Jugendvertreterin: "Politik agiert dumm und kurzsichtig"

Jugendvertreterin Politik agiert dumm
Jugendvertreterin Politik agiert dumm(c) Bundesjugendvertretung
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Rodaina El Batnigi, Vorsitzende der Bundesjugendvertretung, kritisiert im DiePresse.com-Interview mangelnde Angebote der Politik an die Jugend.

DiePresse.com: Die Bundesjugendvertretung (BJV) nennt als ihre Aufgabe, „Interessen junger Menschen zu bündeln und ihnen bei der Politik Gehör zu verschaffen". Schenkt Ihnen die Politik wirklich Gehör?

Rodaina El Batnigi: Die BJV ist die gesetzliche Interessenvertretung und hat Sozialpartnerschafts-Status - also eigentlich müsste sie es. Unserer Ansicht nach müsste die Politik uns bei jeder Entscheidung einbeziehen und unsere Expertise nutzen. In der Realität ist es aber nicht ganz so. Jugendangelegenheiten an sich werden als eher untergeordnet gesehen, die Politik kommt wenig auf Jugendliche zu und fragt nach ihrer Meinung.

Die Seniorenvertreter haben da ungleich mehr Einfluss.

Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass wir junge Menschen von 0 bis 30 Jahren vertreten. Das sind zwar 2,9 Millionen Menschen, es sind aber nicht alle davon wahlberechtigt. Es ist eine kleinere Wählergruppe als die Pensionisten. Außerdem sind die Pensionistenvertreter nach langer politischer Karriere besser vernetzt und haben bessere Connections als wir.

Waren Sie in der Verhandlungen über das aktuelle Spar- und Steuerpaket eingebunden?

Nein. Wir konnten nur eine Stellungnahme zum Gesetzesentwurf abgeben, in dem wir Kritik an den geplanten Maßnahmen geübt haben. Ziel als Interessenvertretung ist es natürlich, schon früher den Prozess mitzugestalten.

Was sagen Sie inhaltlich zu dem Paket?

Wir fordern, dass bei Jugendlichen nicht eingespart wird. Bei der Bildung brauchen wir eine Strukturreform, weil die eingerosteten alten Strukturen viel Geld verschlingen. Dann könnte das Geld woanders besser investiert werden. Das jetzige Sparpaket ist nicht nachhaltig. Man müsste zunächst schauen, wo Geld versickert und man wirklich einsparen kann.

Glauben Sie, dass Ihre Generation später noch eine ausreichende Pension bekommen wird?

Ich hätte zwar gerne eine, aber ich glaube nicht, wenn die Politik hier nichts ändert.

»Jugendliche sind keine billigen Stimmen«

Der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier charakterisiert die heutigen Jugendlichen als „individualisierte pragmatische Einzelkämpfer, die ihre Energie für Familie und Freunde verwenden und nicht für die großen Dinge der Welt". Ein korrekter Befund?

Ich schätze das ganz anders ein. Ich bin davon überzeugt, dass sich Jugendliche sehr wohl auch für die „großen Dinge" einsetzen möchten. Das Problem ist aber, dass Politiker heute zu wenig Jugendangebote haben, zu wenig auf die Jugendlichen eingehen, eigentlich gar keine Jugendpolitik betreiben. Sie starten zwar öfter Alibiaktionen, wo sie viel heiße Luft reden und Wahlkampfparolen von sich geben. Aber Jugendliche sind keine billigen Stimmen, sie wissen, wann sie wirklich ernst genommen werden und auf sie eingegangen wird. Und das passiert heute einfach viel zu wenig. Es wird ja viel über Politikverdrossenheit geredet, aber eigentlich ist es eine Distanzierung von der Politik. Die Jugendlichen können sich nicht mit den Politikern identifizieren. Sie brauchen starke Persönlichkeiten, die sich für ihre Angelegenheiten einsetzen. Daran mangelt es.

Wenn Politiker heute keine Jugendpolitik machen, warum rebellieren die Jugendlichen nicht?

Sie tun es schon. Im Rahmen der „Uni Brennt"-Proteste haben Jugendliche klar aufgeschrien und auch bei den Sparpaket-Protesten im Rahmen der Plattform Zukunftsbudget sind 2010 über 13.000 Menschen auf die Straße gegangen.

Das ist aber auch schon wieder ziemlich lange her.

Man fragt sich halt auch, wo der Protest hängen bleibt. Im Endeffekt ignorieren ihn die Politiker ja.

Im Vorsitzteam der BJV sitzen Sie zusammen mit Vertretern von Katholischer Jugend, Sozialistischer Jugend und Junger ÖVP. Kommt man bei so unterschiedlichen Gruppen überhaupt auf einen Nenner?

Sicher gibt es ab und zu Reibereien, aber in einem demokratischen Prozess ist es ja auch wichtig, dass verschiedene Meinungen eingebracht werden. Wir versuchen immer, im Sinne der Kinder und Jugendlichen auf einen Nenner zu kommen. Bei umstrittenen Themen entscheidet die Mehrheit.

Wie ist die Position der BJV zu Studiengebühren?

Wir sind dagegen, weil Bildung offen für jeden sein sollte, unabhängig vom finanziellen Hintergrund.

»Es existieren noch Klischees über Musliminnen«

Sie sind als Vertreterin der Muslimischen Jugend Österreich in der BJV. Auf welche Probleme stoßen muslimische Jugendliche im Vergleich mit anderen Jugendlichen?

Grundsätzlich sind es dieselben, die jeder andere auch hat. Darüber hinaus haben muslimische Jugendliche aber auch das Problem, dass es in der Gesellschaft noch nicht ganz angekommen ist, dass sie auch Teil dieser Gesellschaft sind. In den Köpfen der Menschen wird noch zu sehr unterschieden zwischen dazugehörig und nicht dazugehörig. In den Medien überwiegen bei dem Thema ja auch die Negativschlagzeilen. Positive Beispiele werden kaum erwähnt.

Sie tragen ein Kopftuch. Laut einer Umfrage vom Februar sehen die Österreicher das Kopftuch als größtes Hindernis für die Akzeptanz von Migranten. Hat das Kopftuch für Sie schon einmal ein Hindernis dargestellt?

Es existieren in den Köpfen schon noch Klischees über Musliminnen. Es sorgt im Alltag oft für Verwunderung, wenn man dem Klischee nicht entspricht. Für mich ist das Kopftuch einfach Teil meiner religiösen Ausübung.

Kritiker sehen das Kopftuch als Zeichen des Islamismus und fordern etwa ein Verbot in Schulen, damit Mädchen nicht zum Tragen gezwungen werden können.

Mit Islamismus habe ich genau Null am Hut. Ich kenne auch niemand, der zum Tragen des Kopftuchs gezwungen worden ist. Ich habe in meinem Umfeld bisher nur Fälle erlebt, wo man quasi dazu gezwungen wurde es auszuziehen, indem man im Alltag Ablehnung von der Gesellschaft erlebte. Es gibt aber sicher auch Fälle, wo Frauen zum Tragen gezwungen werden. Da bin ich strikt dagegen.

Stehen Sie einer Partei nahe?

Nein, ich bin parteineutral.

Eine Karriere in der Politik streben Sie nicht an?

Ich könnte mir das schon vorstellen.

Dazu bräuchten Sie eine Partei im Rücken.

Wenn es eine Partei gibt, mit der ich mich identifizieren kann und wo ich etwas einbringen und bewegen kann, dann werde ich zu dieser Partei gehen. Vielleicht gibt es das ja in Zukunft, im Moment haben alle bei der Jugendpolitik noch Nachholbedarf.

Wenn Sie als Politikerin drei Dinge ändern könnten, welche wären das?

Das fängt bei der Bildung an. Man müsste die Situation auf den Schulen und den Unis verbessern. Die Unis sind ausgehungert und haben zu wenig Kapazitäten. Außerdem würde ich prekäre Arbeitsverhältnisse beseitigen. Es sollte keine unbezahlten Praktika mehr geben. Und schließlich die Gleichberechtigung der Frauen: Durch eine bessere Kontrolle würde ich die Einkommensschere schließen.

Was erwarten Sie sich von der nächsten Nationalratswahl?

Ich kann schwer einschätzen, wie sie ausgehen wird. Ich würde den Politikern aber nahe legen, anzufangen, Jugendpolitik zu betreiben. Wir jungen Menschen sind ja auch die Wähler der Zukunft und wenn die Parteien es nicht schaffen, jetzt für uns ein Programm zu machen, werden sie uns auch in Zukunft nicht haben. Wie die Politiker momentan agieren, ist eigentlich sehr dumm und kurzsichtig. Wenn das so bleibt, werden junge Menschen weiterhin eher Oppositionsparteien wählen.

Zur Person

Rodaina El Batnigi ist eine von vier Vorsitzenden der Bundesjugendvertretung (BJV), der gesetzlich verankerten Interessenvertretung der Kinder und Jugendlichen in Österreich. Sie ist außerdem Vorstandsmitglied der Muslimischen Jugend Österreich. El Batnigi wurde 1988 in Wien geboren und studiert Pharmazie und Internationale Entwicklung.

UNO-Jugenddelegierte

Die Bundesjugendvertretung ruft zur Bewerbung als Jugenddelegierte/r zur UNO-Generalversammlung im Herbst 2012 auf. Bewerben können sich österreichische Staatsbürger zwischen 18 und 24 Jahren. --> weitere Infos

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