Die Welt bis gestern: Norbert Leser: Der stolze Adler ist müde geworden

Norbert Leser
Norbert Leser(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Neuerscheinung. Norbert Lesers letzte Abrechnung mit seiner Partei.

Dies ist die Geschichte einer Entfremdung. Ideologisch und auch persönlich. Und es ist zugleich das Ende einer lebenslangen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Austromarxismus, seiner Spielart des revolutionären Sozialismus – und der heute real existierenden ausgelaugten österreichischen Sozialdemokratie.

Norbert Leser hat seine Arbeit getan. „Ich glaube, dass ich in der Parteigeschichte meinen Platz haben werde“, meint er im Gespräch mit der „Presse“. Und er tut dies nicht fragend, sondern sehr überzeugt. Der widerborstige Einzelkämpfer, der zornige Kritiker der Entartungen einer einst puristischen Bewegung hat sich im letzten Band seiner SPÖ-Trilogie zum altersmilden Skeptiker entwickelt. Selbst sein liebster Reibebaum Heinz Fischer kommt verhältnismäßig gut davon. Der einstigen grauen Parteieminenz hat der streitbare Politologe und Philosoph schon ganz andere Dinge an den Kopf geworfen. Da war Feigheit noch das Lindeste. Ja, aber da war der „Fischer-Heinzi“ eben noch nicht Bundespräsident. Und welcher Verlag will schon gern der Majestätsbeleidigung geziehen werden?

Feinde, nicht zu knapp

„Der Sturz des Adlers“ also. Eine vielschichtige Bezugnahme, wie sie Leser liebt: Victor Adler, der Doppeladler, der republikanische Adler, der eine Zeit lang kühn in den Lüften kreiste, heute ermattet in seinem goldenen Käfig liegt. Und die Beschreibung von Zeitgenossen, die Norbert Lesers Wege gekreuzt haben, die ihn beeindruckt haben. Oder die ihm irgendwann erbittert die Freundschaft aufgekündigt haben.

Zum Beispiel Julius Deutsch, der recht unglücklich agierende Führer des Republikanischen Schutzbundes, später General im spanischen Bürgerkrieg. Deutsch, der auf sein Judentum nie angesprochen werden wollte („ich bin schließlich evangelisch getauft“), kam nach dem Krieg nach Wien zurück und erhoffte sich eine hohe politische Funktion. Klar, er war der ranghöchste sozialistische Heimkehrer, wenn man vom alterskranken Karl Seitz absieht.

Innenminister Oskar Helmer (den Leser als freimütigen Antisemiten beschreibt) und der Parteivorsitzende Adolf Schärf (dem Leser eine etwas vorsichtigere Haltung attestiert) waren von Anfang an nicht begeistert über die Rückkehr allzu vieler jüdischer Genossen aus dem Exil. Der Fall Bruno Kreisky, den man nach Stockholm „auslagern“ wollte, ist nur das bekannteste Beispiel.

Aber Deutsch bekam zum Job eines außenpolitischen Sekretärs der SPÖ wenigstens den Posten eines Aufsichtsratspräsidenten aller sozialistischen Druck- und Verlagsfirmen. Das Filetstück dieses Imperiums war der „Vorwärts“ an der Wienzeile.

Über dieses damalige Paradeunternehmen beherrschte die Partei auch die Papierfabrik „Steyrermühl“. Deren Generaldirektor Landertshammer, naturgemäß Besitzer des „roten“ Parteibuches, wehrte sich plötzlich gegen die Begehrlichkeiten von Schärf und Helmer: Zwei Millionen Schilling sollte er aus seinen Gewinnen an die SPÖ abführen, empörte sich der Genosse. Er wurde geklagt, brachte aber zum Prozess Julius Deutsch als Zeugen mit. Der bestätigte den Versuch unerlaubter Parteifinanzierung durch die beiden starken Männer in der Partei und deren dreiste Pressionen.

Die „Unperson“ Deutsch

Mehr brauchte Deutsch nicht. Er wurde zur „Unperson“ und fristete den Rest seiner Tage mehr schlecht als recht. Ja, er musste froh sein, nicht aus der Partei hinausgeworfen worden zu sein. Wobei der Advokat Wilhelm Rosenzweig die treibende Kraft war: Parteianwalt, Obmann des BSA und später ebenso „engagierter“ Anwalt im Vernichtungsfeldzug der SPÖ gegen Franz Olah, als dieser nach der Führung greifen wollte. Leser bringt es auf den Punkt: Nein, Säulenheilige waren weder Schärf noch Helmer, bei all den Verdiensten, die man ihnen angesichts der schwierigen Nachkriegszeit zubilligen wird.

Nur der junge Leser verkehrte weiter mit der „Unperson“, vor deren Haus ein Staatspolizist patrouillierte. Und er notierte, was der alte Mann als Quintessenz seines turbulenten Lebens der nächsten Generation von Genossen mitgeben wollte: „Der Grundfehler liegt darin, wenn man Geschäftsführung und Politik zusammenbringt...“ Wie wahr.

Aber auch Deutsch kündigte Leser letztlich die Freundschaft auf: Als sich nämlich der Politologe wissenschaftlich-kritisch mit dem Austromarxismus beschäftigte und Deutsch dabei nicht ungeschoren wegkam, weil es „eben nicht nur ein Heldenepos war“. „Ich konnte nicht anders“, verteidigt sich der Professor, „bei aller Liebe...“

Pittermanns Sturz

Da war verletzte Liebe im Spiel. Den Hass Bruno Pittermanns hingegen, den hielt Leser gerne aus. Es ist bekannt, dass der als weltfremd belächelte Ideologe im September 1966 einen Vortrag initiierte, der die Frage „Pittermann ja oder nein?“ wieder belebte, sodass Bruno Kreisky schließlich 1967 nach dem Amt des Parteivorsitzenden greifen konnte.

Aber auch Hertha Firnberg, zunächst Lesers große Gönnerin und „prägende Mutterfigur“, entfremdete sich dem Parteivordenker. Sie, die erste Wissenschaftsministerin Österreichs, hatte Leser den Politologie-Lehrstuhl in Salzburg geschaffen. Doch als der inzwischen längst Arrivierte die Verfallserscheinungen im „Sonnenkönigreich Kreisky“ angriff, fühlte sich Firnberg persönlich beleidigt. Wir alle erinnern uns mit Schaudern, wie rasch die „Primadonna“ der heimischen Innenpolitik „eingeschnappt“ sein konnte. Leser litt darunter, die Versöhnung fand erst knapp vor Firnbergs Tod in eher oberflächlicher Form statt. Aber immerhin.

Seine Kenntnis der handelnden Personen zeigt immer wieder: Kleinigkeiten, verletzte Eitelkeiten spielen in der Politik die größte Rolle. Dass Bruno Kreisky Hertha Firnberg das Vizekanzler-Amt mit dem öffentlichen Bonmot „Alt bin i' selber“ verwehrte, hat ihm diese nie verziehen.

„Ich habe es und hatte es mit den Müttern“, meint der 75-Jährige. „Auch wenn ich sie manchmal kränken muss. Das gilt auch für die Mutter Kirche, deren treuer Sohn ich bin und bleiben will. Aber auch für die Mutter Partei, auch wenn diese mich als missratenes Kind ablehnt. In Gott, so bin ich fest überzeugt, werden sich alle Widersprüche und Spannungen dereinst aufheben.“ Und er zitiert Ina Seidel: „Ich fahre unerlöst durch diese Fremdnis hin. Gott sagt mir dereinst, wer ich gewesen bin.“

Ein frommer Schlusssatz, der einem Träger des Ehrenbandes der katholischen Landsmannschaft „Maximiliana“ wohl ansteht. Denn, so meint der Sozialdemokrat: Es sei ja immer noch besser, ins Grab Kappe und Band nachgeworfen zu bekommen als die drei Pfeile...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.