"Mein Kärnten": Zwischen Vorurteil und Realität

Mein Kaernten Moja Koroka
Mein Kaernten Moja Koroka(c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER)
  • Drucken

Ein "anderes" Bundesland: Allein die Kombination aus besitzanzeigendem Fürwort und Bundesland befremdet Niederösterreicher und/oder Wiener.

Peter Kaiser lacht mich aus. Ich stehe auf der Bühne des Villacher Faschings und lasse mir einen Narrenorden umhängen. Kaiser, der infolge des heutigen Wahlergebnisses Landeshauptmann von Kärnten werden will, rächt sich damit für eine Frage, die ich ihm in einem Interview gestellt habe: „Und, haben Sie schon einen Kärntneranzug?“ Er kann die Frage nicht mehr hören. Sie war, zugegeben, unoriginell. Natürlich gibt es auch viele indifferente Kärntner. Aber die Gruppen derer, die das Kärntnertum und dessen Symbole verehren und übersteigern oder damit hadern und daran leiden, sind weit größer als dort, wo ich herkomme: aus Niederösterreich und/oder Wien.

Peter Turrini, der aus dem Lavanttal stammt, sagte zu mir im nördlichsten Weinviertel, wo er lebt: „Ich trage einen Rucksack voller Gefühle und Erinnerungen mit mir herum und den kriege ich nicht von den Schultern und aus dem Gemüt.“ Er führt die Entfremdung auf seine Kindheit zurück, als die Dorfgemeinschaft seinen italienischen Vater nicht aufnahm. Was sich im Rucksack derer befindet, die in die andere Richtung gewandert sind, ist hinreichend beschrieben: Reformation, Gegenreformation; 1848; Volksabstimmung, Nazis, Partisanen; Rote, die auf dem Klavier dieser Gefühle spielten, Blaue, die auf diesem Klavier spielen.

Beide Seiten eint ein schwankendes Selbstbewusstsein zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex. Rainer Nowak, Tiroler und/oder Wiener, bat mich, einen Text über „Mein Kärnten“ zu schreiben. Allein die Kombination aus besitzanzeigendem Fürwort und Bundesland befremdet mich. Niederösterreichertum? Dieses Wort wollte nicht einmal Erwin Pröll durchsetzen. Ein Land ohne Eigenschaften. In meiner Kindheit auch ein Land ohne Hauptstadt, ohne Universität, ohne Zeitung. Dank Pröll jetzt ein Land mit zwei Eliteunis. Man wähnt sich im Kern Österreichs, hat sich von Wien aber nie ganz emanzipiert. Schwankendes Selbstbewusstsein kennen also auch wir.

Deshalb können Kärntner Politiker leichter mit dem Lokalpatriotismus der Menschen spielen. Die Freiheitlichen verwechseln ständig und absichtlich Kärnten und die FPK. Die Christlich-Sozialen unter der Enns behaupten auch: „Wer den Landeshauptmann kritisiert, der kritisiert Niederösterreich.“ Da lachen ja die Waldviertler Hühner! Daraus folgt der größte Unterschied zwischen der niederösterreichischen und der Kärntner Politik: Erwin Pröll umarmt jeden, mitunter kippt es in ein Sich-zur-Brust-Nehmen. Jörg Haider suchte sich einen Außenfeind, der das Wir-Gefühl der Gruppe stärken sollte, im eigenen Land und fand ihn in Künstlern und Kärntner Slowenen. Einige sind trotzdem geblieben: Maja Haderlap, Peter Krawagna, Naked Lunch – um nur drei herauszugreifen, die mich früher schon berührt haben. Welche Energie muss ein Land haben, das solche Poesie hervorbringt! Die zwei Kulturen, die zwei Sprachen werden erst heute als Schatz gesehen.

Zwei mährische Urgroßmütter hat die Wienerin in mir selbstverständlich auch. Tschechisch sprach schon meine Großmutter nicht mehr. Das Rezept für die Buchteln nahm sie mit ins Grab.

Die Abgrenzung Kärntens vom Süden, die Grenze, von der zu wissen so vielen so lange so wichtig war, ist verwischt. In dem Dreivierteljahr, in dem ich hier lebe, habe ich öfter Bled und Udine besucht als Bratislava in meinem ganzen Leben – obwohl es nie weiter als 50 Kilometer entfernt war. Wie lebt ein Bobo in Klagenfurt?, fragte Rainer Nowak. Der Bobo, also wohl ich, kann nicht mehr im eigenen Saft schmoren. Und das tut mir gut. Lebt man in Klagenfurt, tritt noch ein Effekt ein. Die Vorurteile der Wiener – von uns Wienern – gehen mir jetzt schon auf die Nerven. Nein, es wimmelt hier nicht vor lauter Dorftrotteln; nein, es spielen nicht alle braungebrannt Volleyball; und nein, nur wenige trauern um Jörg Haider.

Ein Vorurteil über Kärntner stimmt: Jeder kann singen. Auch Peter Handkes Geburtstagsfeier endet vierstimmig. Vorgestern, als ein Männergesangsverein im Lavanttal zu einem Lied anhob, fragte mich Wolfgang Waldner, der aus dem Gailtal stammt, aber erst nach mir nach Kärnten zurückgekehrt ist: „Und, haben Sie sich schon daran gewöhnt?“ Wie kann jemand, der mit 15 das Morrissey-Poster anschmachtete, diese melancholischen Liebeslieder nicht mögen?

Peter Kaiser könnte am Abend, sollte er Anspruch auf den Landeshauptmannsessel erheben, im Kärntneranzug vor die Kamera treten. Aber wahrscheinlich passt die Jacke nicht über seinen Rucksack. Auf die Frage danach antwortete er im Interview schlagfertig: „Und, haben Sie schon ein Dirndl?“ 

zum autor

Eva Weissenberger,Jahrgang 1972, ist in Niederösterreich aufgewachsen und hat die letzten 20 Jahre in Wien gelebt. Sie war 1999 freie Mitarbeiterin und danach Redakteurin des „Falter“. Von 2000 bis 2005 war sie auch Kolumnistin der „Presse“. Seit Oktober 2012 ist sie Chefredakteurin der „Kleinen Zeitung“ Kärnten und lebt in Klagenfurt.
Kleine Zeitung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2013)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.