Glawischnig: "Rechtsanspruch auf Kindergartenplatz"

Glawischnig Rechtsanspruch Kindergartenplatz
Glawischnig Rechtsanspruch Kindergartenplatz(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Den Muttertag sieht die Grünen-Chefin heute gelassener als früher – als sie selber noch nicht Mutter war. Sie will einen fixen Papamonat. Jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr soll das Recht auf einen Kindergartenplatz haben.

Feiern Sie den Muttertag?

Eva Glawischnig: Ja. Ich finde, die Wiener Kinderfreunde (eine SPÖ-Organisation, Anm.) lösen das gut: Die haben einen Familientag. Die feiern Mutter- und Vatertag zusammen. Da muss man nicht extra an den Vatertag denken. Ansonsten ist dieses Datum bei uns von Geburtstagsfeiern überlagert: Mein Sohn und mein Mann haben Geburtstag.

Der Muttertag war und ist bei Linken und Feministinnen verpönt. Sehen Sie das entspannter, weil Sie Kinder haben?

Als ich jünger war, war ich sehr viel kritischer. Jetzt sehe ich das gelassener. Wenn Kinder eine Freude damit haben, wenn sie Blümchen schenken oder irgendwas zeichnen können, ist das doch total o. k. Ich glaube, jede Mutter freut sich, wenn sie ein kleines Geschenk bekommt, egal unter welchem Titel. Allerdings sehe ich das losgelöst vom Hintergrund, dass unsere Gesellschaft noch ihre Probleme zu lösen hat, was tatsächliche Gleichstellung von Männern und Frauen betrifft, insbesondere die Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Man muss aber nicht alles in eine Muttertagsdebatte packen.

Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek hat einen Vorstoß unternommen, die Elternteilzeit zu verkürzen. Dadurch würden mehr Frauen in den Arbeitsprozess kommen, argumentiert sie. Sehen die Grünen das anders?

Wenn man sich die vergangenen zehn Jahre anschaut, hat sich das dramatisch entwickelt. Vor allem seit die schwarz-blaue Politik die Frau als Zuverdienerin stark propagiert hat. Bei der Kinderbetreuung gibt es massive Unzulänglichkeiten. Schaut man sich das im internationalen Vergleich an, sollte das der Familienpartei ÖVP die Schamröte ins Gesicht treiben. Wir müssten – das schreibt uns die EU vor – für 30 Prozent der unter Dreijährigen einen Kindergartenplatz haben, wir haben zwischen zehn und zwölf Prozent. Da muss man an anderen Schrauben drehen. Frauen auf Plakaten zu sagen: „Macht weniger Teilzeit“, hilft da weniger.

Sondern?

Die Kinderbetreuung ist der Schlüssel. Recht auf Teilzeit ist nach wie vor kein Vollrecht. Das gilt nur in Betrieben mit mehr als 20, 30 Mitarbeitern. Ein Recht auf Teilzeit in kleineren Betrieben würde Väter in Karenz bringen.

In der Realität würde das für Kleinunternehmer ein großes Problem bringen, da dies kaum zu organisieren wäre.

Man muss da an vielen Schrauben drehen: etwa mit einem fixen Papamonat.

Papamonat? Soll man diesen verpflichtend machen, wie das Ihre Partei fordert?

Man kann niemanden daran hindern, dass er ins Büro geht. Andererseits: Als Frau musst du auch zu Hause bleiben im Mutterschutz. Warum nicht auch der Vater?

Sie waren früher keine große Anhängerin der klassischen Familienförderung. Hat sich Ihre Meinung geändert, seit Sie Mutter sind?

Ich glaube, dass sich die gesamte Lebensperspektive bei jedem Menschen verschiebt, wenn er Kinder bekommt. Was wir verstärkt angehen müssten, sind die echten Alltagsprobleme. Wenn mich eine Frau auf der Straße anspricht: Sie hat einen Kinderbetreuungsplatz im 5. Bezirk, arbeitet aber im 22. Bezirk und bekommt ein zweites Kind und weiß nicht, wie sie das organisieren soll. Oder wenn eine Mutter mir sagt: Ich möchte mit meinen drei Kindern nicht arbeiten gehen, bekomme für das kleinste mit drei Jahren also keinen Kindergartenplatz. Ich weiß nicht, ob Herr Strache diesbezüglich angesprochen wird auf der Straße.

Vermutlich nicht. Aber Sie haben einen guten Kontakt zum Wiener Rathaus. Dort ist man der Meinung: Wenn du nicht arbeiten gehst, bist du zu Hause und kannst dich hinten anstellen, wenn es um einen Kindergarten- oder Spielgruppenplatz geht.

Ich sehe das eben anders. Jedes Kind hat ein Recht auf einen Kindergartenplatz und eine Entwicklungsmöglichkeit. Dass ein Kind ab dem dritten oder vierten Lebensjahr 20 Stunden mit anderen Kindern Zeit verbringt und dabei gefördert wird, ist wichtig. Man tut dem Kind nichts Gutes, auch in der Sprachentwicklung, wenn es nur zu Hause ist. Ich bin ein Fan der Frühförderung. Das ist für mich der wichtigste Bereich in der Bildungsförderung. Da wird der Rucksack für die Zukunft gepackt, was die Kompetenzen betrifft.

Sie meinen, dass die geringe Anzahl an Kinderbetreuungsplätzen der Hauptgrund dafür ist, dass zu viele Frauen nicht in Vollzeitjobs am Arbeitsmarkt sind. Gibt es sonst noch Handlungsbedarf?

Ja, beim Karenzmodell mit diesen vier unterschiedlichen Varianten.

Das ist Ihnen zu kompliziert?

Es ist extrem kompliziert. Als Familie muss man sich mit vielen Dingen herumschlagen, alles mit zwei Arbeitgebern ausmachen. . .

Wie soll es denn geregelt sein?

Wir sind für kürzere Auszeiten, aber nur unter der Voraussetzung, dass man einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem ersten Lebensjahr hat. Wenn du drei, vier Jahre vom Arbeitsmarkt weg bist, hast du Probleme mit der Rückkehr. Vorarlberg etwa hat Kinderbetreuung oft erst ab dem dritten, vierten Lebensjahr. In Niederösterreich haben wir Telefontests in Kindergärten gemacht: Wie ist das mit der Nachmittagsbetreuung? Es kommt oft die Antwort: „Dann ist Ihr Kind aber das einzige, das arme Hascherl.“ Diese Antwort bekommen viele Eltern. Am Ende heißt es: kein Bedarf.

Ist das schon eine erste Aktion für den Landtagswahlkampf?

Nein, warum?

Sie wollen beweisen, dass dort die Nachmittagsbetreuung nicht funktioniert?

Nein, das ist ja bei uns ein Dauerthema. Unser Bildungsschwerpunkt geht vom Kindergarten bis zur Uni.

Woran liegt es eigentlich, dass die Grünen mit diesem Thema nur schwer durchdringen? Sie müssten auch in den Umfragen besser liegen, wenn man sich die Performance der Regierung ansieht.

Seit dem Atomfiasko in Fukushima sind wir konstant bei 13 bis 15 Prozent, vorher waren wir deutlich drunter. Atomenergie ist im Moment kein allgemeines Leitthema, trotzdem hält sich dieses hohe Niveau. Mein Ziel ist es, diese 14, 15 Prozent bei der Nationalratswahl zu erreichen. Das müssen wir schaffen.

Trotzdem: Die Zeitungen berichten über die Grünen eigentlich nur, wenn Herr Pilz oder Frau Moser etwas im U-Ausschuss finden.

Wir waren bei verschiedenen Themen erfolgreich, das Ökostromgesetz haben wir deutlich verbessert. Gegen die Vorratsdatenspeicherung haben wir 10.000 Unterschriften und mehr gesammelt. Das wird die erfolgreichste Verfassungsklage der Zweiten Republik werden, wenn das so weiter geht. Wir arbeiten kontinuierlich an unseren Themen.

Klingt nicht sehr sexy. Die Piraten, die auch in Österreich weder ein Gesicht noch ein Programm haben, liegen in den Rohdaten schon beachtlich. Das beunruhigt Sie doch.

Ich habe schon viele solcher neuen Parteien beobachtet. Sie kommen und gehen.

Haben Sie Kontakt zu Piraten gehabt?

Ja, einmal bei einer Diskussionsveranstaltung, aber das war nicht ergiebig. Das Interessante bei der Innsbrucker Wahl war, dass sie ihre Stimmen in Sprengeln geholt haben, die wir als FPÖ-Sprengel eingeschätzt haben. Die FPÖ war dort schwach und ist schwach geblieben. Die Piraten sind im Moment ein Phänomen in Deutschland, wir müssen beobachten, wie sich das weiterentwickelt.

Die Grünen haben in Wien einen Teil ihres Vorwahlsystems im Netz betrieben. Das gab zwar eine Aufregung, aber auch frischen Wind und neue Gesichter: Warum veranstalten Sie nichts Vergleichbares vor der Nationalratswahl?

Wir bleiben bei unserem Listenwahlsystem, in dem Sinn, dass es Vorwahlen in den Ländern gibt. Auf der Bundesliste gibt es nur vier Plätze mit Chancen.

Sie könnten Ihren Landesparteien aber ein solches Programm zur Öffnung nahelegen.

Die Einmischung in Listenwahlsysteme hänge ich mir nicht um. Ich finde es bemerkenswert, dass bei uns Menschen auf Versammlungen gewählt und nicht vom Parteigremium bestimmt werden.

Ich nehme an, Sie bekommen Glücksgefühle, wenn Sie an Rot-Grün in Wien denken.

Ich habe Michael Häupl immer gesagt: Die Wiener Grünen sind in den Verhandlungen für einen Pakt extrem mühsam, aber sie sind absolut pakttreu. Ich finde, das ist auch wichtig. Michael Spindelegger verhandelt hingegen im Bund Pakete und schnürt sie dann wieder auf. Der Stil dieser Koalition in Wien hingegen ist extrem angenehm. Man hat auch das Gefühl, dass sie Freude haben, miteinander zu arbeiten. In Oberösterreich ebenso, Rudi Anschober und Josef Pühringer wertschätzen einander auch öffentlich.

Die Wiener Grünen tigern sich in Verkehrspolitik hinein, arbeiten an vielen lokalen Projekten und setzen auf Parkpickerln und Co. Aber von echten Ideen und Visionen hört man nicht viel. Es geht nur um Verkehrspolitik und viel Klein-Klein.

Das stimmt so nicht. Wir machen im Mai eine Konferenz aller Grünen, die in Österreich in irgendeiner Regierungsfunktion sind. Das sind über 40, die sind fast alle in Bereichen wie Nachhaltigkeit, Verkehr, Energie, Kultur und Demokratie beschäftigt, das lässt sich sehr eindeutig zuordnen. Ja, viele arbeiten an Kleinprojekten. Wir holen sie einmal vor den Vorhang. Wenn man die Welt verbessern will, muss man in den Städten beginnen. Die Zukunft entscheidet sich in den Städten. Wien ist da sicher eine Vorzeigestadt.

Nicht im europäischen Kontext. Da gibt es bessere.

Vielleicht Kopenhagen, ja. Dem Ziel umweltpolitische Musterstadt zu werden, kommen wir näher. Das kann man kleinteilig nennen, aber es ist ein klarer Weg.

Die Grünen sind vielleicht mehr Regional- denn Bundespartei?

Nein. Die deutschen Grünen sind mit sechs Prozent in die Regierung gegangen. Das zweite Mal mit acht Prozent. Wir hatten zehn, elf Prozent die vergangenen Jahre.

Werner Faymann ist aber nicht Gerhard Schröder.

Das ist in vielerlei Hinsicht richtig. Aber neue Mehrheiten sind das Ziel, ob es bei der nächsten oder übernächsten Wahl gelingt, werden wir sehen.

Würden Sie noch einmal fünf Jahre Oppositionschefin machen?

Unsere Oppositionsrolle ist eine ganz andere. Es gibt keine Verfassungsmehrheit der Regierung mehr. Im Moment ist sehr viel Spielraum da. Das Medientransparenzgesetz etwa wäre nie so scharf ohne die Grünen beschlossen worden. Ich glaube nur nicht, dass es nach der nächsten Wahl so weitergehen wird wie bisher. Es wird viel Konstruktivität von allen Beteiligten notwendig sein, um etwas weiterzubringen.

Die von der Regierung geplante Reform der Parteienförderung und -finanzierung gefällt Ihnen?

Wir sind da vollkommen offen. Ich habe nur nicht verstanden, warum man die Offenlegung der Parteispenden mit der Parteienförderung junktimiert. Für uns ist das okay. Reden wir über die öffentliche Parteienfinanzierung. Wenn man aber noch ein halbes Jahr bei den Spendenoffenlegungen zuwartet, wird die ÖVP versuchen, noch so viel Geld wie möglich einzusammeln, erst ab 1. Jänner wird es dann transparent. Die dürften schwere finanzielle Probleme haben, vielleicht noch aus Wilhelm Molterers Zeit. Wird sind schuldenfrei. Wir haben auch für die Länder Haftungen übernommen, das ist alles abbezahlt und aufgelöst. Wir könnten starten.

Mit dem Wahlkampf? Haben Sie auch schon ein dazugehöriges Konzept in der Lade liegen?

Wir beginnen inhaltlich im Sommer und werden im Herbst eine Vorwahlkampf-Kampagne starten.

Ist das nicht sehr früh?

Nein. Wir versuchen, Wähler mit neuen Methoden zu erreichen. Ein Versuch war etwa, Conchita Wurst über Nachhaltigkeit in einem YouTube-Video reden zu lassen: Das war ein Test. Wie kommt das, wenn Kunstfiguren ernste Themen präsentieren? Und es war im Netz der absolute Renner. 80.000 Klicks insgesamt! So viel hatten wir überhaupt noch nie.

Mit „Prominenten“ zu werben ist aber sehr riskant.

Nein, solche Wege muss man sich überlegen, nachdem viele Leute von klassischer Politik die Nase voll haben. Strache macht es auf die klassische Tour mit Plakaten. Ich hätte übrigens gerne gewusst, wie er das finanziert. Da hätte ich gerne eine Offenlegung.

Seit Oktober 2008
ist Eva Glawischnig Bundessprecherin der Grünen. Davor war sie stellvertretende Parteichefin unter Alexander Van der Bellen und Dritte Nationalratspräsidentin.

Geboren
wurde Eva Glawischnig in Kärnten, am 28. Februar 1969. Nach dem Gymnasium in Spittal an der Drau studierte sie Rechtswissenschaften in Graz. Ihre Dissertation schrieb sie über die Problematik der grenznahen Atomkraftwerke. Glawischnig war auch juristische Beraterin der Umweltorganisation „Global 2000“.

Seit Juni 2005
ist Eva Glawischnig mit dem Fernsehmoderator Volker Piesczek verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2012)

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