SuperMarkt - Die »niedergebremste« Schweiz

SuperMarkt niedergebremste Schweiz
SuperMarkt niedergebremste Schweiz(c) APA (BARBARA GINDL)
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Der Widerstand gegen die geplante Schuldenbremse wächst. Sie drohe das Land »kaputtzusparen«. Klar, genauso wird es kommen.

Was Kapitalismus kann – und wofür er nichts kann

Hochrangige Ökonomen und besorgte Volksvertreter warnen immer eindringlicher vor den verheerenden Folgen einer „Schuldenbremse“. Jetzt sei nämlich die völlig falsche Zeit, die Neuverschuldung des Staates per Verfassung einzudämmen. Gebot der Stunde sei vielmehr das genaue Gegenteil: das Aktivieren des staatlichen Ausgabenbeschleunigers. Noch fordert zwar niemand ein verfassungsrechtlich abgesichertes Budgetdefizit, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Würde nämlich jetzt nicht noch mehr geliehenes Geld vom Staat ausgegeben, opferte die Politik die Zukunft des Landes auf dem Altar der Finanzmärkte, denen der rot-weiß-rote Schuldenberg schön langsam ein wenig unheimlich wird.

Dabei geht es ohnehin nur um eine vergleichsweise vage Formulierung (siehe Infokasten). Aber selbst das geht den Kritikern zu weit, sie fordern uneingeschränkten Zugang der Politik zu den Schuldentöpfen und stützen sich dabei auf die Erkenntnis John Maynard Keynes', wonach Sparprogramme in Krisenzeiten verheerende Wirkung entfachten: Je stärker die Ausgaben des Staates gebremst werden, desto schneller landet das Land in der Depression. Das sei eine der zentralen Lehren aus den 1930er-Jahren.

Hochkonjunktur im Schnapsladen.

Zweifellos ist eine Krise eine denkbar schlechte Zeit, um auf die Ausgabenbremse zu steigen. Im Falle Österreichs ist es aber gleichzeitig auch der einzig mögliche Zeitpunkt: Das Land hat sich nämlich in den wirtschaftlich guten Jahren ausnahmslos wie ein Trinker verhalten, der gerade zum Geschäftsführer eines Schnapsladens bestellt wurde. Österreichs Politik scheint einfach nicht dazu gemacht zu sein, in konjunkturellen Boomphasen Überschüsse zu erwirtschaften und damit Schulden abzubauen (eine zweite, gerne verdrängte von Keynes' Lehren). So ist von den Proponenten einer antizyklischen Konjunkturpolitik (höhere Staatsausgaben in Krisenzeiten) nur zu hören, wenn sich die Wirtschaft im Abschwung befindet. Oder hat jemals ein linker Ökonom im Aufschwung Budgetüberschüsse eingefordert? Nein, dann wird das Verteilen des geliehenen, weil auf Schulden basierenden Wachstums propagiert. Deshalb kann Österreich auch nicht bis zum nächsten Aufschwung warten, um die Politik vor ihrem Ausgabendurst zu schützen.

Verluderte Schweiz?

Um zu sehen, wie „verheerend“ sich eine Schuldenbremse auf die Zukunftschancen eines Landes auswirken könnte, reicht übrigens ein Blick in Schweiz. Nachdem das Volk seiner Regierung vor zehn Jahren vorgeschrieben hat, in Boomjahren Überschüsse zu erwirtschaften, wurde das Land zu einem der wohlhabendsten Staaten der Welt „niedergebremst“. Die Verschuldung wurde von 55 auf 40 Prozent gedrückt – und noch immer zählen Schweizer Schulen und Universitäten zu den besten der Welt, sind die Straßen bestens befahrbar, die Züge schicker und pünktlicher als anderorts und das Gesundheitswesen um nichts schlechter als das österreichische. Als wäre das nicht genug, werden die Schweizer auch noch von einer schlanken Verwaltung bestens serviciert.

Das alles schaffen die Nachbarn mit Staatsausgaben von 33 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. So sieht kein heruntergekommenes Land aus, das mit einer wachstumsbremsenden Schuldenobergrenze seine Zukunft verspielt hat. Als verludert wäre wohl eher ein Land wie Österreich zu klassifizieren, das bei einer Staatsausgabenquote von 52 Prozent vom „Kaputtsparen“ fantasiert und selbst bei Steuereinnahmen von 44 Prozent des BIPs ein stabiles Defizit einfährt.

Was Vertreter von SPÖ, Grünen und ÖAAB nicht davon abhält, das Problem ausufernder Staatsschulden mit noch höheren Ausgaben und neuen Steuern lösen zu wollen. Dabei müssten sich gerade die Anwälte der sozialen Gerechtigkeit für das Ende der Schuldenpolitik ins Zeug legen. Hohe Verbindlichkeiten eines Staates sind nämlich undemokratisch und höchst unsozial. Undemokratisch, weil der politische Wille nicht mehr vom Volk ausgeht, sondern von den Finanzmärkten. Über die Ausgestaltung des Pensionssystems entscheiden nicht mehr Bundesregierung und Landeshauptleutekonferenz – sondern die Geldgeber. Nun muss man kein Zyniker sein, um eine derartige Verlagerung der Entscheidungsgewalt als vielversprechend einzustufen – das macht die Sache aber noch nicht demokratischer.

Wie unsozial hohe Staatsschulden sind, zeigen deren Kosten. Allein für Zinsen sind acht Milliarden Euro im Jahr aufzubringen – das ist mehr Geld als der Staat für die Arbeitslosen- und Krankenversicherung ausgibt. Diese Kosten werden in den kommenden Jahren kontinuierlich steigen – auch mit der Schuldenbremse, dann allerdings etwas schwächer. Rätselhaft bleibt, warum ausgerechnet die österreichische Linke den Staat noch stärker in die Abhängigkeit seiner Geldgeber treiben will. Statt zumutbare Korrekturen einzufordern und damit den Wohlfahrtsstaat finanzierbar zu halten.

franz.schellhorn@diepresse.com

In Zahlen

0,35 Prozent des BIPs: So hoch darf das Budget-Defizit ab 2017 laut Schuldenbremse sein. Gemeint ist nicht ein Defizit von 0,35 % pro Jahr – sondern über den „Konjunkturzyklus hinweg“. In guten Jahren braucht es also Überschüsse. Niemand weiß aber, wie lange ein Zyklus dauert. Womit die Schuldenbremse zum schwammigen Instrument wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2011)


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