Fischer: "Sollten die Verfassung nicht überdehnen"

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Fischer: "Sollten die Verfassung nicht überdehnen"(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Bundespräsident Heinz Fischer unterstützt die Regierung bei der Schuldenbremse, mahnt jedoch zu "großer Vorsicht". Vermögensteuern dürften kein Tabu sein. Bei Eurobonds ist er gespalten.

Herr Bundespräsident, Sie haben sich bisher noch nicht zum Thema Schuldenbremse geäußert.

Heinz Fischer: Das ist ein sehr wichtiges Thema, bei dem man auch nicht vorschnell reagieren sollte. Europa ist in einer heiklen Phase, und der Abbau von Schulden ist ein wichtiges Ziel, dem sich auch andere Staaten widmen müssen. Ich unterstütze ausdrücklich die Bemühungen der Bundesregierung, die auf politische und wirtschaftliche Stabilität gerichtet sind. Über Einzelheiten muss man noch sprechen.


Sie stammen, wenn man das so despektierlich sagen darf, noch aus der Ära Kreisky. Damals galt Schuldenmachen in der SPÖ noch als etwas Positives. Hat es da einen Wandel in der Sozialdemokratie gegeben?

Der Hinweis auf die Ära Kreisky ist nicht despektierlich, sondern etwas Positives, wenn Sie so wollen, für mich ein Kompliment. Aber es war nicht so, dass man Schulden damals taxfrei als etwas Positives angesehen hat. Man hat Investitionen in die Modernisierung der Gesellschaft und zur Belebung der Wirtschaft als etwas Wertvolles betrachtet, sofern es innerhalb gewisser Grenzen blieb. Und einen österreichischen Finanzminister, dessen Schuldenstand sich heute innerhalb jener Grenzen halten würde, die damals aktuell waren, müsste man mit Komplimenten überschütten.

Haben wir in den vergangenen Jahrzehnten über unsere Verhältnisse gelebt?

Das ist eine zu pauschale Formulierung. Es gibt sehr viele Menschen, die überhaupt nicht über ihre Verhältnisse gelebt haben und leben, sondern hart arbeiten und dennoch jeden Euro zweimal umdrehen müssen. Aber wir müssen überall dort die Stirn runzeln und über Maßnahmen zu mehr Leistungsgerechtigkeit nachdenken, wo sich Einkommen oder Vermögen angesammelt haben, die weit über den tatsächlich erbrachten Leistungen liegen.

Ist das ein sanftes Plädoyer für eine Vermögensteuer?

Es ist ein Plädoyer für soziale Gerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit als Grundprinzipien unseres Staates. Wenn man diese Aspekte außer Betracht lässt, schafft man Spannungen, die man als verantwortungsvoller Politiker vermeiden muss. Es gibt hier die Chance zu einem breiten Schulterschluss zwischen Politik, einsichtigen Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, Vertretern der Religionsgemeinschaften und Wissenschaftlern. Auf diese Stimmen sollte man hören.

Und was soll am Ende dabei herauskommen?

Eine Gesellschaft, in der Leistung und soziale Gerechtigkeit nicht als Gegensätze betrachtet werden, sondern miteinander verknüpft sind, also eine humane Gesellschaft.

Sie würden eine Vermögensteuer also für gut befinden.

Eine Gesellschaft, die Gemeinschaftsaufgaben erfüllen und auch eine Risikogemeinschaft sein will, ist auch auf Beiträge einzelner Mitglieder dieser Gesellschaft, sprich Steuern, angewiesen. Und in einer solchen Situation kann man nicht sagen: Einkommensteuer selbstverständlich, Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer auch, aber Vermögensteuer, das ist tabu. Dieses irrationale Tabu in Bezug auf die Vermögensteuer ist sinnvoll nicht erklärbar.

Trifft das dann auch auf die Erbschaftssteuer zu?

Da gilt Ähnliches. Ich würde einfach empfehlen, dass man Wissenschaftler und Leute von höchstem Fachwissen einlädt, sich anzusehen, in welchem Ausmaß Vermögen, höchste Einkommen und Erbschaften in anderen Ländern - der Schweiz, Großbritannien, Deutschland oder Frankreich - besteuert werden und Österreich gegenüberstellen. Und dann sollte man rationale, ökonomisch stringente Schlussfolgerungen daraus ziehen und zusätzlich OECD-Berichte lesen.

Können Sie sich vorstellen, dass auch eine Begrenzung der Steuerquote in die Verfassung geschrieben wird.

Ich würde hier zu sehr großer Vorsicht raten.

Warum?

Die Verfassung hat eine in der Rechtsordnung klar definierte Aufgabe, die man nicht überdehnen sollte. Und das Zweite ist: Zusätzlich zur Schuldenbremse auch noch eine Abgabengrenze verfassungsrechtlich festzuschreiben, würde bedeuten, die Beweglichkeit in der Finanz- und Wirtschaftspolitik noch weiter zu reduzieren. Man könnte es rasch bereuen, wenn man anfängt, solche Parameter in der Verfassung festzuschreiben und damit die Budgethoheit des Parlaments noch weiter einzuschränken.

Halten Sie es dann auch für problematisch, die Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern?

Ich habe schon eingangs Verständnis für das Bemühen der Bundesregierung geäußert gegenüber der internationalen Öffentlichkeit, einschließlich der Finanzmärkte, Signale auszusenden, die das Vertrauen in die Einhaltung der Maastricht-Kriterien stärken. Das wäre ja die Hauptaufgabe einer Schuldenbremse.

Ist das Festschreiben in der Verfassung nun legitim oder nicht?

Es ist rechtstheoretisch legitim, aber es ist mit Vorsicht an diesen Schritt heranzugehen. Und es wäre zehnfache Vorsicht geboten, wenn man dann noch einen weiteren Schritt machen würde, nämlich auch noch für Abgabenquoten verfassungsrechtliche Grenzen festzulegen.

Haben Sie konkrete Vorschläge, wo der Staat sparen könnte?

Das ist die Aufgabe von Bund und Ländern, Regierung und Parlament. Darüber hinaus muss Sparsamkeit verstärkt zu einer politischen und menschlichen Tugend werden.

Ihr italienischer Amtskollege Giorgio Napolitano hat in der Vorwoche ein Expertenkabinett angelobt. Könnten Sie sich prinzipiell vorstellen, so etwas eines Tages auch zu tun?

Die Bundesverfassung ist insofern klar, als sie das nicht verbietet. Nirgends steht geschrieben, es dürfe kein Expertenkabinett geben. Warum soll ich also päpstlicher als der Verfassungspapst sein? Ich habe dazu weder etwas anzukündigen noch auszuschließen.

Gemäß Verfassung sind Sie auch Oberbefehlshaber des Bundesheeres. Wie haben Sie die Wiedereinsetzung von Generalstabschef Edmund Entacher erlebt?

Es war eine weisungsfreie Kommission unter der Leitung einer Höchstrichterin, die diese Entscheidung getroffen hat. Für mich war es insofern nicht überraschend, als ich schon im Jänner, also zum Zeitpunkt der Abberufung, im Fernsehen gesagt habe, dass damit heikle Rechtsfragen verbunden sind. Diese vorsichtig geäußerte Vermutung hat sich bestätigt.

Haben Sie Entacher gratuliert?

Ich habe General Entacher, der sich bei mir wieder „zum Dienst gemeldet" hat, gratuliert und auch den Wunsch ausgedrückt, dass es zwischen dem Bundesminister und dem Generalstabschef zu einer fairen, sachlichen und in die Zukunft gerichteten Zusammenarbeit kommen möge.

Verteidigungsminister Norbert Darabos sah dabei nicht wirklich glücklich aus, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Wären Sie an seiner Stelle zurückgetreten?

Ich habe nie darüber nachgedacht, ob ich aus einer Funktion, die ich nicht innehabe, zurückgetreten wäre. Ich arbeite mit dem Herrn Verteidigungsminister - auch wenn wir einzelne Sachfragen unterschiedlich beurteilen -, fair und konstruktiv zusammen. Ich bin der Meinung, dass auch der Herr Generalstabschef darum bemüht ist. Ich bin also in der glücklichen Lage, mit beiden Herren gut zusammenzuarbeiten - und zwar auch persönlich.

Haben Sie das Bildungsvolksbegehren von Ex-Vizekanzler Hannes Androsch unterschrieben?

Nein, seit 1945 hat ein Bundespräsident noch nie ein Volksbegehren unterschrieben. An diese Regel habe ich mich gehalten. Aber meine Frau hat es unterschrieben.

Aber mit den Zielen sympathisieren Sie.

Wenn es Menschen gibt, die ihre Kraft und ihr Wissen einsetzen, um im Bereich Bildung ein verstärktes Nachdenken auszulösen und die eine oder andere Reformbremse - nicht Schuldenbremse -, ein bisschen zu lockern, begrüße ich das.

Wir erleben im Moment eine Krise der Sozialdemokratie. In der EU gibt es nur noch in Österreich und in Dänemark Sozialdemokraten als Ministerpräsidenten, in Slowenien wahrscheinlich nicht mehr lange. Was, glauben Sie, sind die Ursachen dafür?

Ich denke viel über die Frage nach, wieso es möglich ist, dass der „Kapitalismus" im Jahr 1989 so demonstrativ erfolgreich war und die kommunistischen Strukturen implodiert sind - und warum zwei Jahrzehnte später im Westen so unübersehbare Unzufriedenheit herrscht: Demonstrationen in New York, London, Paris, Madrid et cetera. Das ist eine Entwicklung, die man ernst nehmen muss, über die die besten Köpfe nachdenken müssen. Wieso haben die Spielregeln unserer politischen und wirtschaftlichen Ordnung über viele Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg so gut gepasst? Und wieso gibt es jetzt so viele Spannungen und so viel Unbehagen?

Haben Sie eine Antwort?

Aus meiner Sicht liegt es auch daran, dass die Menschen verstärkt das Gefühl haben, es geht ungerecht zu.

Erstaunlicherweise profitieren aber gerade die konservativen Parteien von diesen „ungerechten" Entwicklungen.

Nein, das ist unpräzise. Italien wird anders laufen. Selbst in Spanien hat die konservative Partei nicht mehr Stimmen als bei der letzten Wahl bekommen. Aber es verlieren Regierungsparteien und besonders sozialdemokratische Regierungsparteien, weil sie nicht genügend starke und überzeugende Antworten auf diese Situation gefunden haben. Dafür werden sie häufig abgestraft.

Berechtigt?

In der Demokratie sind Wahlresultate immer berechtigt, sonst würde man dem Wähler ja seine Urteilsfähigkeit absprechen.

Wie stehen Sie zum Thema Eurobonds?

Das ist eine schwierige Frage. Für die Eurozone würde diese Maßnahme sicher hilfreich sein, für einzelne Euroländer aber übermäßige Belastungen mit sich bringen.

Zum Beispiel für Österreich.

Wahrscheinlich. Darum kann das aus meiner Sicht keine Frage der Ideologie oder der Philosophie sein. Mich beschäftigt die Frage, ob man Eurobonds in einer Art und Weise gestalten kann, dass sie nicht zu einer Societas leonina werden: also zu einem Instrument, bei dem von vornherein feststeht, die Länder A, B und C haben dadurch Vorteile, aber die Länder D und E haben Nachteile.

Sie können also mit den Vorschlägen, die auf dem Tisch liegen, nichts anfangen.

Die Idee, durch gemeinsame Anleihen das Vertrauen in diese Anleihen zu stärken und damit einen stabilisierenden Effekt zu erreichen, halte ich für gut. Aber so, wie das momentan konstruiert ist, scheint mir die Lastenverteilung noch zu unausgewogen zu sein.

Sie bekommen am Montag Besuch von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. Stehen Sie hinter der Entscheidung der österreichischen Regierung, die der Aufnahme Palästinas in die Unesco zugestimmt hat?

Ja, das wurde vorher zwischen dem Außenminister, dem Kanzler und mir besprochen. Wir haben volle Übereinstimmung erzielt. Das ist auch im Sinne unserer bisherigen Nahost-Politik, dass die Palästinenser gerade in einer Bildungsinstitution stärker integriert werden. Wie auch insgesamt die tragischen, enorm schwierigen Lebensbedingungen der Palästinenser, vor allem im Gazastreifen, verbessert werden sollten.

Verstehen Sie die israelische Kritik an der Aufnahme der Palästinenser in die Unesco?

Österreich hat diplomatische Beziehungen zu den Palästinensern - wie sehr viele andere Staaten der Welt. Daher ist nicht einzusehen, warum sie nicht auch in der Unesco mitarbeiten können. Israel sollte eine ganz eindeutige Entscheidung eines internationalen Gremiums akzeptieren. Dass man darauf nun wieder antwortet, indem man Gelder, die man namens der palästinensischen Behörden einkassiert, zurückhält, ist leider schon wieder ein Schritt zu einer emotionalen Zuspitzung. Im Übrigen möchte ich abschließend feststellen, dass wir derzeit nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch in der Innenpolitik schwierige Phasen vor uns haben und daher ein hohes Maß an Gemeinsinn benötigen.

("Die Presse am Sonntag", 27.11.2011)

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