Sebastian Kurz, der unterschätzte Staatssekretär

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Vor einem Jahr stieg der JVP-Chef in die große Politik ein: Seither hat Österreichs Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz viele Vorschläge gemacht, einiges umgesetzt und sich dabei selbst neu erfunden.

Wien. Der Empfang in den Medien war kühl bis hämisch, der Ton mitunter aggressiv: „Das ist eine Verarschung all jener, die in diesem Bereich tätig sind und sich um Integration bemühen“ („Der Standard“). „Schade, dass die richtige Idee des Integrationsstaatssekretariats verschenkt wurde. Aber vielleicht ist Sebastian Kurz ein Genie, von dem allein Spindelegger weiß („Kronen Zeitung“). In den „Salzburger Nachrichten“ befand der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier: „Er ist fürchterlich uncharismatisch, kommt überheblich und borniert rüber.“ Und Anti-Kurz-Facebook-Gruppen wie „Ich mach den Integrationsstaatssekretär bei Humboldt“ fanden regen Zulauf.

Ein Jahr später hat sich das Meinungsbild völlig gewandelt. „Kurz hat sich vom belächelten Jungspund zur ÖVP-Hoffnung gemausert“, schreibt nun auch „Der Standard“. In den Beliebteste-Politiker-Rankings rangiert Sebastian Kurz auf dem zweiten Platz hinter Bundespräsident Heinz Fischer. Und sogar die Grünen zollten ihm dieser Tage Anerkennung für seinen „Aktivitätslevel“.

Ein treffendes Attribut. Denn so umtriebig wie Kurz war im vergangenen Jahr kaum ein Regierungsmitglied. Im Wochentakt lancierte er neue Vorschläge. Einmal in seiner Funktion als JVP-Obmann – Generationen-Scan für Gesetze, Zweckwidmung der Einkommensteuer –, viel öfter aber in seiner Funktion als Staatssekretär für Integration. Vieles kam über den Ankündigungsstatus nicht hinaus. Wie das verpflichtende zweite Gratiskindergartenjahr, das vor allem für Sprösslinge aus Migrantenfamilien gedacht war.

Aber: Der 25-Jährige, dem als Untermieter ein Platz im Innenministerium zugewiesen wurde, hat es immerhin geschafft, mit manchen seiner Forderungen tagelang die Medien- und Politlandschaft zu dominieren. Etwa mit jener nach höheren Strafen für Schulschwänzer. Nach anfänglichem Widerstand näherte sich sogar die SPÖ den Forderungen von Kurz an. In einer Arbeitsgruppe wird nun an einem Kompromiss gefeilt.

In der Integrationspolitik an sich hat sich Kurz viel Respekt erworben. Sein Weg der Mitte – kein naiver linker Zugang, keine rechte Hetze – hat sich vorerst ausgezahlt. Geschickt gewählt war das Generalmotto, das über allen Projekten steht: „Integration durch Leistung“. Das gefällt nicht nur ÖVP-Stammwählern, sondern auch vielen aufstiegsorientierten Zuwanderern. Kurz hat relativ schnell erkannt, dass diese keine Bittsteller im Sozialsystem sein, sondern es lieber aus eigener Kraft zu Ansehen und Wohlstand bringen wollen. Weswegen Kurz diesbezügliche Role Models auch gleich für seine Kampagnen eingespannt hat – als „Integrationsbotschafter“ an Schulen etwa.

Sebastian Kurz, der Zuhörer

Auch Sebastian Kurz selbst war viel unterwegs. Von den hiesigen Hotspots der Migranten-Community wie dem Brunnenmarkt in Wien-Ottakring bis hin zu wirklichen sozialen Brennpunkten wie Berlin-Neukölln führten ihn seine Fact-Finding-Missions. Kurz tat, was ihm naheliegend erschien – und auch nicht unklug war: Er hörte in erster Linie einfach zu.

Die relativ knappen finanziellen Mittel, die dem Integrationsstaatssekretär zur Verfügung stehen – rund 30 Millionen Euro pro Jahr – werden in alle möglichen Projekte gesteckt: von der Sprachförderung im Kindergarten über Lerncafés bis hin zu den erst diese Woche vorgestellten Hausbesuchen bei bildungsfernen Familien.

Als größeren Erfolg auf der Habenseite darf Kurz bereits die Beschleunigung der Anerkennung von Studienabschlüssen von Zuwanderern aus Drittstaaten verbuchen. Und wohl auch die Schaffung eines Dialogforums Islam.

Wobei Sebastian Kurz vielfach auch auf Erfahrungswerte und Vorarbeiten von Experten wie dem Uni-Professor Heinz Fassmann aufbauen konnte. Den fertigen Integrationsbericht brauchte er im Innenministerium nur mehr aus der Schublade zu ziehen.

Vom Chef geschätzt und forciert

In der Spindelegger-ÖVP ist Sebastian Kurz mittlerweile mehr als ein „Jungstar“. Vom Chef wurde er jüngst mit der Ausarbeitung eines „Demokratiepakets“ betraut, das unter anderem auch die Direktwahl von hundert Nationalratsabgeordneten vorsehen soll. Auch als Spitzenkandidaten für die nächste Wien-Wahl sähen ihn viele Parteikollegen gerne. Bisher hat Kurz abgewinkt. Auch das nicht ungeschickt.

Auf einen Blick

Am 21.April 2010 wurden – nach dem Rücktritt von Josef Pröll – die neuen Mitglieder der ÖVP-Regierungsmannschaft angelobt bzw. jene, die schon in der Regierung waren, in ihre neue Funktion eingesetzt. „Die Presse“ zieht nun in loser Folge eine Einjahresbilanz der Arbeit dieser schwarzen Regierungsmitglieder. Bereits erschienen: Karlheinz Töchterle, Maria Fekter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2012)

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