Dissertation Hahns: 12 Seiten auffällig

Dissertation Hahns Seiten auffaellig
Dissertation Hahns Seiten auffaellig(c) EPA (OLIVIER HOSLET)
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Die Überprüfung der Uni-Arbeit des heutigen EU-Kommissars läuft an. Plagiatsjäger im Internet beteiligen sich, die Arbeit ist seit mehreren Wochen online aufzurufen. Experte Weber rechnet mit neuen Erkenntnissen.

Wien. Ein Fall Guttenberg ist die Dissertation von Johannes Hahn bisher nicht: Das Interesse der Österreicher ist offenbar gar nicht so groß, die Uni-Abschlussarbeit des heutigen EU-Kommissars für Regionalpolitik und früheren Wissenschaftsministers der ÖVP zu durchleuchten. Und das, obwohl schon vor Jahren der heimische Plagiatsjäger Stefan Weber und andere die „schlampige“ Zitierweise in der Philosophie-Arbeit Hahns aus dem Jahr 1987 kritisiert haben. Seit Ende Februar untersucht Weber die Arbeit erneut – diesmal allerdings nicht auf eigene Faust, sondern im Auftrag und auf (Partei-)Kosten des Grün-Abgeordneten Peter Pilz.

Außerdem steht Hahns Arbeit seit mehreren Wochen in vollem Umfang im Internet, aufzurufen unter anderem über die Wiki-Plattform „PlagiPedi“. Und auf „AntiPlagAustria“ kann jeder Auffälligkeiten in der Arbeit Hahns über „Die Perspektiven der Philosophie heute dargestellt am Phänomen Stadt“, vorgelegt an der Universität Wien, publik machen.

Kritiker: „Zynismus“ bei Fußnoten

Das ist so geschehen, wenn auch bisher „nur“ in geringem Umfang: Auf zwölf der insgesamt 282 Seiten (Stand: Freitag) wollen User zuletzt unsauberes wissenschaftliches Arbeiten des heutigen EU-Politikers ausfindig gemacht haben – Einträge und Kommentare auf „AntiPlagAustria“ kann grundsätzlich jeder vornehmen; online ist die Initiative seit dem 6.März aktiv. Gegründet wurde sie neben anderen vom Wiener Philosophie-Professor und Hahn-Kritiker Herbert Hrachovec.

So lässt sich auf der Plattform zum Beispiel ein Teilnehmer über ganze Passagen in der Hahn-Arbeit aus, die offensichtlich stark an Teile des Werks „Die überentwickelten Nationen“ des Philosophen Leopold Kohr angelehnt sind: „Dieses Plagiat ist an Zynismus kaum zu überbieten. Eine Fußnote von Kohr [...] wird abgeschrieben, aber statt ,merkwürdigerweise‘ wird ,interessanterweise‘ eingesetzt.“

Ob es sich in solchen Fällen um Plagiat handelt, also um (absichtlichen) geistigen Diebstahl, oder „nur“ um (möglicherweise unabsichtliches) unvollständiges oder fehlendes Zitieren, ist aber weiterhin umstritten. 2007, nach den ersten Vorwürfen durch Stefan Weber, hatte Hahns Alma Mater, die Uni Wien, den Philosophen Peter Schulthess von der Universität Zürich mit einem Gutachten zur Causa beauftragt. Der Schweizer kam damals zu dem Schluss, dass erhobene Anschuldigungen nicht voll bestätigt werden könnten, einen Plagiatsvorwurf wollte der Gutachter nicht äußern.

Während 2007 nicht die komplette Arbeit Hahns geprüft wurde, will Weber nun „nicht nur 80, sondern 100Prozent untersuchen“, wie er der „Presse“ sagte. Ursprünglich hatte er auf die Hilfe der Internet-Community – insbesondere auf „AntiPlagAustria“ – gezählt, und zwar nach „Vorbild“ des Falls Guttenberg: Gegen den mittlerweile wegen Plagiats zurückgetretenen deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatten sich zahlreiche User in ein (Google-)Screening von dessen Dissertation eingeschaltet – und einen umfassenden Report auf http://gut.greasingwheels.org/ ermöglicht.

Diesmal Komplettuntersuchung

„Ich hingegen bin hier, mit Hahns Arbeit, mehr oder weniger auf mich allein gestellt“, sagt Weber. Daher werde es „realistischerweise noch bis Ende April, wenn nicht Mai dauern“, bis er seinem Auftraggeber Pilz und der Öffentlichkeit Ergebnisse präsentieren könne; davor müsse er noch Bücher bestellen, mit denen er Hahns Dissertation „gegenchecken“ will. Weber geht aber fix davon aus, dass er diesmal „noch mehr“ finden wird als bei seiner ersten Blitzuntersuchung. Weber ist hauptberuflich Vortragender für Publizistik und Medienforschung an österreichischen und deutschen (Uni-)Instituten; vor seiner zweiten Hahn-Untersuchung will er noch die umstrittene Dissertation von „Medienprinz“ Mario-Max Schaumburg-Lippe an der Uni Innsbruck fertig auf Plagiate prüfen.

Hahn selbst hatte bereits in einem „Presse“-Interview betont, er stehe neuen Untersuchungen „sehr gelassen“ gegenüber. „Da wird das Gleiche herauskommen wie beim Gutachten (Schulthess', Anm.) 2007.“ Also: kein Plagiat, keine Konsequenzen.

Karl plant weitere Expertenrunde

Für Sanktionen gegen Übeltäter beim wissenschaftlichen Arbeiten sind in Österreich – wie in Deutschland – die Unis zuständig; die Strafen können bis zur Aberkennung des Doktortitels reichen. An den Unis, den Fachhochschulen und der Agentur für wissenschaftliche Integrität – die Plagiatsvorwürfe prüft – suchen zurzeit Experten nach möglichen Lücken im Gesetz und in den Studienregeln zum Thema „richtiges wissenschaftliches Arbeiten“. Im Auftrag von Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) bilden sie eine Arbeitsgruppe, die Verbesserungsvorschläge für den Kampf gegen Plagiate machen soll. Ein Treffen der Gruppe gab es bereits, ein zweites könnte noch vor Ostern oder knapp danach stattfinden, heißt es im Ministerium.

Karl überlegt auch, die Sanktionen bei Fehlern oder Schwächen im wissenschaftlichen Arbeiten zu verschärfen – dies könnte abschreckende Wirkung haben.

Auf einen Blick

Auslöser der jüngsten Plagiatsdebatte war der Fall Guttenberg; dem CSU-Politiker wurde Plagiat bei seiner Dissertation nachgewiesen. Plagiatsjäger nehmen sich nun die umstrittene Arbeit Johannes Hahns (ÖVP) erneut vor. Zuletzt war die Tochter Edmund Stoibers (CSU), Veronica, mit ihrer Arbeit in die Schlagzeilen geraten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2011)

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