Die Furcht der Ärzte vor der Elektronischen Gesundheitsakte

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Durch ELGA sieht die Ärzteschaft vor allem Mehrarbeit auf sich zukommen. Kammer-Präsident Dorner gerät langsam unter Druck. Er müsse zurücktreten, forderte sein Amtskollege Christoph Reisner.

Wien. Das Verhalten des Ärztekammer-Präsidenten hätte widersprüchlicher nicht sein können: In der Sitzung der Bundesgesundheitskommission am Freitag stimmte Walter Dorner (wie alle Mitglieder des Gremiums) für die Einführung der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA), um hinterher zu erklären, dass er den Gesetzesentwurf des Gesundheitsministers nach wie vor ablehne.

Dabei schlugen wohl zwei Herzen in seiner Brust: Dorner steht nicht nur der Bundes-, sondern auch der Wiener Ärztekammer vor. Und die lässt seit Wochen nichts unversucht, um vor dem „Datenmoloch ELGA“ zu warnen. In einer Medienkampagne zeigt die Wiener Standesvertretung gerade Sujets mit nackten Menschen und richtet sich mit Sorge an den Patienten: „ELGA stellt Sie vor anderen bloß“, lautet einer der Slogans.

Das Kollegium nimmt Dorner dieses Doppelspiel übel: Er habe die Ärzteschaft verhöhnt und müsse zurücktreten, forderte sein niederösterreichischer Amtskollege Christoph Reisner. Der Hausärzteverband schloss sich diesem Befund am Donnerstag „vollinhaltlich“ an. Denn die Ärzte, so der Tenor, wollten ELGA nicht.

Seit der E-Card hat kaum ein gesundheitspolitisches Thema so polarisiert wie die Elektronische Gesundheitsakte. Das etwas sperrige Kürzel ELGA umschreibt im Wesentlichen ein Netzwerk, in das ab Mitte 2013 alle Patientendaten – von den Befunden bis zur Medikation – eingespeist werden. Ärzte, Spitäler und Pflegeeinrichtungen dürfen Einsicht nehmen, wenn sie vom jeweiligen Patienten dazu ermächtigt werden. Nach 28 Tagen erlischt die Berechtigung wieder.

ELGA würde Doppelbefundungen, (unnötigen) Spitalseinweisungen und Interaktionen zwischen Medikamenten vorbeugen, auf diese Weise Kosten sparen und, vor allem, die Patientensicherheit erhöhen. Sagt Gesundheitsminister Stöger (SPÖ). Doch die Ärzte haben eine Reihe von Bedenken: Öffentlich sorgen sie sich um den Datenschutz und warnen vor einer „Kostenfalle“, zumal die Schätzungen weit auseinandergehen.

Die eigentlichen Motive sind aber andere: Der Arzt könnte haftbar gemacht werden, wenn er einen Befund im Online-Krankenakt übersieht. Und eine genaue Prüfung kostet Zeit – fünf bis zehn Minuten pro Patient, heißt es, jedenfalls aber mehr als jetzt. Insgesamt könnten also weniger Menschen behandelt werden, was im niedergelassenen Bereich wohl unmittelbare Auswirkungen auf den Verdienst hätte. Außerdem müssten die Computer der Ärzte mit Software aufgerüstet werden, um sie mit ELGA zu vernetzen. Zu bezahlen wäre das freilich aus dem Privatbudget.

Datenschützer: Es geht um Kontrolle

Argumentationshilfe bekam die Ärzteschaft am Donnerstag von der „Arge Daten“: ELGA sei „sicherheitstechnisch eine Katastrophe“, analysierte Obmann Hans Zeger. „Alle Standards werden ignoriert.“ Im Übrigen stelle sich die Frage, ob ein derartiger „Eingriff in das Grundrecht“, nämlich die Sammlung von Gesundheitsdaten, angemessen sei. Zegers Verdacht: „Wir erfüllen die Kontrollwünsche von Aufsichtsstellen.“ Der Gesundheitsaspekt werde dabei bloß vorgeschoben.

Das letzte Wort zum Online-Krankenakt dürfte ohnehin noch länger nicht gesprochen sein. Stögers Gesetzesvorlage wird seit Monaten überarbeitet und schaffte es bislang noch nicht einmal in die Nähe des Ministerrats – anderslautenden Ankündigungen zum Trotz. Die Ärzte werten die Verzögerung auch als ihr Verdienst. Umso mehr ärgert viele die zwiespältige Haltung des Ärztekammer-Chefs.

Dorner rechtfertigt seine Zustimmung in der Bundesgesundheitskommission so: Er sei zwar grundsätzlich für ELGA – aber unter anderen Voraussetzungen. Die Mängel in Stögers Gesetzesentwurf, technischer und rechtlicher Natur vor allem, müssten beseitigt werden. Was der Präsident nicht dazusagt: Im Frühjahr sind Ärztekammer-Wahlen. Und er will wiedergewählt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2011)

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