Frauen in der Politik: Frau Kanzlerin kommt später

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Warum schafften es Frauen bisher nicht ins Kanzleramt oder in die Präsidentschaftskanzlei? Die "Presse" hat mit Politikerinnen gesprochen. Über Förderer, Quoten, die Lust auf "Männerthemen" – und Meryl Streep.

Erst ein Mal hat es eine Frau geschafft – allerdings nur fast, und auch das ist schon wieder mehr als zehn Jahre her: Von 2000 bis 2002 war Susanne Riess-Passer Vizekanzlerin, von Jörg Haiders Gnaden. Seither ist eine Frau dem Bundeskanzleramt nie wieder so nahe gekommen. Und Prognosen, wann es eine heimische „Merkel“ oder zumindest eine Bundespräsidentin geben wird, wagt auch keiner. Denn theoretisch hält man die Zeit für eine erste Frau im Staat zwar gekommen. Nur praktisch ist sie irgendwie nie da.

Dabei liegt Österreich, wenn es um Frauen in der Politik geht, im internationalen Vergleich gar nicht schlecht. 27,32 Prozent der Nationalratsmandatare sind weiblich, wie auch ihr „Chef“ im Parlament: Seit 2006 ist die SPÖ-Politikerin Barbara Prammer Parlamentspräsidentin. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Mit 27,32 Prozent (respektive 29 Prozent, inklusive Bundesrat) der Abgeordneten liegen wir unter der 30-Prozent-Grenze, die die UNO als relevante Messgröße für eine Vertretung von Frauen in der Politik ansetzt.

Nur kurzfristig – nach dem Überraschungserfolg der ÖVP bei der Wahl 2002 – stieg der Anteil auf 33,9 Prozent. Von einem der Bevölkerung entsprechenden Halbe-halbe war man jedoch stets weit entfernt. Warum aber ist das 2012 noch immer so? Warum – das hinterfragt auch das Buch der Ex-ÖH-Chefin Barbara Blaha „Das Ende der Krawattenpflicht“ – schafften es Frauen bisher nicht bis ganz nach oben? Trotz steigenden allgemeinen, weiblichen Bildungsniveaus (s. Grafik)?

Ein Grund dürfte die Themenwahl sein. Zufall oder nicht, sowohl Finanzministerin Maria Fekter als auch Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, die in der ÖVP beziehungsweise SPÖ als weibliche Parteispitzenreserve gehandelt werden, haben sich mit Absicht gegen „Frauenthemen“ entschieden: „Ganz wesentlich für meine Karriere war, dass ich mein berufliches Interesse nicht klassisch weiblichen Feldern gewidmet habe“, sagt Fekter. „Sonst wäre ich heute nicht Finanzministerin.“ Auch Burgstaller entschied sich gegen Themen wie Familie oder Soziales. Und für Bau, Verkehr oder Gewerbe: „Es war schön, solche Themen einmal in einer Runde, in der sonst nur Männer waren, zu entscheiden. Das war ein bewusster Akt.“ Tatsächlich ist die Eroberung der „harten Themen“ erst seit einer Dekade zu bemerken: Lange wurden Frauen fast mit „typisch weiblichen Agenden“ oder neu geschaffenen Ressorts betraut.

Gesucht: „Ja-Sagerinnen“. Sind Posten zu vergeben, braucht es freilich auch Leute, die zugreifen: „Es ist schwieriger, eine Frau in die erste Reihe zu bekommen. Eine Frau muss man dreimal fragen, bis sie Ja sagt“, weiß Christine Marek, Ex-Familienstaatssekretärin und Ex-Chefin der Wiener ÖVP. Auch weil der Preis – „Politik ist oft brutal“ – ein hoher sei. Auch Burgstaller gibt zu, dass einer ihrer Förderer in Salzburg, Gerhard Buchleitner, sie geradezu „gezwungen hat, Parteivorsitzende zu werden“. Anderen fällt das Ja-Sagen leichter: Maria Fekter sagte immer Ja – zum Staatssekretärinnenjob 1990, später zum Innen- und Finanzressort. Nur auf die Frage nach dem Vizekanzleramt und Parteivorsitz (beides stand 2011 im Raum) sagt sie auch heute: „Nein, nein, nein.“ Ihre Aufgabe als Ressortchefin sei „ungleich lustiger“, als sich „um die Landesfürsten, die bündischen Fürstin beziehungsweise Fürsten und die weitere inhomogene Truppe der ÖVP“ zu kümmern. „Ich bin nie unglücklich über die Nummer zwei gewesen.“ Ist das nun Taktik oder typisch weiblich?

Dass Frauen es nicht zur Nummer eins schaffen, hat jedoch auch und vor allem mit der Struktur der Politik zu tun. „Die Parteien haben ähnliche Probleme wie alle Traditionsvereine“, sagt dazu Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer von der Uni Wien: Die historische Dominanz der Männer präge. Das zeigt sich krass am Ausgangspunkt der Politkarriere, auf der Gemeindeebene. Der Anteil der heimischen Bürgermeisterinnen liegt bei fünf Prozent. Nur bei Aufgaben mit viel Mühe und wenig Ehre kommen die Frauen in den Kommunen zum Zug, sagt die frühere Gemeindepolitikerin Fekter. Ansonsten aber zählen speziell auf Gemeindeebene die alten Netzwerke, das klassische Vereinsengagement. Bei der Bürgermeisterwahl, bei der es um die Person an sich gehe, sehe man, dass Frauen die Rolle der „wehrhaften Anwältin“ der Gemeinde nicht zugetraut werde, sagt Sauer. Studien würden belegen, dass ein stärker personalisiertes Wahlrecht Politikerinnen generell eher schade. Aktuell wird in Österreich aber genau darüber diskutiert.

Quotentheorie. „Die Gemeinden, die Länder sind schuld“ ist auch ein Satz, den man in den Bundesparteizentralen öfter hört, wenn es um den niedrigen Frauenanteil geht. „Dort werden die Listen gemacht“, sagt Carmen Gartelgruber, Frauensprecherin der FPÖ. Die FPÖ, die mit Barbara Rosenkranz eine Kandidatin – mit ganz traditionellem Frauenbild – zur Bundespräsidentenwahl 2010 gestellt hat, hat bloß 16,22 Prozent Frauenanteil, nur das BZÖ (12,5 Prozent) hat heute weniger. Aber auch die SPÖ schafft es bei den Landeslisten nicht, ihre 40%ige Frauenquote einzuhalten. Dafür gebe es „keine rationale Erklärung“, sagt Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas. Auch Marek scheiterte als Wiener ÖVP-Chefin an der 30-Prozent-Vorgabe: „Man bestimmt so etwas ja nicht allein.“ Trotzdem: Quote wirkt. Parteien, die sich eine Frauenquote (SPÖ, ÖVP, Grüne) vorschreiben, haben einen höheren Frauenanteil als Parteien ohne Quote (FPÖ, BZÖ). Oberste Verfechterin in der Regierung ist, naturgemäß, Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ): Ohne Quote ginge gar nichts – oder jedenfalls zu wenig weiter. „Männer fördern Männer“, erklärt sie sich, warum man wenige Frauen „da oben“ und auch auf den Listen in den Gemeinden oder Bezirken findet.

Das Gegenbeispiel sind die Grünen, bei deren Listen mindestens die Hälfte Frauen sein müssen. Dass es Frauen bei den Grünen inzwischen leichter als Männer hätten, will Bundessprecherin Eva Glawischnig, die einzige Parteichefin des Landes, aber nicht sagen. Auch an dem Gerücht, die männlichen Kollegen würden bereits dezent über die Frauenmacht maulen, sei nichts dran. 2009 fiel Glawischnig mit dem Satz „Die Grünen sind eine Frauenpartei“ – er fiel nach der Nicht-mehr-Kandidatur des EU-Parlamentariers Johannes Voggenhuber – auf. Der Sager „hat zwar in einer Partei kurzfristig bei manchen zu Verunsicherung geführt“, so die grüne Bundessprecherin, „aber Frauenförderung ist auch den Männern bei den Grünen ein Anliegen“. Glawischnig ist ebenso für eine gesetzliche Frauenquote plus Sanktionen (Kürzung der Parteiförderung). Andere sind vorsichtiger: Rudas findet, dass der Wähler/die Wählerin ja aussuchen könne. „Wenn die FPÖ eine Männerpartei sein möchte, soll sie das sein dürfen.“ Marek hingegen meint: „Ein gewisser Druck wäre schon spannend.“

Familiensache. Eine Quote allein wirkt aber auch keine Wunder. Wie in der Wirtschaft gilt: Die Vereinbarkeit mit der Familie sei faktisch eminent wichtig, sagt Expertin Sauer, die spätabendliche Sitzungen für verzichtbar hält. Aber ist Spitzenpolitik realiter mit gelebter Verantwortung für Familie vereinbar? Die zweifache Mutter Glawischnig gilt als lebender (wenn auch oft unter Stress stehender) Beweis: „Ich glaube auch, dass ein Elternabend erdet. Das ist wichtig für den Realitätsbezug“, sagt sie. Rudas hingegen hat zumindest bei ihrem aktuellen Job Zweifel an der Vereinbarkeit: „Gerade als Bundesgeschäftsführerin ist man bei seiner Zeiteinteilung oft sehr fremdbestimmt.“ Die schlechte Vereinbarkeit führe auch dazu, dass Frauen verspätet in die Politik „quereinsteigen“, sagt Sauer. Effekt: Man beginnt zwar mitunter weiter oben, dafür fehlt der Rückhalt in der Partei. „Frauen werden oft verschlissen“, sagt die Politikwissenschaftlerin.

In einem Punkt unterscheiden sich Politikerinnen und Politiker aber nicht: Es braucht Förderer, und – logischerweise – sind das oft noch Männer. Frauennetzwerke? Offiziell wichtig, hinter vorgehaltener Hand lautet der Kommentar aber auch von Frauen eher: „Nett.“ Und: „Nicht besonders hilfreich.“ Meist waren es Männer, die Frauen nach oben begleiteten, sie motivierten, eben doch Ja zu sagen: So wie bei Burgstaller der langjährige Gemeinde-, Bezirks- und Landespolitiker Buchleitner, so wie bei Fekter zuerst (männliche) Gemeindepolitiker auf ihrer ersten politischen Station, in Attnang-Puchheim. Später waren es die Vizekanzler und ÖVP-Chefs Molterer und Pröll.

Ob sie denn selbst Frauen fördern? Burgstaller, Parteichefin in ihrem Bundesland, verweist stolz auf die zwei Frauen unter den vier SPÖ-Landesräten; zuletzt habe sie auch ganz bewusst eine Frau ins Team geholt: die Gesundheits- und Soziallandesrätin Cornelia Schmidjell. Auch Gartelgruber spricht von einem internen Mentoringprogramm für Frauen, das sie plane. Und Rudas, die sowohl Werner Faymann als auch seine Frau, die Wiener Gemeinderätin Martina Ludwig-Faymann, zu ihren Förderern zählt, betont: „Ich ziehe bei gleicher Qualifikation Frauen vor.“ Warum dann stets von ihren männlichen Protegés die Rede sei – vom Dann-doch-nicht-Wrabetz-Büroleiter Nikolaus Pelinka bis zu Kanzlersprecher Nedeljko Bilalic? Antwort: In den Medien verkaufe sich „die Geschichte mit den Buberln“ besser.
Es geht aber auch auf die „harte“, weil einsame Tour. (Fast) allein unter Männern hat es etwa Elisabeth Köstinger gelernt: Sie habe sich eben ganz „unbekümmert und locker“ an die Politik herangewagt, erst in Kärnten, dann im Bund. Noch heute ist Köstinger, mittlerweile EU-Parlamentarierin der ÖVP, Chefin der österreichischen Jungbauernschaft – mit fast nur männlichen Mitgliedern. „Zwischentöne“, was ihr Geschlecht und auch ihr Alter (sie ist 33) angehe, gehörten jedoch dazu. In Wien noch mehr als in Brüssel.

Stilfrage. Die Klage, dass Frauen stärker mit nicht sachlicher Kritik als Männer zu kämpfen haben, kommt dann auch von allen Spitzenpolitikerinnen: Marek erinnert sich an den Wiener Wahlkampf: „Bei Veranstaltungen haben mich anfangs von fünf Leuten drei auf meine Ohrringe angesprochen.“ Was verbale Anspielungen auf das Äußere und weibliches Verhalten betrifft, kann auch Glawischnig viel erzählen: „Ich war schon die ,Oberlehrerin‘, ,das Schoßkätzchen‘, die ,Eva zum Herzeigen‘. Bis zu einem gewissen Maß gewöhnt man sich an so etwas“, sagt Glawischnig. „Eine Waffe gegen Frauen ist oft die Verniedlichung. Man wird zum Fräulein, Mädchen. Oder man verliert den Nachnamen“, sagt Rudas.

Frauen in der Politik, heißt es in „Das Ende der Krawattenpflicht“, stehen vor widersprüchlichen Erwartungen: Treten sie „männlich“ auf, werden sie als Mannweib verunglimpft. Geben sie sich diplomatisch, wird ihnen mangelnde Durchsetzungskraft bescheinigt. Rudas kennt den Konflikt: „Als Frau sucht man in der Politik mehr nach seiner Rolle als Männer.“ Und: „Früher habe ich gedacht, dass ich dreimal lauter als die Männer sein und mehr auf den Tisch hauen muss.“ Auch Fekter findet, dass Frauen stärker als Männer mit „verletzenden Attributen“ belegt werden. Derzeit genießt sie einen späten Triumph: Die „Iron Lady“, als die man sie so oft „nicht wohlwollend“ bezeichnet habe, gefalle ihr heute am besten. „Seit Meryl Streep den Oscar gewonnen hat, ist das das allergrößte Kompliment.“

Problem Wahlreform. Die Frage, ob Frauen tatsächlich anders Politik machen, hat die Wissenschaft schon beantwortet: inhaltlich nicht, im Stil wohl. Frauen nehmen sich Kritik mehr zu Herzen, glaubt Marek. Ihre Wiener Wahlniederlage 2010, die öffentliche Debatte darüber hätten sie „persönlich fertiggemacht. Frauen identifizieren sich stärker mit dem, was sie machen. Sie machen mehr Herzenspolitik, Männer können da distanzierter sein. Aber ich würde das auch nicht anders wollen.“ Rudas sieht das nüchterner: „Ich glaube nicht, dass Frauen bei Kritik dünnhäutiger als Männer sind oder weniger den Zug zur Macht haben. Sie leben die Macht nur anders aus, weil sie auch anders beurteilt werden.“

Glaubt Rudas übrigens, dass sich in ihrer Generation etwas geändert hat? Ist ihre Karriere nicht Beweis? „Die Gefahr in meiner Generation ist, dass die Männer beim Thema Gleichberechtigung die Augen verdrehen und sagen: ,Reg dich nicht auf.‘“ Auch Sauer glaubt nicht, dass alles eitel Wonne ist: „Ich sehe bei den Mitte-30-Jährigen in den Parteien nicht wahnsinnig viel Bewegung. Gerade in der SPÖ kenne ich viele junge Frauen, die frustriert sind, weil ihnen die Gleichaltrigen die Jobs wegschnappen.“ Auch sonst besteht kein Anlass zu übertriebenem Optimismus. Die im Zuge des Konsolidierungspakets beschlossene Reduktion der Nationalratsmandate werde zulasten der Frauen gehen, glaubt Marek: „Frauen sitzen oft auf Kampfmandaten. So bin ich 2002 der ÖVP sozusagen passiert.“ Und: „Bei der Mandatsverteilung kommen die bestehenden Mandatare zum Zug, und das sind meist Männer. Die Mandate machen sich die Männer untereinander aus.“

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„Gut“ für die Frauen sei aber, dass an der Spitze der Großparteien derzeit „nicht gerade charismatische Köpfe“ seien, sagt Sauer. Eine Kanzlerin sei daher jederzeit möglich. Theoretisch.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2012)

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