Schwarzenberg: "Ohne EU wird Balkan zur Zeitbombe"

(c) Michaela Bruckberger
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Mit einem EU-Beitritt der Ukraine und Moldawiens hat es Tschechiens Außenminister Schwarzenberg nicht so eilig: "Für uns kommen Moldawien und die Ukraine erst als Zweites."

Die Presse: Will Tschechien die EU-Osterweiterung vorantreiben und nach Kroatien bald auch die Ukraine integrieren?

Karl Schwarzenberg: Nach Kroatien müssen wir erst den westlichen Balkan in die EU aufnehmen. Solange wir das nicht getan haben, pflegen wir mit großem Eifer eine Zeitbombe direkt neben uns. Der Balkan kommt nie zur Ruhe, wenn wir nicht endlich schaffen, dass die Grenzen unwesentlich werden. Das ist nur in der EU möglich. Zudem schaffen wir mit der dortigen Arbeitslosigkeit von bis zu 60 Prozent nur soziale Unruhen.

Also Serbien und selbst Albanien vor der Ukraine?

Für uns kommen Moldawien und die Ukraine erst als Zweites. Darin unterscheidet sich unser Standpunkt von der polnischen EU-Ratspräsidentschaft. Aber die Gespräche mit der Ukraine verlaufen ganz gut, und Moldawien unternimmt enorme Reformanstrengungen. Das alles wird jedoch noch etliche Jahre dauern. Irgendwann gelingt diese EU-Integration aber schon.

Sie loben die Verhandlungen zwischen EU und Ukraine, die bürgerlichen Freiheiten dort werden aber immer weiter eingeschränkt, wie auch der Prozess gegen Julia Timoschenko zeigt.

Die Ukraine weiß genau, dass sie da gewaltige Reformen vor sich hat, auch politische.

Hat Tschechien deshalb Timoschenkos einstigen Regierungsmitgliedern, die angeblich unter Korruptionsverdacht stehen, Asyl erteilt?

Wir haben bisher nur Ex-Wirtschaftsminister Bogdan Danilischin Asyl gegeben. Dies allerdings ist völlig zu recht geschehen.

Wird sich Tschechien gegen ein Assoziationsabkommen mit der Ukraine stemmen, wenn nicht alle Bedingungen erfüllt sind?

Wir würden sagen: Bitte haltet eure eigenen Kriterien ein! Dabei würden wir bestimmt von mehreren Ländern unterstützt werden. Ich glaube nicht, dass die EU aus rein wirtschaftlichen Überlegungen die Rahmenbedingungen verraten wird.

Sehen Sie eine Möglichkeit für die EU, auch auf Weißrussland Einfluss zu nehmen?

Dieser Einfluss ist sehr begrenzt. Die EU würde sicher gerne helfen, wenn Lukaschenko sich für Reformen und eine Annäherung entschiede, anstatt sein Land ganz an Russland zu verkaufen. Die EU wird ihm diesmal aber zu verstehen geben, dass sie wirkliche Reformen will.

Tschechien war bisher in Weißrussland sehr aktiv.

Am meisten unternehmen eben jene, die ähnliche Regime miterlebt haben. Diejenigen, die das nicht erlebt haben, wissen nicht, was Totalitarismus bedeutet.

Probleme hat die EU heute weniger im Osten, als vielmehr an der Südgrenze. Haben wir neben der Eurokrise auch eine Einwanderungskrise?

Eine starke Immigration hilft Parteien, die vehement dagegen sind, etwa in Holland, Österreich oder Finnland. Dieses Problem kann man nur mit Aufklärung lösen. Die Migranten müssen wirklich und bewusst integriert werden. Umgekehrt muss die einheimische Bevölkerung zur Toleranz erzogen werden.

Tschechien hat da mit einer der geringsten Ausländerquoten in der EU leicht reden.

Wir haben die Einwanderung der Roma aus der Ostslowakei und aus Rumänien. Und da haben wir uns auch nicht sehr glorreich verhalten. Unsere einheimischen Zigeuner wurden zu 90 Prozent während des Zweiten Weltkriegs umgebracht. Aber auch die Integration der zugewanderten Roma ist genauso möglich, wie jene aller Einwanderer. Nur braucht das Zeit, Geduld – und Geld.

Nach einigen Jahren Erfahrung als Mitglied: Ist die EU etwas Erstrebenswertes?

Es ist wie mit der Demokratie, von der Churchill gesagt hat, sie sei die schrecklichste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen. Die Isländer und die Schweizer können noch entscheiden, für das viel ärmere Tschechien führte kein Weg an der EU vorbei. Für die Schweiz ist es so, wie mir einmal ein Bauer in Österreich gesagt hat: „Mit vollen Hosen ist leicht stinken!“

Auf einen Blick

Karl Fürst zu Schwarzenberg (*1937 in Prag) lebte jahrzehntelang im österreichischen Exil und ist erst nach der Wende wieder nach Tschechien zurückgekehrt. Anfang der 1990er-Jahre war er Kanzleichef von Präsident Václav Havel. Seit 2007 diente er zwei Regierungen als Außenminister. Er ist Vorsitzender der 2009 gegründeten Reformpartei TOP09.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2011)

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