Gesundheitsreform: Länder und Kassen an kurzer Leine

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Bund, Länder und Sozialversicherung einigen sich auf eine Gesundheitsreform, um das System vor dem finanziellen Kollaps zu bewahren. Sie soll 2013 in Kraft treten.

Wien/Pri. Fast schien es so, als wären die Gesandten von Bund, Ländern und Sozialversicherung selber überrascht, dass sie sich nach einem Jahr und etlichen Verhandlungsrunden auf eine Reform des Gesundheitssystems geeinigt haben. Von „niedergerissenen Mauern“ war da am Mittwoch im Festsaal des Gesundheitsministeriums die Rede, von einem historischen Tag und von vielen Schatten, über die gesprungen werden musste.

Kurz davor hatten Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ), Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP), der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP), die Wiener Gesundheitslandesrätin Sonja Wehsely (SPÖ), Hauptverbands-Chef Hans Jörg Schelling und die Wiener Kassen-Obfrau Ingrid Reischl ihre Unterschriften unter einen Pakt gesetzt, der aus einer finanziellen Notlage heraus geboren wurde und – so man den Lobliedern des Sextetts Glauben schenkt – das System von Grund auf verändern wird.

Der zentrale Ansatz lautet: Spitäler und Arztpraxen werden in Zukunft gemeinsam von Bund, Ländern und Sozialversicherungen geplant, gesteuert und finanziert. Wobei der Bund die Rahmenziele (Versorgung, Qualität) vorgibt, die im Detail dann von Ländern und Krankenkassen einvernehmlich in der jeweiligen Region umzusetzen sind.

Derzeit gibt es zwei Systeme im System: Die Länder sind für die Spitäler verantwortlich, die Kassen für den niedergelassenen Bereich. Mit dem Effekt, dass der eine versucht, die Patienten in den jeweils anderen Bereich zu verschieben, um selber weniger Kosten tragen zu müssen. An Wochenenden bzw. in Regionen mit wenig Kassenärzten weichen die Patienten oft in Spitalsambulanzen aus, was dem Steuerzahler viel teurer kommt: Die Gesundheitsausgaben – 2011 waren es rund 20,9 Milliarden Euro – stiegen in den vergangenen Jahren deutlich stärker als das BIP.

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Pühringer: Spitalsreform in allen Ländern

Daher werden jetzt Ausgabenobergrenzen festgeschrieben: Die Kostensteigerung soll bis 2016 auf 3,6Prozent gesenkt werden (was dem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum entspricht) und dann auf diesem Niveau bleiben. Nebenher muss gespart werden: Bis 2016 rechnen die Systempartner mit 3,43 Milliarden Euro, 2020 sollen es bereits elf sein (siehe Grafik). Durch welche Maßnahmen das gelingen soll? Pühringer fasste es so zusammen: Jedes Bundesland werde eine Spitalsreform durchführen müssen. „Sonst schaffen wir das nicht.“

Wenn sich ein Bundesland nicht an die Zielvorgaben hält, wird – wie im Stabilitätspakt zwischen Bund und Ländern – ein Sanktionsmechanismus ausgelöst. Zuerst gebe es „eine Rüge und einen Verbesserungsauftrag für das nächste Jahr“, erklärte Fekter. Danach drohen Strafzahlungen, deren Ausmaß noch zwischen den Ländern auszuverhandeln ist. Allerdings: „Bei notorischen Sündern“ würden auch die Länder untereinander keine Milde walten lassen, versprach Pühringer.

Die regionale Planung und Steuerung wird in den Landesgesundheitsplattformen stattfinden. Sie werden von den Ländern und den Kassen personell beschickt. Inwieweit die Stimmrechte verteilt und Vetorechte eingeräumt werden, ist vorerst aber noch offen.

Denn die Details des Reformplans werden erst über die Sommermonate ausgearbeitet und dann in einer Bund-Länder-Vereinbarung verschriftlicht. Im Oktober sollen die Beschlüsse im Nationalrat und in den Landtagen erfolgen, damit die Neuerungen Anfang 2013 in Kraft treten können.

Davor graut der Ärztekammer: Die Pläne dienten in erster Linie einer Entlastung der Länderbudgets und würden den niedergelassenen Bereich aushöhlen, kritisierte Präsident Walter Dorner sogleich in einer Aussendung. Außerdem missfällt den Ärzten, dass die Gesundheitsausgaben an das BIP gekoppelt werden: „Was“, fragte Dorner, „passiert in Zeiten von Wirtschafts- und Finanzkrisen? Stagniert dann auch die medizinische Versorgung?“ Die FPÖ befürchtet ebenso „Ungemach für die Patienten“, das BZÖ sah „einen Kniefall Stögers vor den Ländern“. Lob kam nur von der Wirtschaftskammer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2012)

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