Josef Pröll: "Sehe die Geiselnehmer in der ÖVP nicht"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Interview vom 20. 5. Der scheidende ÖVP-Chef Josef Pröll schildert, wie seine Rückzugsentscheidung gefallen ist. Er mahnt die Politik, langsamer vorzugehen. Parteien werden künftig "wie Kometen aufsteigen" und auch schneller verschwinden.

Sie verlassen heute die politische Bühne: Welche Gefühle, wie viel Wehmut ist da dabei?

Josef Pröll: Das ist heute mit dem Parteitag in Innsbruck ein besonderer Tag für mich, keine Frage. Wehmut ist allerdings keine dabei.

Von Hermann Hesse stammt der Aphorismus, wonach man nicht weiß, was schlimmer ist: wenn das Telefon immer läutet oder nie. Wie gehen Sie damit um, dass es ruhiger geworden ist?

Ich genieße gerade nach diesem gesundheitlichen Einschnitt die Verlangsamung meines Lebens. Ich glaube, dass die Politik insgesamt langsamer, bedachter und nachdenklicher werden muss.

Sind Ihnen diese Gedanken erst im Krankenbett gekommen?

Gefühlt habe ich es schon länger. Wenn ich zum Beispiel in Brüssel große Verantwortung zu tragen hatte und gleichzeitig auch in Österreich eine Antwort geben sollte.

Wann haben Sie gewusst, dass Sie zurücktreten müssen?

Der Schalter hat sich im Rettungshubschrauber umgelegt. Da war für mich im Kopf klar, dass ich nicht so weitermachen kann. Das zweite war dann die Reha-Phase; da habe ich mich dann auch emotionell von der Politik getrennt.

Sie hatten Todesangst?

Ich hatte echte Beklemmungen. Und mir wurde klar, dass ich mein Leben ändern muss: Ich habe stets den Anspruch gestellt, mich zu hundert Prozent für die Politik einzusetzen. Da kann ich nicht mit angezogener Handbremse weitermachen; und das hätte ich nach dem Lungeninfarkt tun müssen.

Hat Ihre Familie bei Ihren Überlegungen eine Rolle gespielt?

Die Familie hat mich nicht gezwungen, zu gehen, war aber ein Faktor. Sie hat gesagt: Du musst es für Dich selber wissen, aber von der Entscheidung hängt viel ab. Das war's.

Spielte Erwin Pröll eine Rolle?

Er hat mich kurz nach dem Infarkt angerufen, auch später hatten wir Kontakt. Bei der Entscheidung habe ich kein Gespräch mit ihm geführt.

War es rückblickend ein Fehler, Vizekanzler, Finanzminister und Parteiobmann zu sein?

Nein. Man darf nicht vergessen, mein erstes Jahr als Vizekanzler (2009) war ein Höhenflug, weil ich Finanzminister war. Andere Themen haben mehr an mir genagt. Zum Beispiel der Fall Strasser.

Haben Sie in der Reha auch darüber nachgedacht, was passieren muss, damit die ÖVP wieder stärkste Partei wird und den Kanzler stellen kann?

Das Schicksal der ÖVP liegt jetzt in den Händen von Michael Spindelegger und ich werde mich hüten, irgendwelche Tipps zu geben. Ich bin überzeugt, dass er die ÖVP zur Nummer eins machen kann.

Warum geht es der ÖVP so schlecht? Gibt es strukturelle, inhaltliche Probleme? Die Partei liegt in den Umfragen weit unter dem Wahlergebnis 2008.

Auf die Umfragen gebe ich nix. Michael Spindelegger wird die Partei neu aufstellen, er hat das Zeug dazu, dass das ein Erfolgsprojekt werden kann.

2009 lief es gut für Sie, damals wurden Sie als „heimlicher Kanzler“ bezeichnet. Wann ist der Faden gerissen?

Der Punkt war für mich, dass der Koalitionspartner nicht bereit war, einen mutigen Sanierungskurs für Österreich zu gehen. Das war die große Auseinandersetzung 2010 – und die ist, wie man heute sieht, für beide nicht gut ausgegangen.

Der steirische ÖVP-Chef Schützenhöfer sagt, Sie hätten sich in Geiselhaft befunden.

Ich sehe die Geiselnehmer nicht.

Auch nicht in St. Pölten?

Nein.

Was können Sie der Steigerung „Freund, Feind, Parteifreund, Onkel“ abgewinnen?

Nichts.

Wie schaut die Parteienlandschaft in zehn, 15 Jahren aus?

Ich glaube, dass politische Gruppierungen, die zugespitzt auf charismatische Persönlichkeiten und ohne Strukturen flexibler sind, größere Potenziale haben werden als etablierte Parteien. Wir werden daher eine massive Veränderung der Parteienlandschaft miterleben.

Also das Ende der Volksparteien?

Nein. Wir werden vielmehr Parteien sehen, die wie Kometen aufsteigen und schnell wieder verschwinden werden. Volksparteien werden auch in Zukunft das stabile Gerüst der Demokratie bilden. Die Verhältnisse werden allerdings volatiler. Die Frage ist, wie eine Volkspartei das auf Dauer aushält.

Wird sich die ÖVP mit ihren Bünden schwertun?

Als Parteiobmann könnte man sagen, Bünde und Länder hemmen dich. Auf der anderen Seite muss man aber die Wahlkampfmobilisierung sehen; und da hat die ÖVP aufgrund ihrer Organisation großes Potenzial.

Sehen Sie rückblickend große Fehler?

Ohne Zweifel passieren Fehler ...

Etwa bei der Nominierung von Ernst Strasser zum EU-Spitzenkandidaten?

Von Strasser bin ich persönlich sehr enttäuscht. Aber bei der Nominierung konnte sein späteres Verhalten nicht erahnt werden. Für sein späteres Handeln trägt er allein die Verantwortung.

Die Bestellung von Claudia Bandion-Ortner?

Sie hat ihre Arbeit ordentlich erledigt. Wie man mit ihr umgegangen ist, auch vonseiten des Koalitionspartners, ist zu kritisieren.

Sind Sie eigentlich von Bundeskanzler Werner Faymann enttäuscht?

Enttäuscht ist das falsche Wort. Ich war eher überrascht, dass er so wenig Gestaltungswillen zeigt ...

Kommen wir noch zu Europa: Sie haben als Finanzminister im Zuge des Euro-Rettungsschirms mit Milliardenbeträgen jonglieren müssen.

Das war sicher einer der politisch spannenden Momente. Hier ging es um politisches Handeln in Notsituationen.

Aus dieser Notsituation ist Europa noch nicht entlassen.

Aber sie ist beherrschbar.

Wird es den Euro in fünf Jahren noch geben?

Ja. Der Euro bleibt eine starke Währung.

Worauf freuen Sie sich in der nächsten Zeit am meisten?

Jetzt geht es um die ordentliche Hofübergabe in der Volkspartei. Dann werde ich mir ein wenig Auszeit gönnen, eine berufliche Entscheidung treffen, meinen Weinkeller herrichten und mehr Zeit mit meiner Frau und meinen Kindern verbringen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2011)

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