Die Welt bis gestern: Anton Benya: Ein Patriarch der Arbeiterbewegung

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Gewerkschaftschef vom alten Schlag, Sozialpartner und konservative Schlüsselfigur der SPÖ.

Als dem Herrn Nationalratspräsidenten im März 1972 die Abgeordneten einmal allzu toll herumbrüllten, murmelte der mächtige Mann etwas ins Mikrofon. „Halt's die Goschen, ös Trotteln“, hörten wir damals über den Lautsprecher im Journalistenbüro im ersten Stock des Parlamentsgebäudes. Es war ihm einfach so herausgerutscht. Anton Benya entschuldigte sich wenig später im Plenum etwas verdattert. Es war ihm sehr peinlich.

Seiner Reputation und Autorität tat diese Episode keinen Abbruch. Erstens, weil Benya ein bodenständig-humorvoller Politiker war, zweitens, weil er sehr mächtig war. Mindestens so wie Kanzler Bruno Kreisky damals.

Respekt vor dem Amt

In den frühen Siebzigerjahren durfte ich mehrmals mit Benya im Wahlkampftross durchs Land fahren. So auch ins Burgenland. Auf den Marktplätzen hatte er stets die Lacher auf seiner Seite, wenn er die gute Wirtschaftslage (dank der SPÖ) beschrieb: „Da jammern die Herren von der Wirtschaft und die Bauern, wie schlecht's ihnen geht. No, und dann lassen mir uns an Zwickel in die Hosen nähen, weil wir wieder zug'nommen haben...“

Wer lässt sich heute noch einen Zwickel einnähen? Wer sitzt um sieben Uhr morgens im Büro und verlangt dies von allen leitenden Mitarbeitern? Wer geht zum Schuhmacher? Ja, altmodisch war er in gewissem Sinne. Stets dem Anlass entsprechend gekleidet – ein Tribut des Respekts vor dem Amt. Und pünktlich. Altmodisch eben.

Der letzte einer inzwischen abgedankten Politikergeneration. So wie die „Landesfürsten“ ausgestorben sind, hat sich offensichtlich auch der Typ des patriarchalisch agierenden Interessenvertreters überholt. Der Wirtschaftskammer-Chef Rudolf Sallinger und der Gewerkschafter Anton Benya – dieses eigenartig-einzigartige Duo hat mit dem Instrument der Sozialpartnerschaft Wirtschaftsgeschichte in Österreich geschrieben, den Wohlstand zweifellos gemehrt – und auch viele Strukturen einfach verkrusten lassen.

Erst die innerparteiliche Krise der SPÖ in den Sechzigerjahren machte den Weg frei für den Metallarbeiter-Funktionär Benya. Bis dahin spielte sich sein Lebensweg in den gewohnten Bahnen des sozialistischen Apparats ab: 1912 in Wien geboren, Elektromechaniker-Lehrling, Jugendvertrauensmann, mit 21 schon Betriebsrat auf der sozialdemokratischen Liste, Mitarbeit in der illegalen Gewerkschaft ab 1934, zweimalige Haftstrafe wegen politischer Betätigung, insgesamt zehn Monate Arrest.

Die Kriegsjahre überstand er in der Elektrobranche, doch gleich nach 1945 stand Anton Benya für Höheres bereit: Betriebsrat bei der Firma „Ingelen“, Mitglied des Zentralvorstandes der Metall- und Bergarbeiter-Gewerkschaft. Für die Organisation hatte der „Benya-Toni“ – zeitlebens kein großer Redner – ein Faible. Und echte Begabung. Ohne diese wird man nicht mit 36 Jahren hauptamtlicher Organisationssekretär im ÖGB. Das war 1948. Er rückte auf der Liste der SPÖ-Bundesräte nach, kurz darauf fand er sich schon auf einem sicheren Mandat im Nationalrat. Denn inzwischen hatte sich der bedürfnislose Asket mit dem markanten Tatarenschädel zum stellvertretenden ÖGB-Generalsekretär, dann zum ÖGB-Vizepräsidenten emporgearbeitet. Durch Fleiß, weniger durch Intrigen; durch ein bürokratisches Arbeitspensum, das wesentlich Jüngere verzweifeln ließ.

Vom Jahr 1956 an sollte er 31 Jahre lang dem Parteivorstand der SPÖ angehören – ein mächtiger Mann, der um seinen Einfluss zwar wusste, ihn aber nur sparsam einzusetzen brauchte. Was Benya hinter verschlossenen Polstertüren zu sagen hatte, war eben nicht die Einzelmeinung eines Parteiveteranen, sondern dahinter stand das geballte Votum des (nach dem ÖAMTC) größten Vereins Österreichs. 1,8Millionen Mitglieder führte Benya einst noch in seiner Kartei, daran konnte kein Parteivorsitzender vorbeigehen.

Organisator und Verhandler

Am 1.Oktober1963 hievte man ihn auf den Präsidentensessel, nachdem der allzu machtbewusste Franz Olah gestürzt worden war. Und Benya wusste seine Chance zu nützen. Mit einer Organisationsdichte von über sechzig Prozent bei den Arbeitnehmern bot der ÖGB damals anderen Ländern ein nie erreichtes Vorbild.

Diese Stärke – auch innerhalb der SPÖ – war es, die Benya in Fragen der Löhne und der Preise faktisch autonom machte. Ihm gegenüber am Verhandlungstisch ein ähnlicher Patriarch: Rudolf Sallinger, unumstrittener Chef der Bundeswirtschaftskammer. Die beiden verband mehr als bloße Interessensvertretung: ihre persönliche Freundschaft hielt allen Belastungsproben stand, ihr Wort galt – auch in der jeweiligen Partei. So kam es, dass Streiks in Österreich so gut wie ausgeschlossen waren, weil unnötig. Benya, der listige Verhandler, hatte längst ausgemacht, was er seinem Visa-à-vis zumuten konnte. Und wenn gar nichts mehr ging, half eine Kartenpartie über den toten Punkt hinweg.

Dass Benya kein Freund des jüdischen intellektuellen Großbürgers Bruno Kreisky war, ist bekannt. Doch die stupenden Erfolge Kreiskys ließen Benya bald verstummen. Und er arrangierte sich mit dem Bourgeois auf dem SPÖ-Thron. Ebenso mit dessen Finanzminister Hannes Androsch, dem er zunächst mit Distanz begegnete. Androsch erinnert sich, dass ihn der Mächtige anfangs stets mit „Sie“ ansprach, was unter Parteigenossen höchst unüblich war. Erst Karl Waldbrunner brach das Eis, indem er die Ehepaare Benya und Androsch zu sich nach Meidling einlud.

Später wurde Benya (wie Waldbrunner) zu einem unbedingten Androsch-Förderer. Das war auch mit Mühen verbunden. Androsch: „Regelmäßig besuchte ich Benya im Büro. Gemäß seiner Gepflogenheit um 7.15 Uhr – strafverschärfend!“ Da hatte Benya aber schon eine Stunde gearbeitet.

Überfordert beim „Konsum“

Nach 1980 wollte Benya eigentlich schon gehen. Aber aus Verbundenheit zu Kreisky, der schon schwer krank war, blieb Benya auf dem Posten. Und in dieser Konstellation kämpften Kreisky wie Benya in Zeiten der weltweiten Stahlkrise um jeden Arbeitsplatz – mit Methoden, die irgendwann einfach zu teuer wurden. Doch im Nachhinein ist man leicht klüger.

Dass der Mann in so mancher Funktion eindeutig überfordert war, getrauten sich ihm nur wenige Freunde zu sagen. Sepp Wille, Metallarbeiter-Gewerkschafter, später SP-Klubchef im Nationalrat, war so einer. Im „Konsum“-Schlamassel habe der – nicht mehr ganz junge – Aufsichtsratspräsident Benya einfach versagt, meint Wille. Das bestätigt auch Androsch: Benya habe bis zum totalen Zusammenbruch des Imperiums lieber den Ohrenbläsern geglaubt. Beim Fußballklub Rapid ging es mit ihm als Präsident ebenfalls finanziell den Bach hinunter.

Auch seine (negative) Einschätzung der polnischen Solidarnoss-Bewegung bezeichnet der frühere Bundeskanzler Fred Sinowatz heute rückblickend als eindeutigen Fehler. Benya stand dem Arbeiterführer Lech Walesa kritisch gegenüber, weil er der Freiheitsbewegung keine Chance gab und fürchtete, die Arbeiter Polens würden dann zum Handkuss kommen.

Kein Skandal, billige Hobbys

Für die jüngeren SPÖ- wie auch ÖGB-Funktionäre war der Mann ein Fossil aus längst vergangener Zeit: kein Skandal, keine Bereicherung, keine Pfründe. Eine kleine Wohnung in Wien-Hernals, eine Ferienwohnung in Bad Kleinkirchheim, dortselbst Urlaub 40 Jahre lang, basta. Immer mit ein- und derselben Frau verheiratet, persönlich völlig bedürfnislos, mit Hobbys, die wenig kosteten: Wandern und Fußballplatz.

Dort, bei Rapid, hat er sich im September 2001 zum letzten Mal „den Leuten“ gezeigt. Und die freuten sich, dass er unter ihnen war. Allerdings spielten „die Buam“ katastrophal. Und der alte Ehrenpräsident, der sich ohnedies so leicht aufregen konnte, brach zusammen und musste ins Spital gebracht werden. Am 5.Dezember starb er.

Literaturtipp:

Heinz Kienzl (Hg.)

Die Zeit des Anton Benya

Arbeitsgemeinschaft für Information

und Medienforschung, 2007, 20€

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2007)

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