Wehr-Ersatzdienst: Pflicht zum Sozialdienst wäre zulässig

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WehrErsatzdienst Pflicht Sozialdienst waere(c) APA (ROLAND SCHLAGER)
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Auch wenn die Wehrpflicht fällt, könnten Bürger zu Sozialarbeiten gezwungen werden. In Vorarlberg sind Frondienste sogar geltendes Recht.

Wird die Wehrpflicht gekippt, dann fallen auch die momentan rund 13.000 Zivildiener weg. Der Ersatz durch hauptberufliche Mitarbeiter würde allein beim Rotem Kreuz mit 200 Millionen Euro jährlich zu Buche schlagen. Nicht zuletzt deswegen taucht die Frage auf, ob man Bürger nach Abschaffung der Wehrpflicht noch zu Sozialdiensten verpflichten könne. Schließlich ist die Zwangsarbeit laut Artikel 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verboten, die Wehrpflicht wird aber ausdrücklich als Ausnahme genannt.

Doch es gibt noch eine weitere, weniger scharf definierte Ausnahme: „Jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den normalen Bürgerpflichten gehört“, sei auch zulässig, meint die EMRK. Würde ein zwangsweiser Sozialdienst unter diese Definition fallen? Ja, meint Verfassungsexperte Theo Öhlinger. „Ich glaube, dass der Sozialdienst als allgemeine Bürgerpflicht durchaus EMRK-konform gestaltbar ist“, erklärt Öhlinger im Gespräch mit der „Presse“. Zur Grenze der zulässigen Zwangsarbeit gibt es zwar kaum Judikatur, doch bisherige Gerichtsentscheidungen sprechen für die Möglichkeit von sozialen Zwangsdiensten. So entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, dass es zulässig sei, wenn norwegische Ärzte eine Zeit lang im Norden des Landes lebten und praktizieren müssten. Und man mag es kaum glauben, aber selbst in Österreich ist Zwangsarbeit geltendes Recht, nämlich in Vorarlberg. Und die Regelung im Ländle wurde vom österreichischen Verfassungsgerichtshof bereits als verfassungskonform beurteilt.

88-Jährige sollte Arbeit verrichten

Die Vorarlberger Gemeindeordnung sieht vor, dass man Bürger zu „Hand- und Zugdiensten“ verpflichten kann. Beliebte Pflichten sind etwa die Betreuung von Wanderwegen oder Schneeräumungen. Man kann die Dienste aber auch von einem Vertreter erledigen lassen oder sich durch eine Zahlung an die Gemeindekasse freikaufen. 400.000 Euro pro Jahr fließen so in die Kassen der 31 Vorarlberger Gemeinden, die ihre Bürger noch zu Frondiensten zwingen. Diese Gemeinden liegen vor allem im Montafon, im Bregenzer Wald und im Großen Walsertal. Immer wieder gebe es auch Beschwerden von älteren und gebrechlichen Leuten, die zu Diensten herangezogen werden sollen, berichtet Josef Scherer, Jurist in der Vorarlberger Landesvolksanwaltschaft. Das drastischste Beispiel war eine 88-jährige Frau, die zu Frondiensten gezwungen werden sollte. Schließlich verzichtete die Gemeinde doch auf die Mitwirkung der Pensionistin.

Dienst für Frauen und Männer

Wie könnte nun ein zwangsweiser Sozialdienst für alle Bürger rechtlich korrekt gestaltet sein? Es werde nicht wie beim Wehrdienst zulässig sein, nur Männer zu verpflichten, sagt Öhlinger. Auch müsse das Entgelt für eine verpflichtende Sozialarbeit zumindest so hoch sein, dass man damit „überleben könne“. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, sei es aber rechtlich zulässig, Bürger „für einige Monate“ zu Sozialdiensten zu verpflichten.

("Die Presse" Printausgabe vom 7. 10. 2010)

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