Bei der Bildung müsse sich die Regierung gegen die Gewerkschaft durchsetzen, sagt Josef Kalina. Bei der Schuldenbremse werde die ÖVP letztlich von der FPÖ vorgeführt werden.
Die Presse: Ist die Kritik an der Regierung durch Bürger und Experten ewig gleiches Jammern oder berechtigt?
Josef Kalina: Kritik an der Präsentation ist berechtigt. Aber nachweislich hat die österreichische Regierung das Land deutlich besser durch die Krise gesteuert als alle anderen Regierungen in vergleichbaren Ländern.
Wieso ist dann das Regierungsimage im Keller?
Das resultiert ausschließlich daher, dass die Regierung nicht das Bild vermittelt, sie verfolge ein gemeinsames Projekt, sondern ein Bild der völligen Zerstrittenheit. Am Ende werden gemeinsam Punkte umgesetzt. Aber es entsteht nicht das Bild eines Kompromisses, beide Teile vermitteln den Menschen immer, was sie verloren haben.
Was wäre das gemeinsame Projekt für 2012?
Wie man mit der Wirtschaftskrise umgeht. Wesentlich wäre, dass die Regierung sich nicht auf offener Bühne ein Match liefert, sondern sich in Klausur zusammensetzt.
Wird das passieren?
Ich hoffe. Warum man den Leuten zuerst signalisiert, bis auf die Zähne bewaffnet aufeinander losgehen zu wollen, ist nicht zu verstehen. Das ist per se kein Applausprogramm. Ich würde dringend raten, die Sozialpartner einzubeziehen.
Die werden ohnehin bei jeder Frage eingebunden.
Es geht nicht nur um das Einbeziehen, sondern, dass man das Gemetzel auf offener Bühne hintanstellt. Der jetzige Weg führt nicht zum politischen Erfolg. Er führt zu passablem ökonomischen Erfolg – das Land steht bei Beschäftigung, Wachstum, Innovation gut da. Die Bürger haben aber das Gefühl, das hat mit der Regierung nichts zu tun.
Das Gemetzel findet doch statt, weil es in vielen Punkten Unterschiede gibt.
Das glaube ich nicht. Das muss man mit den Zeichentrickfilm „Tom und Jerry“ vergleichen: Die dreschen aufeinander ein und hoffen, dass der andere nicht mehr aufsteht. Aber jeder steht immer auf, und es geht unendlich weiter. Nur hat es nicht den Unterhaltungswert von „Tom und Jerry“. In beiden Parteien glaubt man, eine Art finalen Sieg erringen zu können. Man registriert nicht, dass beide Seiten an Zustimmung verlieren und die Leute sich den Rändern zuwenden, teilweise besorgniserregenden extremen Rändern. Und sie wenden sich ab in Richtung Nichtwählen und Desinteresse.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die FPÖ stärkste Partei wird?
Ich halte es bedauerlicherweise nicht für unmöglich. Aber ich möchte mir nicht vorstellen, dass eine Partei auf diesem Verantwortungslevel, nämlich null, stärkste Partei ist.
Ist der SPÖ-Kurs – keine Koalition mit Strache, keine Gespräche über die Schuldenbremse – klug?
Read my lips: Am Ende wird die ÖVP von der FPÖ lächerlich gemacht. Die wird nichts mittragen.
Ist Werner Faymann ein SPÖ-Chef mit Zukunft?
Absolut. Erstens stelle ich eine merkbar stärkere Präsenz in all den Themen fest, die einen Kanzler ausmachen – Wirtschaft und Vertretung Österreichs in der EU. Zweitens war 2008 zu sehen: Faymann erkennt, dass er auf Inhalte setzen muss und den Menschen attraktive Angebote machen kann.
Die SPÖ diskutiert wieder über Studiengebühren.
Ich mag dazu in der Sache nichts sagen. Man kann bei dem Thema erkennen: Es geht darum, Position zu beziehen, in einer Klausur Maßnahmenpakete zu schnüren und glaubwürdig gemeinsam aufzutreten.
Was bedeutet das konkret?
Klar ist, dass bei den Unis etwas geschehen muss. Bildung ist die Zukunft des Landes. Das Thema ist so interessant, weil es die Mittelschichten erreicht hat. Die Menschen erkennen, dass der Staat die Dienstleistungen, die sie erwarten, nicht erbringt. In den Schulen werden Kinder ab zwölf, 13Jahren am Nachmittag nicht gut betreut. Da erwartet man, dass sich die Regierung gegen die Lehrergewerkschaft durchsetzt und sagt: Freunde, die Dienstleistung, die wir anbieten, ist den Menschen nicht mehr genug. Es ist auch nicht die Frage: Studiengebühren oder nicht, sondern wie ich im Konsens an Hochschulen Bedingungen schaffe, damit möglichst viele ein ordentliches Angebot bekommen. Wir brauchen dort mehr Ressourcen.
Warum treten als „Wutbürger“ etablierte Altpolitiker und nicht die Jungen stärker auf?
Das hängt mit dem Prozess der Abwendung von der Politik zusammen. Die Politik muss den jungen Leuten das Gefühl geben, dass sie etwas verändern können, wenn sie sich einbringen.
Bisher in der Serie „Entscheidungen 2012“ erschienen: Franz Vranitzky (27.12.), Claus Raidl (28.12.), Johannes Voggenhuber (29.12.).
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2011)