Bawag: Das größte Verfahren der Geschichte

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Der Fall Bawag: Zwischen dem Auffliegen des Skandals und dem ersten Prozesstag vergingen nicht einmal eineinhalb Jahre. Alle neun Angeklagten wurden verurteilt. Am schwersten erwischte Helmut Elsner.

Wien. Eine Schadenssumme von 1,72 Milliarden Euro, neun Angeklagte, 117 Prozesstage: Die gerichtliche Aufarbeitung der Bawag-Affäre war das größte Wirtschaftsverfahren der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Am 4. Juli 2008 fielen die Urteile: Alle neun Angeklagten wurden schuldig gesprochen, acht fassten eine unbedingte Haftstrafe aus. Am schwersten erwischte es den ehemaligen Bawag-Generaldirektor Helmut Elsner, der zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde.

Doch der Bawag-Prozess war auch in einer anderen Hinsicht rekordverdächtig. Zwischen dem Auffliegen der gescheiterten Karibikgeschäfte von Wolfgang Flöttl im Winter 2006 und dem ersten Prozesstag am 16. Juli 2007 vergingen nicht einmal eineinhalb Jahre. So flott arbeitet die Justiz in Österreich sonst nicht. In zahlreichen weniger komplizierten Wirtschaftscausae mit weit geringeren Schadenssummen gibt es nach jahrelangen Ermittlungen noch nicht einmal eine fertige Anklage. Nur bei der Causa Bawag funktionierte der Justizapparat wie am Schnürchen. Richterin Claudia Bandion-Ortner fühlte sich dennoch nicht gestresst: „Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“, sagte sie vor der Urteilsverkündung, „wir haben uns unbeeinflusst und unvoreingenommen entschieden, wir haben uns viel Zeit genommen“.

Die wichtigsten Prozesstage

16. Juli 2007: Erster Verhandlungstag im Wiener Landesgericht. Die Anklage von Staatsanwalt Georg Krakow lautet in allen neun Fällen auf Untreue und Bilanzfälschung. Bei Helmut Elsner kommt noch der Vorwurf des schweren Betrugs hinzu. Von 1995 bis 2000 habe der Bawag-Vorstand über 1,4 Milliarden Euro in „verbotene Spekulationen“ investiert (der Betrag wurde später noch erhöht).
17. Juli: Alle Angeklagten bekennen sich „nicht schuldig“.
8. Oktober: Der vom Gericht bestellte Gutachter Christian Imo wird wegen Befangenheit enthoben und durch den Grazer Wirtschaftsprüfer Fritz Kleinert ersetzt. Eine Woche später muss auch die Schöffin Petra Z. wegen Befangenheit ausgetauscht werden.
26. November:Als erster Angeklagter legt der ehemalige Bawag-Chef Johann Zwettler ein Teilgeständnis ab. „Mein Motto war ,Augen zu und durch‘. Das bedauere ich unendlich“, sagt er. Am 28. November bekennt sich auch der frühere Bawag-Aufsichtsratspräsident Günter Weninger teilweise schuldig.
16. Jänner 2008: Wolfgang Flöttl gesteht einen Beitrag zur Untreue und belastet den Bawag-Vorstand.
17. Jänner: Gutachter Fritz Kleiner belastet die früheren Bawag-Vorstände. Sie hätten einen „Gang ins Casino“ angetreten. Flöttl habe extrem riskant investiert und offenbar den Überblick über seine Geschäfte verloren. Hinweise auf eine missbräuchliche Verwendung des Geldes sieht der Gutachter nicht. 29. Februar: Im Keller von Ex-Bawag-Generaldirektor Walter Flöttl werden Unterlagen gefunden, die den Verdacht auf eine Finanzierung von ÖGB und SPÖ durch die Bawag nähren. Es geht um rund eine Milliarde Schilling (72,7 Millionen Euro).
20. Mai: Zur Feier des 100. Verhandlungstages präsentiert die zweite Staatsanwältin Sonja Herbst im Gerichtssaal eine Geburtstagstorte. Die Oberstaatsanwaltschaft kritisiert diese Aktion.
21. Mai: Die ersten Schuldsprüche fallen – allerdings an einer Nebenfront. Es geht um das sogenannte „Plastiksackerl“-Geldgeschenk von Helmut Elsner an den ehemaligen Konsum-Chef Hermann Gerharter. Elsner wird zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, Gerharter zu zwei Jahren und Ex-Bawag-Generalsekretär Peter Nakowitz zu 15 Monaten.
12. Juni: Gutachter Fritz Kleiner beantwortet die letzten von über tausend Fragen, die ihm Elsners Verteidiger gestellt hat.
24. Juni: Staatsanwalt Krakow fordert neun Schuldsprüche.
30. Juni: Die Angeklagten richten ihre Schlussworte an das Gericht. Helmut Elsner argumentiert mit seinem blinden Vertrauen in Wolfgang Flöttl. Dessen Ehefrau Anne Eisenhower bietet dem Gericht einen Deal an: fünf Millionen Dollar, wenn ihrem Mann eine Haftstrafe erspart bleibt. Der Schöffensenat zieht sich zu Beratungen zurück.
4. Juli: Richterin Claudia Bandion-Ortner verkündet die Urteile: neuneinhalb Jahre für Helmut Elsner, fünf Jahre für Johann Zwettler, vier Jahre für Peter Nakowitz. Wolfgang Flöttl bekommt zweieinhalb Jahre, allerdings nur zehn Monate unbedingt. Die Ex-Bankvorstände Hubert Kreuch und Josef Schwarzecker werden zu je dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, ihr Kollege Christian Büttner zu eineinhalb Jahren bedingt und einer Geldstrafe. Ex-Aufsichtsrat Günter Weniger bekommt sechs Monate unbedingt, der ehemalige Wirtschaftsprüfer Robert Reiter ein Jahr unbedingt.

Keines der Urteile ist rechtskräftig, weil alle Angeklagten Berufung eingelegt haben. Helmut Elsner sitzt seit dreieinhalb Jahren in Untersuchungshaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2010)

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