Iraks Kurden liebäugeln mit Türkei

(c) AP (Jacob Silberberg)
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Trotz Konflikten sehnen sich Kurdenvertreter nach einer westlichen Anbindung. Die Kurden würden ihre Ölquellen mitbringen und Erdgas, das man nach Europa leiten könnte. Andererseits brächten sie aber auch jede Menge Konflikte mit.

Ankara. Nach Jahrzehnten kurdischer Rebellion in der Türkei mag es unglaublich klingen, aber bei den Kurden im Irak denken manche bereits über eine politische Union mit der Türkei nach. Angesichts der Möglichkeit, dass sich der Irak nach dem amerikanischen Abzug auflöst, sagt der Stabschef des Kurdenführers Mesud Barzani, Fuad Husein: „Wenn die Schiiten den Iran wählen und die Sunniten die arabische Welt, dann müssen sich die Kurden mit der Türkei verbinden.“ Das Zitat stammt aus einem Report der „International Crisis Group“, eines in Brüssel ansässigen Thinktanks.

Bei manchen geht der Blick auch bereits über Ankara hinaus nach Europa. In dem Bericht kommt auch ein nicht namentlich genannter Minister der kurdischen Regionalregierung in Erbil mit der Ansicht zu Wort, die beste Lösung für die kurdische Region im Irak sei es, sich der Türkei anzuschließen, „und für die Türkei, sich der EU anzuschließen“. Mit dem Eintritt der Türkei in die EU würden dann auch die Probleme der Kurden in der Türkei gelöst.

Solche Gedankenspiele sind keineswegs neu. Bis zum Ersten Weltkrieg gehörte der Irak zum Osmanischen Reich, und die Türkei hat den Anspruch auf den nördlichen Teil, das alte „Villayet Mosul“ (die Provinz Mosul), nie ganz aufgegeben. Nach dem Krieg um Kuwait 1991 kamen die Kurdenführer das erste Mal auf den Gedanken, sich in ihrer aussichtslosen Lage der Türkei anzuschließen. Der experimentierfreudige türkische Staatschef Turgut Özal war nicht einmal abgeneigt, doch das Projekt scheiterte mit Özals Tod.

Wenn heute Kurden wieder von einem „Villayet Mosul“ sprechen, so signalisieren sie damit, dass sie auf einer unabhängigen Verwaltung bestehen. So und am besten noch mit einem US-Militärstützpunkt im Villayet Mosul ließe sich der Türkei vielleicht beitreten.

Öl und Gas als Mitgift

Die Kurden würden ihre Ölquellen mitbringen und Erdgas, das man nach Europa leiten könnte. Andererseits brächten sie aber auch jede Menge Konflikte mit. Zum Beispiel ließe sich das Verbot der kurdischen Sprache an den Schulen kaum ins Villayet Mosul übertragen und umgekehrt in der Türkei nur noch schwer verteidigen. Die Türkei würde auch in die Konflikte zwischen Kurden und Arabern um die Grenze ihrer Territorien hineingezogen. Schließlich hätte sie selbst das von ihr eisern verteidigte Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen verletzt.

Von Ankara ist daher wohl nicht mehr als ein Ausbau der ökonomischen Beziehungen auf informeller Basis zu erwarten. Anstatt über eine vorgelagerte kurdische Provinz nachzudenken, ist man in Ankara im Moment eher bemüht, territoriale Ansprüche der Kurden im Irak zu bekämpfen.

Am 25. Juli soll in einem Referendum über eine neue Verfassung für die kurdische Region im Irak abgestimmt werden. In der Verfassung werden verschiedene strittige Gebiete im Irak, insbesondere die Erdölmetropole Kirkuk, den Kurden zugesprochen. Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül hat deswegen bei US-Präsident Barack Obama angerufen und seine Beunruhigung übermittelt.

Allerdings kann sich auch die Türkei ihre Partner nicht nach Belieben aussuchen. Die kurdische Region im Irak ist nicht nur ökonomisch interessant. Türkische Beobachter fürchten, dass nach einer möglichen Niederlage der Kurden im Irak das Land ganz unter iranischen Einfluss kommt und die Türkei in der Region abgehängt wird. Schließlich würde die Türkei mit einem von ihr abhängigen und formal nicht selbstständigen kurdischen Pufferstaat an ihrer Grenze gar nicht so schlecht fahren.

AUF EINEN BLICK

24 Millionen Kurden lebenverteilt zwischen Türkei, Iran und Irak. Im Irak stellen sie derzeit 15Prozent der Bevölkerung, in der Türkei 20 Prozent. Da ihnen bisher ein eigener Kurdenstaat verwehrt wurde, suchen sie nach möglichst großer Autonomie. Allein ihr Unabhängigkeitskampf im Irak hat seit 1976 mehr als 40.000 Todesopfer gefordert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2009)


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