Plötzlich Parteichef – Karriere per Zufall

(c) APA (BARBARA GINDL)
  • Drucken

Artikel vom 17. 4. Von Haider bis Kennedy, von Waterloo bis zur SPD: Wenn das Schicksal Politik macht. Wie auch in der ÖVP geschehen: Der farblose Michael Spindelegger musste den schillernderen Josef Pröll ersetzen.

Ein kleiner Thrombus. Er hat eine Partei auf den Kopf gestellt und den Gang der Geschichte verändert. Wäre Josef Pröll nicht erkrankt, er hätte beste Chancen gehabt, bei der Nationalratswahl 2013 Werner Faymann hinter sich zu lassen. Fünf Jahre wäre er dann Kanzler gewesen. Und sofern er sich nicht allzu blöd angestellt hätte, wäre er wohl wiedergewählt worden. Nach zehn Jahren Kanzler Pröll wäre Michael Spindelegger dann auch schon 63 gewesen und somit pensionsreif. ÖVP-Obmann wäre er nie geworden.

Eine Hypothese fürwahr. Aber keine ganz unrealistische. Nicht immer sind politische Karrieren planbar. Mitunter spielt der Zufall eine entscheidende Rolle. Und die zweite oder dritte Wahl wird über Nacht zur ersten. Oft unter tragischen Umständen.

Gerhard Dörfler wäre nie Landeshauptmann von Kärnten geworden, wäre Jörg Haider nicht verunglückt. Auch Josef Bucher wäre nie BZÖ-Obmann geworden – höchstens als Marionette von Jörg Haiders Gnaden.

Nicht immer muss sich die zweite Wahl als Niete erweisen. Der nach John F. Kennedys Ermordung zum Staatschef gewordene Vizepräsident Lyndon B. Johnson gilt als einer der besten Präsidenten, den die USA je hatten. 1964 wurde er eindrucksvoll in seinem Amt bestätigt, es war der höchste Sieg, den die Demokraten je in einer Präsidentschaftswahl errungen hatten.

Auch Dörfler ist bei der Landtagswahl 2009 auf 44,89 Prozent gekommen und hat damit das Haider-Ergebnis von 2004 überboten. Allerdings weiß man nicht so genau, wie viele der Stimmen eigentlich Jörg Haider galten.

Attentat in Klagenfurt. Auch am Beginn des Aufstiegs Jörg Haiders stand ein unerwartetes, tragisches Ereignis, von dem er profitierte. Im Oktober 1987 wurde Kärntens Landeshauptmann Leopold Wagner (SPÖ), dreimal mit absoluter Mehrheit wiedergewählt, niedergeschossen und schwer verletzt. Wagner musste sich zurückziehen, statt seiner ging der farblose Peter Ambrozy in die Landtagswahl 1989. Haider, der sich an Wagner stets ein Vorbild genommen hatte, hatte leichtes Spiel. Ein solches hätte er mit dem roten Landesfürsten nicht gehabt.

Kleine Ereignisse, große Wirkung. Die „Weltminute von Waterloo“ nannte der Schriftsteller Stefan Zweig jene kurzfristige (Fehl-)Entscheidung im Jahr 1815, die zu Napoleons endgültigem Ende führte. Der französische Marschall Emmanuel de Grouchy hörte schon den Kanonendonner bei Waterloo, hielt dann aber stur daran fest, mit seinen Truppen den deutschen Feldmarschall Blücher zu verfolgen, anstatt Napoleon zu Hilfe zu eilen.

Grouchy hat im Russlandfeldzug in der Schlacht von Smolensk gekämpft. Am 10. April 2010 stürzte dort der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski mit dem Flugzeug ab. Parlamentspräsident Bronisław Komorowski übernahm interimistisch die Staatsgeschäfte. Bei den Präsidentenwahlen im Sommer 2010 siegte er dann über den Zwillingsbruder des Verunglückten, Jarosław Kaczynski.

Durch einen Unfall verlor auch die ÖVP 1975 ihren Chef. Karl Schleinzer verunglückte wenige Wochen vor der Nationalratswahl mit seinem Auto tödlich. Josef Taus wurde Parteiobmann und verlor die Wahlen 1975 und 1979.

Im Jahre 1978 wurde der Chef der italienischen Schwesterpartei Democrazia Cristiana, Aldo Moro, von den linksextremen Roten Brigaden entführt und ermordet – damit war auch die von ihm betriebene Aussöhnung zwischen Christdemokraten und Kommunisten beendet. Die wahre Macht in der DC hatte zu diesem Zeitpunkt allerdings schon Ministerpräsident Giulio Andreotti – kein Freund der Aussöhnung – inne.

Nach nur fünf Monaten im Amt trat 2006 der SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck wegen eines Hörsturzes und Nervenzusammenbruchs zurück. Als Nachfolger wurde Kurt Beck aus dem Hut gezaubert. Glücklos gab er das Amt zwei Jahre später wieder ab.

Attentat in Sarajewo. All das ist natürlich nichts gegen jenes eigentlich regionale, dann allerdings epochale Ereignis, dass sich in drei Jahren zum hundertsten Mal jährt: die Schüsse auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajewo. Danach wurde die Welt eine andere. Drei große Reiche – das Habsburgische, das Osmanische und das Zarenreich – brachen zusammen. Die monarchische Ordnung wurde durch Demokratie, Kommunismus und Faschismus ersetzt. Der Aufstieg der USA begann. Und mit den Friedensverträgen von Versailles und Saint-Germain wurde der Keim für den Zweiten Weltkrieg gelegt.

>> Zur Übersicht: Geschichten des Jahres <<

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Da draußen wartet etwas Neues

Leitartikel vom 27. 12. War es wirklich ein Katastrophenjahr, das da zu Ende geht? Nein, war es nicht. Es ist eines von vielen Umbruchjahren, die noch kommen werden. Es kündigen sich große Änderungen an, deren Vorboten wir sehen.
Außenpolitik

Japan: Volk mit Nerven aus Stahl

Reportage vom 13. 3. Nicht nur in Krisensituationen halten sich die Japaner an mentale Spielregeln. Das Ergebnis ist eine Gesellschaft mit hoher Disziplin.
Außenpolitik

Es gärt in der arabischen Welt

Reportage vom 16. 1. Die Vorgänge der letzten Tage in Tunesien rühren erfahrene Beobachter der Region zu Tränen - und lassen andere Regime zittern. Ein Volk hat seine Würde wiedererlangt.
Innenpolitik

Josef Pröll: "Sehe die Geiselnehmer in der ÖVP nicht"

Interview vom 20. 5. Der scheidende ÖVP-Chef Josef Pröll schildert, wie seine Rückzugsentscheidung gefallen ist. Er mahnt die Politik, langsamer vorzugehen. Parteien werden künftig "wie Kometen aufsteigen" und auch schneller verschwinden.
Außenpolitik

Eine offene Gesellschaft trägt Trauer

Reportage vom 27. 7. Die Reaktion der norwegischen Bevölkerung nach den Bluttaten von Oslo und Utøya ist ungewöhnlich: Die Toleranz wird zur Grundtugend erhoben.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.