Die Jakobiner von Österreich

DEMOKRATIEBEWEGUNG 1794. Die politischen Salons Wiens als Brennpunkte einer vorrevolutionären Bewegung. – Ein Geschichtsaufriss von Alexander Emanuely.

Solange der Österreicher noch braun's Bier und Würstel hat, revoltiert er nicht.“

Diese Aussage, die Ludwig van Beethoven im Sommer 1794 aus Wien seinem Verleger in Bonn schreibt, mag manchen geradezu zeitlos erscheinen. Beethoven freilich war damals gerade Zeitzeuge dieses österreichischen, – in seinem Fall – Wiener Charakterzuges geworden. Das Fanal der französischen Revolution bewegte die breiten Massen nicht, man sah nicht die demokratischen Tendenzen, sondern nur einen Anschlag auf die europäischen Monarchien. Im Juli des Jahres stürmte die Polizei in Wien und Buda (Budapest) die Wohnungen freisinniger Personen, die als „Jakobiner“ gebrandmarkt wurden. Sie hätten einen gefährlichen Umsturz vorbereitet, lautete die amtliche Sprachregelung – und die Bevölkerung nahm diese Version für bare Münze.

Alexander Emanuely liefert dazu ein aus 19 Puzzles bestehendes Bild, das er nun druckfrisch unter dem Titel „Ausgang: Franz Hebenstreit (1747–1795)“ fasst. Der Autor handelt die Lebenswege von 15 Personen sowie die Intentionen von vier Institutionen ab, die gemeinsam das Geschick der Wiener Jakobiner wiedergeben. Sicher wäre jeder Einzelne – Titelgeber Hebenstreit, die eigentliche Mittelpunktperson Andreas Riedel oder der Magistratsbeamte Martin Joseph Prandstätter – eine eigene Abhandlung wert. Aber dann käme wohl das Gesamtbild dieser demokratischen Szene zu kurz.

Über Hebenstreit wird im Geschichtsunterricht der höheren Schulen kaum ein Wort verloren, die Wiener Jakobiner kommen – wenn überhaupt – äußerst schlecht weg (zumindest im Unterricht des Autors dieser Zeilen). Danton, Robespierre, die Koalitionskriege und schließlich Napoleon – für demokratische Strömungen im Österreich dieser Zeit war (und ist) in der Schule keine Zeit.

Der Einblick, den Emanuely nun liefert, zeigt beide Seiten: Da gibt es in demokratischen Zirkeln, Logen und Salons eifrig diskutierende Menschen, die von den Gedanken der französischen Revolution angetan sich vehement gegen einen Krieg mit Frankreich aussprechen. Auf der anderen Seite zieht der junge Regent Franz II. (später als österreichischer Kaiser Franz I.) die Zügeln an, mit einem restriktiven Polizei- und Spitzelwesen unterdrückt er jede demokratische Regung. Die „Krise der barocken Stadt“ (so der Historiker Walter Sauer) prägte das letzte Viertel des 18. Jahrhunderts, die Städte wuchsen rasant, die Frühindustrialisierung und starke Zuwanderung schufen labile Zustände.

Das eigene Spiel der Spitzel

Die Gesellschaft ist gespalten. Von den Handwerkern, die etwa im Altlerchenfelder Bierhaus „Zum Rauchfangkehrer“ von der Revolution schwärmen, gibt es keine Verbindung zu den intellektuellen Kreisen. Damit hat die Polizei, die in alle bekannt gewordenen Kreise ihre Spitzeln eingeschleust hat, leichtes Spiel. Die Spitzeln wollten ihrerseits ihre Rechtfertigung beweisen und übertrieben das Gesehene und Gehörte maßlos. So lautete schließlich auch die Anklage gegen die verhafteten Jakobiner auf Staats- und Landesverrat.

Die Folgen waren geradezu drakonisch. Die Verurteilten wurden mitten in der Stadt an den Pranger gestellt, sie wurden zu schweren Kerkerstrafen, einige wenige zum Tode verurteilt. Die Menge geiferte und brüllte, sie schmähte die blassen vorgeführten Gestalten, die schwer gefesselt zur Schaustellung auf die Schandbühne am Hohen Markt geführt wurden. Jene, die sich tatsächlich angewidert abwandten, blieben stumm.

Zwei Wiener Angeklagte, die dem Militärstand angehörten, wurden zum Tode verurteilt, sieben weitere in Ungarn. Die Hinrichtung von Franz Hebenstreit vor dem Schottentor gestaltete sich zu einem Volksfest der schaulustigen Menge. Da sich Kajetan Gilowsky knapp vor dem Todesurteil in der Zelle das Leben genommen hatte, wurde kurzerhand sein Leichnam beim Stubentor an einem Galgen aufgehängt.

„Fort zur Guillotine“

Die zeitgenössischen Berichte, die Alexander Emanuely über die Prangerszenen und die Todesurteile liefert, gehören zu den eindrucksvollsten Passagen des vorliegenden Buches. Wie der Autor überhaupt intensive Einblicke in das Leben der freisinnigen Salons und Zirkel sowie in die Elaborate der Wiener Jakobiner (die sich selbst nie so bezeichnet haben) liefert. Die Seite des Herrscherhauses, also Franz II. und seiner Umgebung, bleibt hingegen ausgeblendet. Haben sich die Machthabenden tatsächlich durch die Schriften und Streitlieder („Drum fort mit ihm zur Guillotin/Denn Blut für Blut muß fließen,/Hätt man nur a so a Maschin,/Müsst's mancher Großkopf büßen“ in Hebenstreits Eipeldauerlied) bedroht gefühlt? Oder war der Kaiser vom Schicksal der französischen Bourbonen traumatisiert? Die Tür für weitere historische Forschung steht da noch offen. Erich Witzmann

AUF EINEN BLICK

Das Buch zum Diskurs
Alexander Emanuely: „Ausgang: Franz Hebenstreit“, in der Enzyklopädie des Wiener Wissens. Porträts Bd. II, 112 S., 15 Euro (Bibliothek der Provinz).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.