Was ist dran an den Botschaften des Botschafters?

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Die Aussagen des türkischen Botschafters Kadri Ecvet Tezcan in Wien im „Presse"-Interview haben landesweit sehr hohe Wellen geschlagen. Wie sieht die Wirklichkeit abseits der Empörung aus? Ein Reality Check.

Türken in Österreich

Botschafter Tezcan: „Warum habt ihr 110.000 Türken eingebürgert?" In Österreich leben rund 183.000 Menschen, die in der Türkei geboren wurden bzw. einen türkischen Pass besitzen. Das sind 2,2 Prozent der Gesamtösterreichischen Bevölkerung. Wenn der türkische Botschafter in Wien, Kadri Ecvet Tezcan, von 250.000 Menschen spricht, die er vertritt, dann bezieht er sich auf die Mikrozensus-Erhebung aus dem Jahr 2009. Demnach haben 247.500 Menschen in Österreich einen türkischen Migrationshintergrund. Seit 1981 wurden 124.498 Türken eingebürgert. Dabei fanden die meisten Einbürgerungen - 13.665 - im Jahr 2003 statt.

Viele Hausfrauen

„Hausfrau zu sein ist auch ein Job", sagt Botschafter Tezcan. Diesem Job gehen in Österreich überdurchschnittlich viele türkische Frauen nach. Die Erwerbsquote von Frauen mit türkischem Migrationshintergrund beträgt 39 Prozent; bei den Österreicherinnen sind hingegen 69 Prozent erwerbstätig. Die Tätigkeit im Haushalt bringt auch mit sich, dass die betroffenen Frauen kaum Deutsch sprechen. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts GfK verfügen nur fünf Prozent der türkischen Hausfrauen über gute Deutschkenntnisse. Jede zweite spricht kaum oder sehr schlecht Deutsch.

Im Rampenlicht

„Ich sehe viel Erfolg", sagt der Botschafter und fragt, warum in den Medien nicht mehr Erfolgsgeschichten von türkischen Migranten präsentiert werden. Diese Geschichten gibt es. „Aus dem Morgenland" heißt sein Nachname übersetzt - der von Attila Dogudan. Der Edel-Caterer gilt als einer der erfolgreichsten Unternehmer in Österreich mit türkischen Wurzeln. So auch der Modedesigner Atil Kutoglu, dessen Kreationen unter anderem Naomi Campbell und Catherine Zeta-Jones getragen haben. Sie zählen zu den insgesamt rund 7000 türkischstämmigen Unternehmern in Österreich (laut Wirtschaftskammer). Erfolgreich sind türkische Migranten auch in anderen Bereichen: Vom Wiener Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus in die deutsche Bundesliga hat es es der Fußballspieler Ümit Korkmaz geschafft. Er kickte bei SK Rapid Wien, bevor er 2008/09 zu Eintracht Frankfurt wechselte. Eine erfolgreiche Zukunft ist wohl auch Aylin Kösetürk beschieden. Die 17-Jährige wurde Anfang des Jahres „Austrias Next Topmodel". Die erste Migrantin im österreichischen Nationalrat wurde indessen Alev Korun (Grüne). Im wissenschaftlichen Bereich haben sich Hakan Gürses (Philosoph) und Kenan Güngor (Soziologe) einen Namen - aus dem Morgenland - gemacht.

Integrationsfragen

„In Österreich ist das Innenministerium für Integration verantwortlich. Das ist unglaublich." Die Forderung des türkischen Botschafters, Innenministerin Fekter die Agenden zur Integration von Ausländern zu entziehen, ist nicht neu. Zuletzt hat EU-Abgeordneter Othmar Karas ein Staatssekretariat für Integration gefordert. Eine ähnliche Debatte ist in Deutschland im Gang. In derzeit zehn von 27 EU-Ländern ist das Innenministerium für die Integration von Zuwanderern zuständig. Doch in der Mehrzahl der EU-Ländern gibt es entweder ein eigenes Integrationsministerium (zum Beispiel: Irland, Luxemburg, Schweden, Dänemark) oder die Agenden sind dem Arbeits- und Sozialministerium Beziehungsweise einem anderen Ressort zugeordnet.

Diplomatie gefragt

„Als ich um ein Treffen mit dem Außenminister ansuchte, hieß es, der Außenminister empfängt keine Botschafter."
Antrittsbesuche seien „grundsätzlich nicht üblich", heißt es dazu im Außenministerium. Bilaterale Treffen finden „anlassbezogen" statt.
Diplomaten sehen bei Tezcans Interview mehrere „rote Linien" überschritten: Kritik an einzelnen Ministern oder Parteien gelten als ebenso verpönt wie öffentliche Kritik am „Empfangsland". Würde sich ein österreichischer Botschafter im Ausland ähnlich äußern, wäre dies nicht akzeptabel, heißt es im Außenamt. Zudem gebe es keine Trennung zwischen dienstlich und privat: Wenn sich ein Botschafter öffentlich äußere, so sei dies nie eine „Privatmeinung".

Sozialdemokratie

„Ich habe noch nie eine solche sozialdemokratische Partei wie hier gesehen. Normalerweise verteidigen Sozialdemokraten Menschenrechte."
Jedenfalls hat Botschafter Tezcan wohl in keinem anderen Land Europas eine sozialdemokratische Partei gesehen, die so deutlich gegen einen EU-Beitritt der Türkei ist. Die SPÖ will diesen ja - gemäß dem Regierungsübereinkommen - auch einer Volksabstimmung unterwerfen.
Dass sich Sozialdemokraten - oder Parteien, die sich dafür halten - für Menschenrechte einsetzen, ist allerdings nicht ausgemacht. Dazu hätte Tezcan nur in seine türkische Heimat blicken müssen: Die von Atatürk gegründete Republikanische Volkspartei nennt sich zwar sozialdemokratisch, hat aber (Stichwörter: Kurden, Meinungsfreiheit) keine besonders eindrucksvolle Bilanz beim Thema Menschenrechte.

Bildungsstatistik

Botschafter Tezcan fordert eine Matura auf Türkisch. In Österreich beträfe das an den AHS jährlich aber nur 400 Schüler, die Türkisch als Umgangssprache sprechen; an den BHS wären es jährlich 500. Denn die meisten türkischen Migranten kommen hier gar nicht bis zur Matura. 68 Prozent haben höchstens einen Pflichtschulabschluss. An den Sonderschulen machen türkische Migranten sogar zehn Prozent aus, an den AHS und BHS hingegen nur zwei Prozent. An eine österreichische Uni schaffen es immer mehr türkische Staatsbürger: 2000 waren es noch 1700, zuletzt bereits knapp 3500. Der Großteil sind aber Türken, die erst fürs Studium ins Land gekommen sind, und nicht solche, die schon hier geboren sind. 142 Lehrer unterrichten derzeit muttersprachlichen Türkischunterricht als unverbindliche Übung oder Freigegenstand, genützt wird das von 14.000 Schülern - die meisten sind Volksschüler. Tezcan will 100 Lehrer aus der Türkei für regulären Türkischunterricht holen.

Schulabbrecher

„Wir haben ein Problem mit Mädchen, die mit 13 nicht mehr in die Schule gehen."
77 Prozent der Türken und 89 Prozent der Türkinnen haben laut MigrantInnenbericht 2007 des Bundeskanzleramts nur eine Pflichtschule absolviert. Dass 13-Jährige aus der Schule genommen werden, ist damit allerdings nicht zu belegen. Beratungsstellen wie „Orient Express" sind aber immer wieder mit Fällen konfrontiert, bei denen Mädchen nach Hilfe suchen - auch in Kombination mit drohender Zwangsverheiratung. Allein 2009 gab es 177 persönliche und 326 telefonische Beratungen dazu. Offen bleibt die Dunkelziffer jener, die sich keiner Beratungsstelle anvertrauen.

Migranten im Vergleich

Erwerbstätige Türken verdienten mit durchschnittlich 17.341 Euro netto im Vorjahr etwas mehr als Personen aus Exjugoslawien (17.304 Euro) und Nicht-EU-Staaten (15.720 Euro). Das geht aus dem Migrationsbericht der Statistik Austria hervor. Türken sind mit 40 Prozent aber öfter armutsgefährdet als alle anderen. Ursachen sind die größeren Haushalte und der Umstand, dass nur 54 Prozent der Erwachsenen erwerbstätig sind. Das ist die niedrigste Erwerbsquote unter allen Migrantengruppen. 68 Prozent der türkischstämmigen Bevölkerung hat maximal einen Pflichtschulabschluss, das ist der höchste Wert unter allen Migrantengruppen. Die geringe Ausbildung ist ein Grund für die häufigere Arbeitslosigkeit: Mit 14 Prozent waren die Arbeitslosigkeit unter Türken im Vorjahr doppelt so groß wie der Österreich-Schnitt.

Ghettobildung

„Wenn Türken in Wien Wohnungen beantragen, werden sie immer in dieselbe Gegend geschickt."
Den Vorwurf des türkischen Botschafters, dass die Türken in Ghettos gedrängt wurden, greift laut Regionalforscher Heinz Fassmann nicht - bei dieser Argumentation fehle der freie Markt. Zuwanderung in die Städte erfolgt meist in ganz bestimmte Viertel - dabei spielt das Einkommensverhältnis und damit die Suche nach einer billigen Wohngegend eine Rolle. Aber auch die Tatsache, ob sich in einer Gegend bereits Landsleute angesiedelt haben. Diese Dynamik führt zu Vierteln mit hoher Zuwandererdichte. In Wien leben die meisten Türken in den Bezirken Brigittenau (8,5 Prozent), Favoriten (7,7 Prozent), Rudolfsheim-Fünfhaus und Ottakring (7,3 Prozent). Von einer Ghettobildung, so Fassmann, kann hier nicht die Rede sein - „denn flächenmäßig hat Wien keine größere Konzentration."

Sprachkenntnisse

„Wenn Kinder ihre Muttersprache nicht korrekt lernen, werden sie auch eine andere Sprache nicht gut erfassen."
Die Linguistin Katharina Brizic etwa hat im Rahmen ihrer Studie „Bildungserfolg bei Sprachtod" beobachtet, dass es vor allem um die Reichhaltigkeit des Materials geht, mit dem Kinder in frühen Jahren konfrontiert werden: Diese Reichhaltigkeit ist eher gegeben, wenn die Eltern in ihrer Muttersprache reden, vorlesen oder vorsingen. Aber wie erklären sich die Defizite gerade bei türkischen Kindern? In der Türkei trieb Atatürk um 1928 eine große Sprachreform voran - das Ergebnis, das heutige Hoch-Türkisch, ist eine aus dem Osmanischen und mehreren Dialekten destillierte Kunstsprache, die sich nicht in allen Teilen der Türkei durchgesetzt hat: Mit dem Ergebnis, dass Migranten in Österreich zuweilen weder das Türkische noch das Deutsche hinlänglich beherrschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11. November 2010)

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Er bedauere den Wirbel um ihn, so der türkische Diplomat. Sonst hielt er sich sehr zurück. Mit seinen Aussagen habe er lediglich eine Integrationsdiskussion anregen wollen.

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