Die Welt bis gestern: Das Exil des Volljuden Benedikt

(c) Die Presse (Archiv)
  • Drucken

160 Jahre „Die Presseldquo;. Am 3. Juli hat die Zeitung „runden“ Geburtstag.

Welch Vergeudung musischer Talente, welch schändliche Verwüstung im Gefüge einer großen bürgerlichen Familie: An den Nachwirkungen des Judenhasses in Österreich, an diesem Schwund geistiger Ressourcen leidet das Land noch heute. Sitzt man Susanne Ovadia-Benedikt gegenüber, dann kommt unwillkürlich dieser schmerzliche Gedanke. Sie ist die jüngste Tochter Ernst Benedikts, des Chefredakteurs der „Neuen Freien Presse“ bis 1935.

Schon 1920 – nach dem Tod des berühmten Vaters Moriz – war Ernst Eigentümer der Zeitung geworden, musste jedoch wegen der tristen wirtschaftliche Lage 1934 seine Anteile an den „Ständestaat“ verkaufen. Im Sommer 1939 verließ Benedikt (nach den Rassegesetzen „Volljude“) die Heimat, sein Haus in der Himmelstraße, seine Kunstsammlung, seine rund 6000 Bände umfassende Bibliothek, und floh mit seiner Frau Irma nach England (nach einem Spitalsaufenthalt als Folge einer Nazi-„Turnübung“).

Der Verlust der Bücher wäre noch das Wenigste gewesen. Sie wurden – ebenso wie die Kunstwerke – über die „Vermögens-Verkehrsstelle“ zwangsversteigert. Aber die Familie wurde zerrissen. Die Älteste, Gerda, war schon 1936 nach England zu einer Tante geschickt worden. Sie studierte an der London School of Economics, heiratete dann nach Amerika. Frieda kam Ende 1938 nach. Unter Elias Canettis Anleitung schrieb sie drei Romane, die während des Krieges bei Jonathan Cape erschienen. Ilse war in der Schweiz, studierte Medizin, kam 1944 zurück nach Wien, arbeitete im Widerstand und schloss sich den Kommunisten an. Und Susanne wurde im Juni 1938 zu Verwandten der Mutter nach Finnland gebracht.

Bekanntschaft mit Kreisky

In Schweden lernten die Benedikts den jungen Bruno Kreisky kennen, der ebenfalls dort Zuflucht fand. Und zwar bei einem Abendessen, das Kreiskys Schwiegermutter gab. Für den Emigranten Kreisky war Benedikt eine Art Bindeglied zum alten Österreich, wie er später einmal ausführte. „Mein Vater malte, und der Kreisky hat ihm später ein sehr schönes Geleitwort für eine Ausstellung in Bochum geschrieben“, erinnert sich die Tochter. Sie wurde ebenfalls Journalistin, arbeitete wie der Vater für verschiedene schwedische Zeitungen und Zeitschriften. „Dann ging ich zu Radio Free Europe.“ Dreißig Jahre sollte sie für diesen Sender arbeiten.

Ihr Vater wurde vom Wiederbegründer der „Presse“, Ernst Molden, mehrfach eingeladen, heimzukehren, aber erst 1962 entschloss er sich dazu. Er wurde ein eifriger Gastkommentator der „Presse“. Seinen Lebensabend verbrachte er im Badener Seniorenheim „Künstler helfen Künstlern“, eine Schöpfung der unvergessenen Hilde Wagener. „Es war ein Wiener Wunder,“ erinnert sich die Tochter an dieses Angebot, das aus Dankbarkeit erfolgte, weil „Die Presse“ unter seiner Führung dem Kulturteil besondere Sorgfalt zuteil werden ließ. „Er lebte dort sehr zufrieden neben der Schauspielerin . . . na, die Enkelin hat die Sissi gespielt . . . die Albach-Retty!“

Susanne lebte bis 1954 in Stockholm und heiratete dann nach Paris. Dort lebt sie heute noch, kommt aber oft und gerne in die alte Heimat, wo sie bei engen Bekannten in der Währinger Cottage Gastfreundschaft genießt. Und immer noch davon träumt, dass Wien dem malenden Journalisten Ernst Benedikt eine Ausstellung widmet. Vor zehn Jahren war sie Gast der „Presse“ beim 150. Geburtstag der Zeitung, doch im Bericht über den Besuch störte sie der Ausdruck „die alte Dame“ maßlos: „Das klingt ja wie Dürrenmatt! Ich bitte Sie!“

„Was sagt denn der Herr Papa dazu?“

Als Kreisky Außenminister war, ging sie einmal beruflich zu dessen Pressekonferenz in Paris. „Nachher hab' ich ihn auf Schwedisch angesprochen. Er lud mich zum Kaffee ein und erzählte mir, dass meine Schwester für die KPÖ kandidiert: ,Was sagt denn der Herr Papa dazu?' Ich glaube, ich habe ihm geantwortet, der Vater sei ganz froh, dass wir die Füß' in jedem Lager haben.“

Über Großvater Moriz Benedikt, der zwar der Wiener israelitischen Kultusgemeinde zeitlebens angehörte, aber nicht den Glauben lebte, bestätigt sie zeitgenössische Forschungsergebnisse: Dass er seinen Feuilletonredakteur Theodor Herzl nach Kräften unterstützte, ihm auch sein Monatsgehalt zahlte, als dieser längst keine Zeit mehr für die NFP hatte, dass er aber über den Zionismus Herzls nichts im eigenen Blatt lesen wollte. „Er hielt nichts von einem Judenstaat“, meint Frau Ovadia-Benedikt. „Mein Großvater war, so hörte ich, kein einfacher Mann – milde ausgedrückt.“

Trotzdem: Ein großer Mann. 1892 erbrachte er seine Meisterleistung. Es gab diplomatische Verstimmung zwischen Berlin und Wien, der von seinem Kaiser entlassene Reichskanzler Fürst Bismarck weilte gerade in Wien. Er ließ den Chef der „Neuen Freien Presse“ rufen, um ihm ein Interview zu gewähren. Und zwar sofort. Benedikt nahm Zylinder und Handschuhe und fuhr spornstreichs mit der Kutsche ins Hotel. Er ahnte, dass auch nur ein falsches Wort zu ernsten europäischen Verwicklungen führen konnte. Doch er hatte weder Bleistift noch Papier bei sich. Aus dem Gedächtnis rekonstruierte Benedikt in der Redaktion das gesamte Gespräch und druckte das Interview anderntags. Eine Vorlage und Korrektur bei Bismarck war unmöglich, der war inzwischen abgereist. Das Interview, in dem der geschasste Reichskanzler mit der wilhelminischen Großmannssucht abrechnete und die beiden Weltkriege schon voraussah, machte Furore in ganz Europa. Und Bismarck? Wie reagierte der? Mit einem Wortspiel auf einer Visitkarte, die er aus Deutschland nach Wien sandte: „Bene dixit!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.