Polizeidaten: Wien gibt US-Druck nach

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Das Parlament entscheidet über den Austausch von DNA-Profilen und Fingerabdrücken mit den USA. Der Vertrag kam erst nach US-Drohungen zustande.

Wien. Im Innenausschuss des Parlaments wird heute über ein brisantes Abkommen Österreichs mit den USA beraten. Wird es ratifiziert – was noch heuer geschehen könnte – bekämen die US-Behörden damit automatisierten Zugang zu den DNA- und Fingerabdruck-Dateien des Innenministeriums.

Was die Abgeordneten nicht erfahren: Der Vertragsentwurf ist in den seit 2008 laufenden Verhandlungen unter Drohgebärden aus Washington zustande gekommen. Ein Mitarbeiter des Innenministeriums spricht von „Cowboy-Methoden“.

Folge von 9/11

Der geplante Abgleich von Polizeidaten zwischen Österreich und den USA geht auf Washingtons 9/11-Gesetzgebung zurück. Damals hat der Kongress beschlossen, dass jedes Land, dessen Bürger ohne Visa in die USA reisen wollen, künftig ein sogenanntes PCSC-Abkommen (steht für Preventing and Combating Serious Crime) unterzeichnen muss. 20 der 36Länder, deren Bürger visafrei in die USA reisen dürfen, haben das PCSC-Abkommen schon unterzeichnet, darunter auch Deutschland.

In der Praxis schicken die Behörden via Computer eine Anfrage, ob zu einem Fingerabdruck oder einem DNA-Profil etwas vorliegt. Wenn ja, erhält der Fragesteller Name, Alias-Name, Alter, Reisepassnummer und Strafregisterauszug übermittelt. Auch ein allfälliger Terrorismusverdacht geht dabei über den Atlantik. Bei „besonders relevanten“ Fällen sind sogar Informationen über Herkunft, politische Einstellung, Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft, religiöse Ausrichtung und sexuelle Orientierung zu übermitteln. Was „besonders relevant“ ist, wird im Vertrag nicht präzisiert.

Grundsätzlich dürfen Anfragen nur bei einem Verdacht auf ein bevorstehendes oder bereits begangenes Verbrechen gestellt werden, das mit mehr als einem Jahr Haft bedroht ist. Die große Ausnahme: Einigen sich die beiden Länder vorher im Einzelfall darauf, dann auch „für jeden anderen Zweck“.

Der Haken: Zwischen Europa und den USA gibt es fundamentale Unterschiede im Datenschutzrecht. Obwohl in der europäischen Datenschutzkonvention ausdrücklich vorgesehen, können Privatpersonen falsche oder widerrechtlich übermittelte Daten in den USA nicht beeinspruchen. Und bei der Unzahl von Datensätzen, um die es in dem Abkommen geht, kommt beides immer wieder vor.

Hat jemand nun Grund zur Beanstandung, etwa weil er in den USA zu Unrecht verdächtigt wird, geht das nur über den Umweg der unabhängigen Datenschutzkommission, die sich ihrerseits an die Chief Privacy Officers in Washington wenden muss – die sind aber weisungsgebundene Beamte.

Dass das Abkommen nun trotz dieser Differenzen zustande kommen dürfte, hat vor allem mit Druck vonseiten der USA zu tun: So steht es in einem der „Presse“ vorliegenden Verhandlungsakt und mehreren Depeschen der US-Botschaft, die erst kürzlich unbemerkt auf „WikiLeaks“ online gegangen sind.

Am deutlichsten war ein als „secret“ klassifiziertes Schreiben der US-Botschaft an Österreich im Herbst 2010. Kritische Anmerkungen der rot-weiß-roten Verhandler zum Vertragsentwurf würden die „Brauchbarkeit des Abkommens unterminieren“, weil sie mit US-Recht nicht vereinbar wären. Würde der Vertrag nicht bis 31.Dezember 2010 unterschrieben, müsste man „potenziell unerfreuliche Konsequenzen“ für die Teilnahme Österreichs am „Visa Waiver Program“ in Betracht ziehen.

„Das waren Cowboy-Methoden“

Heute will die US-Vertretung das Schreiben nicht mehr kommentieren, hält jedoch fest, dass die „Visa Waiver Program“-Teilnahme „vollkommen freiwillig“ sei. Das Außenministerium glaubt an eine Verwechslung. So habe es im US-Heimatschutzministerium einen Abteilungsleiter gegeben, „dessen Formulierungskünste tatsächlich nicht überall sehr geschätzt wurden“.

Zwei Monate später, am 21.Oktober 2010, erklärte das österreichische Verhandlungsteam mehreren Journalisten, dass die Gespräche in einem „freundlichen Klima“ stattgefunden hätten. Nun erzählt ein Beamter des Innenministeriums, wie er die Dinge und einen Besuch des US-Botschafters in seinem Ressort wahrgenommen hat: „In freundlichem Ton hat man uns in deutlichen Worten mitgeteilt, dass es eigentlich nichts zu verhandeln gibt, und unsere einzige Option eine Unterschrift ist. Für mich waren das Cowboy-Methoden.“

Bemerkenswert ist, wie sich die Position Österreichs gewandelt hat: Nach informellen Sondierungen 2008 und 2009 beauftragte der Ministerrat am 2.März 2010 eine vom Außenministerium geführte Delegation, mit den USA, ein Abkommen zum Austausch von Polizeidaten zu verhandeln. Der Abschluss sei aber „nur möglich“, wenn Rechtsschutz für die Durchsetzung der Rechte der Betroffenen festgeschrieben würde. In Artikel11 des fertigen Vertrages jedoch steht: „Privatpersonen erwachsen keine Rechte aus diesem Abkommen.“

Genau diesen Satz hatte Österreich zuvor zu streichen versucht. Trotzdem soll der Vertragstext nun zur Abstimmung kommen. Dem österreichischen Einknicken waren in Wien und Washington auch Interventionen der jeweiligen Botschafter vorangegangen.

In einer anderen Depesche berichtet der Geschäftsträger der Botschaft an Washington auch von jenem „Presse“-Artikel, der die Visa-Drohung der USA erstmals enthüllt hat – und warum die Botschaft dies öffentlich dementiert hat: Der Bericht, vor allem aber die empörten Reaktionen der Öffentlichkeit hätten demnach das Potenzial dazu gehabt, dass Österreichs Politiker ihre Meinung noch einmal ändern: Offenbar eine Fehleinschätzung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2011)

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Kommentare

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Wenn man den USA schon Daten gibt, sollten die Bürger zumindest wissen, welche.

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