Jobprojekt: Zurück zum Arbeitsmarkt

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Neun Caritas-Projekte – die Arbeiter kommen nur wenige Stunden pro Woche – mit 360 Plätzen gibt es in Wien. Mit gutem Erfolg. Die Caritas fordert von Minister Mitterlehner ein "sozial verträgliches" Sparpaket.

Mit einem Fuß zurück am Arbeitsmarkt JobProjekt. Die Caritas fordert von Minister Mitterlehner ein „sozial verträgliches“ Sparpaket. Von Christoph Schwarz Wien. Die beiden Termine könnten unterschiedlicher kaum sein: Gerade noch äußerte Reinhold Mitterlehner bei einem Staatsbesuch seines ungarischen Amtskollegen seine Bedenken gegen eine Bankensteuer – nur wenige Minuten später steht er zwischen unzähligen Stofftaschen, die in der Ottakringer Straße von einer Gruppe Langzeitarbeitsloser gefertigt werden. Der ÖVP-Wirtschaftsminister ist zu Besuch bei „hke“ – einer Einrichtung der Wiener Caritas. Sozialhilfeempfänger, die keine Chancen haben, in andere arbeitspolitische Maßnahmen aufgenommen zu werden, sollen hier an den Arbeitsalltag herangeführt werden. Mehrere Frauen und Männer sitzen an kleinen Tischen vor Nähmaschinen. Sie fertigen Tragetaschen in allen Größen und Formen, die in dem Betrieb an Schnüren von der Decke hängen.

Produziert wird unter „marktwirtschaftlichen“ Bedingungen. Nur wer professionell arbeite, gut verkäufliche Ware produziere und Lohn erhalte, könne in der Arbeitswelt wieder Fuß fassen, heißt es bei der Caritas. Die meisten Mitarbeiter haben keine Ausbildung, sind psychisch krank oder kommen aus zerrütteten Familien oder der Obdachlosigkeit. Insgesamt neun „niederschwellige“ Caritas-Projekte – die Arbeiter kommen nur wenige Stunden pro Woche – mit 360 Plätzen gibt es in Wien. Mit gutem Erfolg: 30 Prozent finden laut Caritas dauerhaft auf den sogenannten „ersten Arbeitsmarkt“ zurück, ein weiteres Drittel sei zumindest „fit dafür“.

Mindestsicherung als Gefahr?

Der Minister nickt anerkennend. Auf den ersten Blick wirkt er dennoch fehl am Platz. Eher verhalten nähert er sich den Arbeitern, stellt kurze Fragen: „Was haben Sie vorher gemacht? Und hilft Ihnen das weiter hier?“ Die Antworten fallen einsilbig aus. Mitterlehner wirkt etwas steif, dabei aber angenehm dezent. Er ist kein klassischer Händeschüttler. „Ich will den Menschen nicht zu nahe treten“, sagt er leise. Gekommen zu sein scheint der Minister vor allem, um über die Mindestsicherung zu sprechen. Der Nationalrat hat das SPÖ-Prestigeprojekt bereits abgesegnet, sobald die Länder die Regelung umsetzen, tritt die Mindestsicherung – 744 Euro monatlich – an die Stelle der Sozialhilfe. Gegenüber der Caritas-Führung gibt sich Mitterlehner kritisch: „Erschwert die Mindestsicherung Ihre Arbeit nicht?“ Das Grundeinkommen dürfe nicht zum „reinen Geldbezug“ werden, der Leute von der Rückkehr auf den Arbeitsmarkt abhält, wird Mitterlehner an diesem Tag noch öfter argumentieren. Wiens Caritas-Direktor, Michael Landau, hält dagegen: Zwar lege er Wert auf eine umsichtige Umsetzung, damit kein Schaden an Projekten entstehe. Grundsätzlich sei er aber „froh, dass es zu einer österreichweiten Lösung gekommen ist“ und die Betroffenen endlich in die Krankenversicherung einbezogen würden. Die Debatte um den Abstand zu den Arbeitslöhnen verstehe er nicht. „Die meisten arbeiten nicht wegen des Geldes, sondern weil ihnen ein Job ihr Ansehen und ihr Selbstwertgefühl zurückgibt“, so Landau.

Ganz ähnlich verhält es sich bei den Bewohnern des „Juca“ – einem Caritas-Heim für junge Obdachlose im Alter von 18 bis 30 Jahren, durch das der Minister 20 Minuten später geführt wird. 66 Plätze gibt es, dazu eine Notschlafstelle. Und eine kleine Werkstatt. Auch hier sitzen junge Männer vor Stoffballen. Aus Filz fertigen sie Schlapfen in bunten Farben, vier Euro beträgt das „Taschengeld“ pro Stunde. Bis zu zwei Jahre lang dürfen sie bei der Caritas wohnen, begleitet von Sozialarbeitern und Psychotherapeuten. Den Wohlfühlminister will Mitterlehner auch hier nicht mimen. Er spricht über das Drogenproblem bei obdachlosen Jugendlichen und erzählt in der Runde von seinen Erfahrungen mit disziplinlosen Arbeitslosen, die lieber Bier trinken, statt zu arbeiten.

Mehr Respekt vor Arbeitslosen

Landau nimmt es gelassen – erst später wird er „allgemein mehr Behutsamkeit im Zungenschlag“ der Politiker fordern, wenn sie über Arbeitslose und „Arbeitsunwillige“ reden. Von Mitterlehner fordert der Caritas-Direktor eine Sozialverträglichkeitsprüfung für die anstehenden Sparvorhaben der Regierung. „Mit geringen Einsparungen wird oft großer Schaden angerichtet.“ Vor allem bei Jugendlichen: „Es ist ein fatales Signal, wenn die Gesellschaft jungen Menschen vermittelt, dass sie gar nicht gebraucht werden.“ Wie dramatisch die Entwicklung ist, zeige sich im Caritas-Wohnheim: Noch vor wenigen Jahren lag der Altersschnitt hier bei 27 Jahren. Mittlerweile ist er auf nur 22 Jahre gesunken. „Die Grundbotschaft habe ich verstanden“, sagt Reinhold Mitterlehner, bevor er – in der Hand ein Paar geschenkter Schlapfen – geht. „Vor bösen Diskussionen wird uns das aber nicht schützen.“

Auf einen Blick

■Die Caritas Wien will mit neun Beschäftigungsprojekten langzeitarbeitslose Frauen und Männer in den Arbeitsmarkt integrieren. Das erste Projekt startete vor 20 Jahren, mittlerweile bietet die Caritas rund 360 Menschen Übergangsjobs und individuelle Betreuung. Beschäftigt werden Menschen mit „komplexen Problemlagen“: Schulabbrecher, Obdachlose, Süchtige, Migranten ohne Deutschkenntnisse und auch psychisch kranke Menschen. ■Das Projekt „Juca“ richtet sich speziell an junge Obdachlose. Sie können zur Reintegration bis zu zwei Jahre lang im Caritas-Heim in der Römergasse leben und arbeiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2010)

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