Proteste in KGB-Affäre: „Schande“ über Österreich

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Litauen berief seinen Botschafter ein, weil Österreich den russischen Verantwortlichen für die Blutnacht von 1991 laufen ließ. War der Haftbefehl gegen Michail Golowatow zu vage, oder intervenierte gar Moskau?

Wien/Vilnius/Moskau/Brüssel. Von der üblichen Beschaulichkeit war am Montagvormittag in den Gässchen der mittelalterlichen Altstadt von Vilnius nicht viel übrig. Demonstranten hielten rot-weiß-rote Fahnen, auf denen Hammer und Sichel prangten, in die Höhe; andere riefen „Schande“ und bezichtigten die österreichische Politik, ein „Freund Putins“ zu sein.

Anlass für die Versammlung, zu der am Montag rund 300 Menschen vor die österreichische Botschaft kamen, ist ein Mann, dessen Konterfei auf Schwarz-Weiß-Plakaten über den Worten „Wanted“ anklagend in die Höhe gehalten wurde: Michail Golowatow.

Laut den litauischen Behörden ist der Ex-KGB-Oberst und ehemalige Kommandant der Spezialeinheit „Alpha“ einer der Hauptverantwortlichen für die „Blutnacht“ vom 13. Jänner 1991, die 14 Todesopfer gefordert hat.

Litauische Behörden versäumten Frist

Ihn hat Österreich am Donnerstag auf dem Flughafen Schwechat festgehalten und dann, nicht einmal 24 Stunden später, trotz eines europäischen Haftbefehls wieder laufen lassen. Der Tatverdacht gegen Golowatow sei im Haftbefehl nicht ausreichend formuliert gewesen, sagte Karl Schober, Leiter der zuständigen Staatsanwaltschaft Korneuburg, am Montag zur „Presse“. Die litauischen Behörden seien deshalb zweimal aufgefordert worden, die Vorwürfe zu konkretisieren, hätten aber die Frist verstreichen lassen.

Litauen ist von der juristischen Begründung nicht überzeugt. Der Fall hat mittlerweile eine diplomatische Krise ausgelöst. Am Montag berief Litauen seinen Botschafter in Österreich zurück nach Vilnius. Dem österreichischen Geschäftsträger in Vilnius, Josef Sigmund, überreichte die litauische Vizeaußenministerin eine Protestnote – und ein Geschichtsbuch über die Blutnacht. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Parlaments, Emanuelis Zingeris, drohte Österreich gar mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen.

Spindelegger verteidigt Vorgehen

Außenminister Michael Spindelegger, der am Montag am Rande des Brüsseler Außenministerrats seinen litauischen Kollegen, Audronius Ažubalis, zu einer Unterredung traf, verteidigte die Vorgangsweise im Fall Golowatow. In einem Rechtsstaat sei es ein wesentlicher Grundsatz, dass die Justizbehörden unabhängig entscheiden. Von einer Einflussnahme Russlands, über die russische Medien berichteten, wisse er nichts.

Der Vizechef der Internationalen Veteranenassoziation der Antiterroreinheit „Alpha“, Alexej Filatow, erklärte der Zeitung „Nowyje Izwestija“, dass die Befreiung Golowatows „dank der Anstrengungen des russischen Außenministeriums und der Staatsanwaltschaft gelungen ist“. Die Zeitung „Kommersant“ zitierte wie folgt eine Quelle aus dem russischen Außenamt: „Über die Linie des Außenministeriums und unsere Botschaft in Wien haben wir Demarchen abgesandt, in denen wir den österreichischen Partnern erklärt haben, dass die Causa Golowatow politisiert sei. Sie (die Partner; Anmerkung) haben das analysiert und ihren Schluss daraus gezogen.“ Der russische Botschafter in Österreich, Sergej Netschajew, dementierte diese Einflussnahme. Man habe „keinen politischen Druck“ ausgeübt; die Vorwürfe Litauens gegen Golowatow seien „fabriziert“.

Golowatow war am Montag für die „Presse“ nicht erreichbar. Er fühle sich gesundheitlich schlecht, hieß es im Pressedienst der „Alpha“-Veteranen. Als er am Samstag in Moskau aus Österreich angekommen war, hatte er noch erklärt: „Bei mir ist alles in Ordnung, jetzt ruhe ich mich einmal aus.“

Achtmal ungehindert in Europa

Golowatow, 1949 geboren, gehörte ab 1972 dem KGB und ab 1974 der Spezialeinheit „Alpha“ an. 1979 und 1980 diente er als Leibwächter von Politikern in Afghanistan. Seit 1993 betreibt er ein privates Sicherheitsunternehmen namens „Alpha B“. Der Geheimdienstexperte Andrej Soldatow vermutet gegenüber der „Presse“, dass Golowatow nur formal pensioniert sei und in Wirklichkeit noch für den Geheimdienst FSB arbeite. So leite er Sportorganisationen, die sich unter dem Dach der vom FSB kontrollierten Vereinigung „Dynamo“ befänden.
Der von den litauischen Behörden über die Koordinierungsstelle Eurojust eingebrachte europäische Haftbefehl gegen Golowatow wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit existiert seit dem 18. Oktober 2010. Wie es aus dem Wiener Außenamt heißt, sei der russische Staatsbürger seither achtmal völlig ungehindert durch Europa gereist: nach Zypern, Finnland und in die Tschechische Republik.

Auf einen Blick

Der Fall Golowatow. Am vergangenen Donnerstag wurde in Wien-Schwechat der von Litauen als Kriegsverbrecher gesuchte russische Bürger Michail Golowatow festgenommen. Einen Tag später wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt. Der Haftbefehl sei schwammig gewesen. Golowatow soll im Jänner 1991 als Kommandant der KGB-Truppe „Alpha“ gegen Zivilisten vorgegangen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2011)

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