Die Welt bis gestern: Baumeister und Steinmetz

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Rudolf Sallinger. Mächtiger Sozialpartner und einflussreicher ÖVP-Königsmacher. Ein großer Mann von kleinem Wuchs mit weitem Herzen.

Ich lernte ihn am Beginn der Siebzigerjahre kennen. Die „Presse“ stand im Mehrheitseigentum der „Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft“, der Wiener Handelskammer und des Wirtschaftsbundes. Rudolf Sallinger – als quasi Besitzer der „Presse“ – war es nicht einerlei, wer in „seiner“ Zeitung angestellt würde, noch dazu in der Innenpolitik. Ob ich ein Wiener sei? Jawohl, Gersthofer seit Geburt. Das beruhigte ihn. „Wissen S'“, vertraute er mir an, „wenn i' über die Westautobahn fahr' und endlich kommen die gelben Lichter bei Auhof, könnt' i' jedes Mal weinen vor Glück.“ Dabei war er doch ein gebürtiger Niederösterreicher.

Und ein rasanter Autofahrer. Kein besonders guter. Dazu war seine Sehbehinderung zu groß. Groß waren daher auch die Buchstaben seiner Redetexte, die jahrzehntelang seine persönliche Assistentin, Frau Görner, auf einer Spezialschreibmaschine schrieb. Allzu viele Parlamentsreden wird man im Archiv des Nationalrats unter dem Stichwort „Sallinger“ nicht finden: Der Präsident sprach am liebsten nur einmal pro Jahr: als Hauptredner in der Budgetdebatte beim Kapitel „Wirtschaft“. Ansonsten nur, wenn es unumgänglich war.

Tischlersohn und gelernter Maurer

26 Jahre leitete er die Bundeskammer, 24 Jahre saß er als Wirtschaftsbund-Vertreter im Nationalrat. Er, der 1916 geborene Sohn eines Tischlers aus dem winzigen Lassee im Marchfeld. Während der Lehrlingszeit für das Maurerhandwerk absolvierte er als Werkstudent die Technische Lehranstalt und besuchte anschließend als a.o. Hörer sechs Semester lang die Fachabteilung Architektur an der Technischen Hochschule Wien.

Er war konzessionierter Baumeister und Steinmetz. Keine schlechte Ausbildung für einen angehenden Politiker. 1943 heiratete er in einen Steinmetzbetrieb in Wien-Margareten ein. Gleich nach 1945 betätigte er sich schon als Funktionär in der wirtschaftlichen Interessenvertretung, und zwar zunächst in der Innung der Steinmetze.

Das Wifi als Zukunftsinvestition

1953 wurde ihm die Leitung des Wirtschaftsförderungsinstituts der Wiener Handelskammer übertragen. In der Folge ließ Sallinger das heutige Wifi-Gebäude am Wiener Währinger Gürtel errichten. Es steht auf dem Areal des einstigen Rothschild-Spitals, das wegen schwerer Bombenschäden in der Nachkriegszeit abgerissen werden musste. Das 1963 eröffnete Institut zählt seit damals zu den modernsten Aus- und Fortbildungsstätten im europäischen Raum.

Am 14.Februar1964 wurde Sallinger als Nachfolger des verstorbenen Altbundeskanzlers Julius Raab zum neuen Präsidenten der Bundeskammer gewählt. Und in seiner ungeduldigen Art krempelte er die Ärmel hoch. Nichts konnte ihm schnell genug gehen. Wer in seinem Haus nicht um sieben Uhr früh am Arbeitsplatz anzutreffen war, hatte schon einen Schlechtpunkt. „Ich war schon um sechs Uhr in meinem Betrieb“, war sein Argument.

So erdverbunden und wienbezogen er auch wirken mochte – sein größtes Verdienst lag im rasanten Auf- und Ausbau eines eigenen Auslandsdienstes der Bundeswirtschaftskammer. Die Außenhandelsdelegierten wurden von ihm persönlich ernannt, in die Welt geschickt, wieder nach Wien zurückberufen. Als einer einmal nicht so funktionierte, wie sich das der Patriarch vorgestellt hatte, sah sich der Unglückliche nach Pjöngjang versetzt.

Journalisten müssen reisen

Ähnlich global dachte er bei den vielen Journalistenreisen, die sein Haus finanzierte: Die Zeitungsleute sollten – ohne ihn – die Welt kennenlernen. Die Außenhandelsdelegierten wussten, was zu tun war. Sie waren einfach gut. Es ist nur natürlich, dass das Lob über deren Brillanz die jeweiligen offiziellen österreichischen Botschafter ganz schön alt aussehen ließ.

Neben sämtlichen Ehrungen der Republik und der Bundesländer besaß der Wiener Ehrenbürger folgende ausländische Auszeichnungen: Grande Ufficiale dell' Ordine al Nerito della Republica Italiana,Großkreuz des Gregorius-Ordens(Hl.Stuhl), Großes Verdienstkreuz mit dem Stern für Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland,Kommandeurkreuz I.Klasse des Königlichen Wasa-Ordens (Schweden), Knight Commander of the British Empire,Tudor Vladimirescu II.Klasse (Rumänien), Verdienstorden um die VR Polen II.Klasse,Ehrenzeichen des Jordanischen Unabhängigkeitsordens I.Klasse, Großoffizier des Ordens von Oranien-Nassau, Madarski Konnik I.Grades, Reiter von Madara (Bulgarien), Gran Cruz al Merito por Servicios Distinguidos (Peru), Orden I.Klasse des Heiligen Schatzes (Japan), Kommandeur der Ehrenlegion (Frankreich), Großoffizierskreuz des Leopoldordens (Belgien), Fahnenorden mit Lorbeer der Rep. Ungarn, Friend of Overseas Chinese (China), Orden der Völkerfreundschaft (UdSSR).

Dreh- und Angelpunkt einer funktionierenden Sozialpartnerschaft war er. Und er hatte dabei einen kongenialen Partner auf SPÖ-Seite: Anton Benya. Der gelernte Elektromechaniker war ihm seelenverwandt: Durchaus machtbewusst, gewichtig in der eigenen Partei, eher wortkarg, schlicht in der Lebensführung, brillant in Verhandlungstaktik. Sie waren lange per Sie, das hinderte sie aber nicht an einer engen Freundschaft. Jeder der beiden wusste, was er der Gegenseite zumuten konnte. Und wenn wieder einmal der VP-Arbeitnehmerbund versuchte, die SPÖ links zu „überholen“, war Sallinger mächtig genug, solches im Keime zu ersticken.

„Erfinder“ von Josef Taus

1975 fand er sich plötzlich in einer Rolle, die ihm ganz und gar nicht behagte, die er aber meisterhaft bewältigte. Im Sommer, mitten im Nationalratswahlkampf, verunglückte ÖVP-Obmann und Kanzlerkandidat Karl Schleinzer tödlich. Innerhalb von Stunden musste ein neuer Obmann aus dem Hut gezaubert werden. Nicht nur das: Der neue Mann sollte – wenn möglich – der SPÖ einige Mandate abnehmen. Ein Hochrisiko-unternehmen, denn Bruno Kreisky stand auf dem Zenit seiner Karriere.

Sallinger als ältestes Präsidiumsmitglied verpflichtete für dieses Kommandounternehmen den jungen Giro-Generaldirektor Josef Taus. Und da der im ÖAAB verankert war, stellte er ihm als Generalsekretär Erhard Busek aus seinem Büro zur Seite. „Du weißt, Erhard, du kannst jederzeit zu mir zurück“, gab er seinem Adlatus auf den Weg mit. Dass der schnoddrige Busek gleich bei seiner ersten improvisierten Pressekonferenz sich und Taus als „zwei kalte Knackwürste“ bezeichnete, missfiel nicht nur dem „Königsmacher“ Sallinger. Aber es änderte sowieso nichts am Wahlverlust der ÖVP.

Balance trotz Opposition

Die Volkspartei blieb in Opposition, und zwar noch elf Jahre, aber Sallinger konnte auf gleicher Augenhöhe mit der SPÖ und dem ÖGB verhandeln. Er war in dieser für die Volkspartei politisch so machtlosen Zeit der einzige wirklich mächtige Bürgerliche. Um das Staatsschiff halbwegs im Gleichgewicht zu halten, bediente er sich der Sozialpartnerschaft, denn im Tagestrubel parlamentarischer Mehrheiten hatte die Volkspartei nichts zu melden.

Sallinger ahnte, dass eine neue Generation auf die Kommandobrücke sollte. Er förderte den Sekretär Wolfgang Schüssel, dessen scharfe Dialektik ihm gefiel; förderte Ingrid Tichy-Schreder, die er in den Nationalrat hievte, förderte Helga Rabl-Stadler, die er zur Salzburger Handelskammerpräsidentin avancieren ließ.

Debakel mit Hainburg

Wie bei allen Patriarchen zu allen Zeiten gab es im Laufe der Jahre hinter seinem Rücken Getuschel und Gemurre. Auch Benya war am Schluss seiner Karriere davor nicht gefeit. Als im Dezember 1984 der Streit um den Bau eines Donaukraftwerks bei Hainburg eskalierte, als die grünbewegten Studenten den Feldtrompeten der „Kronen Zeitung“ folgten, um die Stopfenreuther Aufrösche zu retten, da sprang Sallinger seinem Freund Benya zur Seite. Und gemeinsam verloren sie diese Schlacht.

Das unternehmerische „Aus“ für den stolzen Firmenbesitzer Sallinger war ebenso bitter. Der „Kugelblitz“ fand angesichts seiner viel zu vielen Verpflichtungen keine Zeit mehr für die Steinmetzfirma, in die er einst eingeheiratet hatte. Bei der „Abwicklung“ des heiklen Falles, der ein gefundenes Fressen für die Opposition gewesen wäre, half Hannes Androsch diskret mit, ohne dass eine Seite davon viel Aufhebens gemacht hat.

Von 1989 an trat Sallinger den Rückzug aus allen Funktionen an. Er übergab Leopold Maderthaner den Wirtschaftsbund und sein Nationalratsmandat. Im Dezember 1990 ging er schließlich auch als Kammerpräsident. Er starb 1992 nach schwerer Krankheit. Neben Julius Raab und Leopold Figl befindet sich sein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof. Er hätte gewiss auch gegen die Nachbarschaft von Anton Benya nichts einzuwenden gehabt.

KNACKWURST für den Chef

Hubert Feichtlbauer (re.) war viele Jahre Pressechef der Bundeskammer. Die Anekdote, dass sich der „Chef“ bei einer Asien-Reise Gulasch, Knackwürste und Bier einfliegen ließ, dementiert Feichtlbauer ironisch: „Also, zu meiner Zeit war das jedenfalls nicht.“Er war aber auch nie im engsten Kreis. Sallingers Vertraute hießen Arthur Mussil und danach Karl Kehrer (Generalsekretär). [Hofmeister]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2007)

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