Kurz und die bosnischen Gastarbeitermillionen

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Österreichs Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz besucht mit einer Delegation für zwei Tage Sarajewo und kritisiert, dass die bosnischen Migranten jedes Jahr 51 Millionen Euro in die alte Heimat überweisen.

Sarajewo. Wer ein Land wie Bosnien-Herzegowina, das beinahe jedes Jahr seine Regierung wechselt, verstehen will, muss nur dem Taxifahrer zuhören auf der Fahrt vom Flughafen ins Zentrum von Sarajewo. Eine gewisse Jugoslawien-Nostalgie, sagt der Mann in bestem Deutsch, sei nicht von der Hand zu weisen. Bis zu seinem Tod hätte Tito einen „demokratischen Kommunismus“ gepflogen und das Land im Griff gehabt. Aber heute?

Die Taxifahrt ist eine kleine Reise durch die bosnische Geschichte: kommunistische Wohnblöcke, die noch zerschossen sind aus den Kriegsjahren; k.u.k. Bauten, die an Wien erinnern oder an Graz; und schließlich der osmanische Teil, der viel älter ist als der österreichisch-ungarische. Wer in der Fußgängerzone von Sarajewo steht, schaut links sozusagen nach Wien und rechts nach Istanbul.

Inmitten der Massen hat es ein Politiker aus Wien ziemlich eilig: Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) ist mit einer Delegation für zwei Tage in Sarajewo, es ist die nächste Etappe auf seiner Tour durch die Herkunftsländer der österreichischen Migranten.

Mit 131.000 Personen sind die bosnisch-stämmigen Einwanderer die viertgrößte Gruppe nach den Deutschen, den Serben und den Türken. Kurz sagt, er wolle die Bosnier verstehen, deshalb besuche er das Land. In Wahrheit will er auch politische Signale versenden: Seht her, ich interessiere mich für eure Heimat. Ich meine es gut mit euch.

Hofiert wird der Staatssekretär in Sarajewo wie ein junger Monarch. Der Botschafter hat zwei Sicherheitsleute abgestellt, die ihm nicht von der Seite weichen. Die Vorstandschefs der Raiffeisenbank und der Merkur-Versicherung in Bosnien, Marktführer in ihrem jeweiligen Bereich, empfangen Kurz in ihren Büros. Die bosnische Pro-Europa-Bewegung schmiert ihm Honig um den Mund. Und kaum einer der Gesprächspartner vergisst zu betonen, wie beeindruckend nicht die Jugend des 25-jährigen Staatssekretärs sei.

Dabei ist Kurz eigentlich dem multiethnischen Charakter Bosniens auf der Spur. Im Umkreis von 500Quadratmetern beherbergt das Stadtzentrum eine jüdische Synagoge, ein serbisch-orthodoxes Gebetshaus, eine katholische Kirche und eine Moschee. Die Hälfte der Bosnier sind Muslime, 35Prozent gehören der serbisch-orthodoxen Kirche an, die überwiegend kroatisch-stämmigen Katholiken bringen es auf 15 Prozent.

Die Saudis – multiple Investoren

Am meisten beeindruckt den Staatssekretär die Moschee, ein imposantes Bauwerk mit Minarett und Muezzin. Nach dem Krieg musste das Gebetshaus wieder aufgebaut werden. Saudi-Arabien, das an allen Ecken und Enden Sarajewos zu investieren scheint, ist finanziell angeblich zu Hilfe geeilt.

Wie man hört, gefällt den Saudis nicht, wie die Bosniaken ihren Glauben leben: Außerhalb der Moschee sieht man kaum eine Frau mit Kopftuch, und drinnen rufen junge Gläubige schon einmal ihre E-Mails auf dem Smartphone ab, wenn sie sich nicht gerade in Richtung Mekka verneigen. Der bosnische Islam, seufzt der Staatssekretär, sei vergleichsweise „nicht so radikal“ wie jener vieler muslimischer Zuwanderer in Österreich.

Am nächsten Morgen trifft Kurz die bosnische Assistenzministerin für Flüchtlinge, Ruzmira Tihic-Kadric, die großen Einfluss hat auf die Diaspora. Ihren Landsleute in Österreich richtet sie aus, sie mögen ihre Wurzeln nicht vergessen, sich aber auch um eine gute Integration bemühen. Denn viele, sagt sie, kämen „leider nicht mehr zurück“.

Doch die Flüchtlinge sind auch ein Wirtschaftsfaktor in Bosnien. 51Millionen Euro überweisen allein die österreichischen Gastarbeiter jedes Jahr nach Hause. Kurz, der im Ausland sogar Krawatte trägt, gereicht das nicht eben zur Freude: Er könne diese Transfers nicht gutheißen. Es wäre besser, sagt er, wenn das Geld in Österreich investiert würde; wenn sich die bosnisch-stämmigen Migranten eine Eigentumswohnung in der neuen Heimat kauften, anstatt ein Haus zu bauen in der alten. „Das wäre uns Österreichern gegenüber loyaler.“

Der Staatssekretär absolviert ein dichtes Programm in diesen beiden Tagen, er pendelt zwischen dem Lifestyle im urbanen Sarajewo und dem politischen Auftrag. Ein Österreicher, der in Bosnien lebt und arbeitet, spricht Kurz an und gibt ihm eine kleine Einführung in die Lokalkunde der Stadt.

Diplomat Inzko – ein Politstar

Ernster ist das Gespräch mit Valentin Inzko, dem Hohen Repräsentanten für Bosnien (und Chef des Rates der Kärntner Slowenen), der seinem Landsmann die Ehre erweist. Der Spitzendiplomat ist in Bosnien ein Politstar, den die Medien umgarnen. Er repräsentiert die Internationale Gemeinschaft und kann Regierungsmitglieder absetzen. Mehrmals schon hat er von diesem Recht Gebrauch gemacht. Seine Ernüchterung verhehlt Inzko nicht, auch wenn er sich diplomatischer ausdrückt als die meisten Diplomaten: Bosnien, sagt er, entwickle sich langsamer als erhofft.

Dabei ist die Lage durchaus ernst: Die Sorge geht um, der noch so junge Staat könnte wieder zerfallen. Wenn sich Serben und Kroaten abspalteten, heißt es, wären die Muslime dem Einfluss der finanzkräftigen Saudis hilflos ausgeliefert. So könnte mitten in Europa ein radikal-islamischer Staat entstehen.

Doch diese Probleme vermag ein österreichischer Staatssekretär nicht zu lösen. Am Nachmittag wird Kurz zurückchauffiert auf den Flughafen, eskortiert von der Polizei, dann hebt er ab. Daheim wird er sich wieder um Integration kümmern und um die Bosnier, die ihrer Heimat treu bleiben, obwohl sie nicht wieder weggehen werden aus Österreich. Zurück bleibt ein Land, dessen Zukunft höchst ungewiss ist – links blickt es nach Wien und rechts nach Istanbul.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2011)

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