. Daher steht zu befürchten, dass irgendwann mit dem Rasenmäher drübergefahren wird. „Dann werden die belohnt, die bisher gar keine strukturellen Verbesserungen erzielt haben und ineffizient waren, denn bei ihnen gibt es noch genug zu sparen“, so Haas. Die, die ihre Effizienz schon optimiert haben, treffen lineare Kürzungen dann doppelt.

Drei Bremser im System

Für Zenker gibt es drei wesentliche Bremser im System: „die Ärztekammer mit ihrer absoluten Reformunwilligkeit, die Länder und die Mutlosigkeit der jeweiligen Gesundheitsminister“. Um dem beizukommen, legen die beiden drei konkrete Änderungen vor, die sie im Finanz- und Gesundheitsministerium sowie der Industriellenvereinigung schon präsentiert haben. Wobei der größte Handlungsspielraum und Handlungsbedarf beim Finanzminister läge. Er kann die Länder als Spitalserhalter mit dem Finanzausgleich unter Druck setzen. Und er kann, wie Zenker überzeugt ist, nicht mehr auf die turnusgemäße Neuverhandlung im Jahr 2013 warten. Dazu dränge die Zeit viel zu sehr.

Haas und Zenker haben einen völlig neuen Ansatz entwickelt, der sich „paradoxe Intervention“ nennt. Ziel ist, die vielen sinnlosen Krankenhausaufenthalte zu verhindern, die Österreich zum „Weltmeister im Spitalliegen“ machen. Entscheidend dabei: die Rolle der Sozialversicherungen. Bisher zahlen sie ein gutes Drittel ihrer Einnahmen in den stationären Bereich ein, ohne auch nur die geringste Einflussmöglichkeit darauf zu haben. Nun sollen sie ihre Vertragspartner, die niedergelassenen Ärzte, dazu anhalten, Patienten weniger häufig ins Krankenhaus zu schicken.

Wie das gehen soll? Durch einen neuen finanziellen Anreiz. Denn bisher haben die Krankenkassen nicht viel davon, wenn sie mehr Leistungen bei ihren Ärzten erbringen lassen – im Gegenteil. Das kostet nur. Daher sollen ihnen die 15 bis 30 Prozent an stationären Aufnahmen, die je nach Schätzung zu vermeiden wären, gutgeschrieben werden. Das würde mindestens 600 Millionen Euro ausmachen und das Kassendefizit schlagartig reduzieren. Haas ist überzeugt, dass das auch relativ einfach per vorhandenem Abrechnungssystem abzuwickeln ist. Fehlt nur noch die Bereitschaft der Länder als Spitalserhalter mitzumachen. Und auf die müsste, wie erwähnt, der Finanzminister über den Finanzausgleich Zwang ausüben. Der zweite Ansatz sind neue Zugangsregelungen. Den Hausarzt zum Gatekeeper im System zu machen ist freilich ein lang gehegter, jedoch nie umgesetzter Wunsch. „Jetzt kann jeder mit einem Wimmerl ins AKH, das muss ja nicht sein“, so Haas drastisch.

Planungsriese, Umsetzungszwerg

Die dritte Forderung ist nicht weniger simpel und trotzdem noch nicht Realität: Alle erfolgreichen Reformpool-Projekte sollten endlich österreichweit verbreitet werden. „Wir sind Planungsriesen und Umsetzungszwerge“, so Haas. Die Liste der im Kleinen erfolgreichen Projekte ist lang und reicht von der „präoperativen Befundung“, die sinnlose und teure Untersuchungen erspart, über interdisziplinäre Aufnahmestationen – das Spital schickt fehlgeleitete Patienten an die Hausärzte zurück – bis zur flächendeckenden Herzinfarkt- und Diabetesvorsorge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2010)

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