Premier: "Montenegro könnte DNA der EU bereichern"

(c) REUTERS (THOMAS PETER)
  • Drucken

Montenegros Premierminister Igor Lukšićim im Interview über die EU-Aussichten seines Landes und seinen Kampf gegen die Mafia.

Die Presse: Kroatien soll noch diese Woche grünes Licht für einen EU-Beitritt bekommen. Könnte Montenegro als nächstes dran sein?

Igor Lukšić: Dass die Verhandlungen mit Kroatien vor dem Abschluss stehen, ist eine Ermutigung für die ganze Region. Sollte die EU-Kommission Montenegro im Oktober einen positiven Fortschrittsbericht ausstellen, dann müsste der Europäische Rat grünes Licht für Beitrittsgespräche geben. Nach einem Screening unserer Gesetze beginnen die EU-Verhandlungen Kapitel für Kapitel. Wie lange die Verhandlungen dauern, wird von unseren Fortschritten abhängen.

Wo sehen Sie die größten Hürden für Montenegros Weg in die EU?

Der Integrationsprozesses hilft uns, unsere Institutionen aufzubauen. Auf diesem Weg wird auch unsere Gesellschaft europäischer. Wir müssen ein System ohne Diskriminierung schaffen, ohne Schattenwirtschaft, mit möglichst wenig Korruption und adäquaten Instrumenten für den Kampf gegen das organisierte Verbrechen.

Ist Ihr Vorgänger Milo Djukanović als Premier zurückgetreten, um ein Hindernis auf dem Weg Montenegros in die EU zu beseitigen?

Herr Djukanović ist seit mehr als 20Jahren in der Politik, fast durchwegs in hohen Regierungsfunktionen. Als Montenegro den EU-Kandidatenstatus erhielt, realisierte er, dass es genug für ihn ist und die nächste Generation montenegrinischer Politiker Verantwortung übernehmen soll.

Sie meinen also, Djukanović sei nun nicht mehr so wichtig wie bei der Loslösung von Serbien?

Die montenegrinische Gesellschaft hat sich während ihrer ganzen Geschichte auf starke Persönlichkeiten verlassen. Das hat uns manchmal daran gehindert, starke Institutionen aufzubauen. Vor dem Zweiten Weltkrieg entschied der König, dann kam der Kommunismus, dann die Übergangsphase zur Unabhängigkeit, in der wir sehr schwierige Entscheidungen treffen mussten.

Djukanović war also eine Art König Milo?

Ich würde ihn nicht König Milo nennen. Diese Wahrnehmung hatte vielleicht die Außenwelt. Ich weiß, dass er sich vor wichtigen strategischen Entscheidungen beriet.

Djukanović ist immer noch Chef Ihrer Partei. Wie einflussreich ist er?

Er wäre auch einflussreich, wenn er als Parteichef zurückgetreten wäre. Allein wegen seiner Erfahrung und seiner Statur. Alles, was er in der Öffentlichkeit sagen würde, hätte einen gewissen Einfluss.

Am Ende der 1990er-Jahre hatte der Zigarettenschmuggel, in den Djukanović offensichtlich verwickelt war, einen sehr hohen Anteil an Montenegros Bruttonationalprodukt. Was ist Montenegros Geschäftsmodell der Zukunft?

Wir müssen uns auf die Marktwirtschaft verlassen, auf kleinere und mittlere Betriebe. Den Zigarettenschmuggel der 90er-Jahre muss man im Kontext sehen. Montenegro war damals mit Sanktionen belegt und von den Kriegen in der Region betroffen. Damals gab es keine Auslandsinvestitionen.

Ist der Zigarettenschmuggel immer noch ein einträgliches Geschäft?

Nein, als Finanzminister habe ich Maßnahmen ergriffen, um den Schmuggel stark zurückzudrängen. Der Schwarzmarktanteil bei Zigaretten liegt nun unter zehn Prozent, das ist weniger als anderswo in Europa. Es gibt viele Fehlinterpretationen. Wir wenden viel Kraft auf, um unser Image zu verbessern, und zwar nicht nur durch Reden, sondern auch durch Taten.

Wie stark ist das organisierte Verbrechen in Montenegro?

Unlängst hat eine Studie zur Überraschung einiger Montenegriner ergeben, dass Montenegro am wenigsten von allen Ländern der Region von organisierter Kriminalität betroffen ist. Unsere Sicherheitsbehörden waren zuletzt sehr erfolgreich in der Drogenbekämpfung und kooperierten dabei europaweit. In den vergangenen Monaten wurden Hunderte Kilogramm Kokain beschlagnahmt.

Montenegrinische Behörden überprüfen, ob die Hypo Alpe Adria in Geldwäsche verwickelt war. Gibt es schon Ergebnisse?

Es gibt noch keine Resultate. Die Staatsanwaltschaft hat in diesem Zusammenhang jüngst Anklage gegen (den serbischen Kokainhändler, Anm.) Darko Sarić erhoben.

Welchen Mehrwert hätte es für die Europäische Union, wenn Montenegro mit seinen gut 600.000Einwohnern beiträte?

Montenegro als multiethnische, multikulturelle Gesellschaft könnte die DNA der EU bereichern. Zudem würde der Erweiterungsprozess mit der Integration des Westbalkans abgerundet werden. Wie drei Viertel der Bevölkerung befürworte ich, dass Montenegro der EU beitritt.

Wird 20 Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens möglicherweise auch innerhalb der EU eine neue Jugo-Sphäre entstehen?

Es ist normal, dass Nachbarn der Region kooperieren. Mann kann nie zu 100Prozent zufrieden sein mit der Zusammenarbeit in der Region. Mit Serbien gab es Verstimmungen, weil Montenegro die Unabhängigkeit Kosovos anerkannte. Doch jetzt haben wir wieder bessere Beziehungen. Je mehr wir verstehen, dass unsere Region eines der größten Wachstumspotenziale in Europa hat, desto einfacher wird es für uns alle.

Zur Person

Igor Lukšić (geb. 1976 in Bar) ist seit 2010 Montenegros Premierminister und damit jüngster Regierungschef der Welt. Seine Karriere hat er 2001 im Außenministerium begonnen. 2004 wurde er Finanzminister, ehe er 2008 stellvertretender Premierminister wurde. Der Ökonom ist verheiratet und hat zwei Kinder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10. Juni 2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.