Der Bilderkrieg kennt keine Sieger

Israel wirft den Arabern vor, die Weltsicht auf den Gazakrieg emotional zu manipulieren. Als Gegenmittel setzen Israels Lobbyisten auf – Emotionen.

Strassburg. Eines Tages vor ein paar Monaten trat der Chirurg Isaac Zivner an einen Operationstisch und amputierte zwei Buben acht Gliedmaßen. Ihr Drache hatte sich in einer Stromleitung verfangen, sie waren auf ein Dach geklettert, ausgerutscht, den Rest kann man sich vorstellen.

Normalerweise wären die Buben nicht auf Zivners OP-Tisch in Israels größtem Spital gelandet, dem Sheba Medical Centre. Sondern in der von der EU bezahlten Verbrennungsklinik in Gaza. Und zwar sofort, nicht 36 Stunden nach dem Unfall. Dass für palästinensische Buben in einem palästinensischen Spital kein Platz ist, kann Zivner nicht verstehen. „Aber ich bin Arzt und möchte das nicht politisch beurteilen.“

Das muss er auch nicht. Das machen an diesem Nachmittag in einem nüchternen Sitzungssaal des Europaparlaments in Straßburg schon ein früherer israelischer UN-Botschafter, eine Knesset-Abgeordnete und eine Handvoll Europaparlamentarier von den „European Friends of Israel“, einer Lobbygruppe europäischer und israelischer Abgeordneter. Die EU-Mandatare waren jüngst auf Lokalaugenschein in Sderot, jenem Ort 900 Meter von der Grenze zu Gaza entfernt, in dem es wegen der Raketen der Hamas „heute kein Haus mehr ohne Luftschutzraum gibt“, wie der bulgarische Konservative Nickolay Mladenov sichtlich berührt berichtet.

„Wir bekämpfen ein Monster!“

Es ist dieser Mangel an nüchterner Distanziertheit, die das Werben der Lobbyisten für Israels Sache so bedauerlich macht. Sie werfen den Palästinensern vor, die Weltmeinung durch erschütternde Bilder zu manipulieren, und setzen dem – erschütternde Bilder entgegen.

Zum Beispiel das vom zehnjährigen Yossi Haimov, der in Sderot lebt und von Splittern einer Hamas-Rakete getroffen worden ist. Während es über Straßburg friedlich schneit, erzählt Yossi davon, wie das so ist, wenn man zehn ist und es plötzlich knallt und überall Blut ist, das eigene Blut, und man ohnmächtig wird.

Das ist schlimm. Aber ist es der Meinungsbildung dienlich? Wer muss Bilder verletzter Kinder vorgeführt bekommen, um einzusehen, dass es böse ist, Raketen auf kleine Kinder abzufeuern – egal, ob sie Juden oder Araber sind? Dabei hätten die Freunde Israels gute Sachargumente, die jedem vorschnellen Kritiker des Judenstaates zu denken geben sollten. Wie ist es zum Beispiel möglich, dass im Sheba Medical Centre, wo Isaac Zivner arbeitet, die Zahl der Patienten aus Gaza in den Jahren 2006 bis 2008 von 724 auf 1200 pro Jahr gestiegen ist? Und wieso stammen seit Jahren mindestens 60 Prozent der Kinder in der Intensivstation von Sheba aus Gaza?

Doch es ist Krieg, und da regiert die Emotion, nicht die Information. „Wir bekämpfen ein Monster, das seine eigenen Bürger zu Geiseln gemacht hat“, donnert der Alt-UNO-Botschafter Danny Gilerman ins Mikrofon.

Wäre es dann nicht in Israels Interesse, der Weltpresse Zugang zu Gaza zu gewähren, statt sie seit drei Wochen auszusperren? „Nein, das ist eine Kampfzone, andere Regierungen machen das auch so“, sagte die Knesset-Abgeordnete Colette Avital. Und rückt dann mit dem eigentlichen Grund für die Nachrichtensperre heraus: „Im Libanonkrieg 2006 haben Reporter oft live von den nächsten Schritten der israelischen Armee berichtet und mehr getan, als es eigentlich die Rolle der Medien ist.“ Und so geht der Krieg der Bilder weiter. Und schafft weiter nur Verlierer.

Am Freitag, 16. Jänner, stellt sich Zuheir Elwazer, der palästinensische Botschafter in Wien, von 14 bis 15 Uhr Ihren Fragen im DiePresse.com-Chat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2009)

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