Wie die Hamas sich als Sieger des Krieges feiert

(c) AP (Anja Niedringhaus)
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Die internationale Staaten-Gemeinschaft hofft auf die baldige Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung zwischen Fatah und Hamas – Saudiarabien etwa lockt mit Hilfsgeldern in Milliardenhöhe.

Gaza. Wie ein junger Feldherr steht der junge Hamas-Offizier auf dem Schutthaufen seiner Polizeistation im Zentrum Gazas. In seiner schwarzen Fliegerjacke und mit einer abgebrochenen Antenne wie einen Feldherrnstab in der Hand dirigiert der Bärtige die Aufräumarbeiten. Seine Männer sammeln alles Brauchbare ein und schaufeln rund um die Station kleinere Gesteinsbrocken weg. Noch hat der Offizier kein schweres Gerät, wie einen Bulldozer, unter seinem Kommando. „Das wird schon wieder“, sagt er, und selbstbewusst fügt er hinzu, „wie du siehst, wir sind noch da und wir haben alles unter Kontrolle.“

„Wir sind noch da“, das ist der Grundton im Siegestenor der Hamas. Auch Taher Nunu, einer der Sprecher der Islamisten, schlägt ihn an. „Die palästinensische Sache hat gewonnen. Israel wollte die Hamas in Gaza stürzen, aber wir sind immer noch da. Sie wollten den Gazastreifen erneut besetzen und sind wieder weg. Alle ihre Kriegsziele sind gescheitert“, erklärt er gegenüber der „Presse“.

Wie die Hisbollah nach dem Krieg im Libanon zahlt die Hamas nun Schadenersatz an kriegsgeschädigte Familien aus: 4000 Euro für ein völlig zerstörtes Haus, 2000 Euro für ein im Moment nicht bewohnbares, damit die Menschen die Miete für eine alternative Wohnung finanzieren könnten. Jeweils 1000 Euro bekommt eine Familie, die einen Toten zu beklagen hat, 500 Euro für einen Verletzten und dessen Behandlung. Woher das Geld kommt, dazu will Nunu nichts sagen. Den Wiederaufbau soll freilich die internationale Staatengemeinschaft zahlen. „Diese Geldmittel haben wir nicht, schließlich geht es um Milliarden“, sagt der Hamas-Sprecher.

Wer was mit welchem Geld und mit welchem Material aufbauen darf, das wird auch eines der großen Probleme der Nachkriegszeit. Israel will jedes Bauvorhaben abzeichnen. Die Europäer wollen ihre Gelder für den Wiederaufbau an der Hamas vorbeikanalisieren. Bei den gegenwärtigen Verhältnissen im Gazastreifen praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Als „zweiten Teil des Krieges, mit dem der Hamas endgültig der Garaus gemacht werden soll“ bezeichnet der prominente ägyptische Journalist Muhammad Hassanein Heikal den Streit um den Wiederaufbau.

Auch einer der Hamas-Aktivisten in Gaza zitierte im Anschluss an das Mittagsgebet in einer zerstörten Moschee in Gaza, in der die Anhänger der Hamas demonstrativ beten, im Kreise seiner Leute diese These des Ägypters Heikal. „Die ganze Welt hat zugesehen, wie der Gazastreifen bombardiert wurde, sogar unsere arabischen Brüder, wir können da nichts erwarten.“ „Umso wichtiger ist jetzt der Dschihad des Wiederaufbaus“, fügt er hinzu.

„Der Krieg war eine Katastrophe“

Doch für Mcheimar Abu Saadeh, einen Politologen an der Azhar-Universität in Gaza, ist der Sieg der Hamas nicht so eindeutig, wie diese vorgibt. „Die Hamas kann behaupten, dass sie gewonnen hat, weil sie weiter an der Macht ist und militärisch nicht zerstört wurde. Aber jenseits dieser Slogans fühlen die Palästinenser, dass der Krieg für sie eine Tragödie und eine Katastrophe war“, beschreibt er die Stimmungslage. „Die Hamas mag vom Sieg sprechen, aber viele hier sehen das anders“, sagt er.

In privaten Gesprächen geben viele in Gaza der Hamas eine Mitverantwortung für den Krieg. Offen aussprechen tut das allerdings kaum jemand, dafür sorgen schon allein die Kämpfer der Hamas, die auf den Straßen von Gaza nun wieder ihre Monopolstellung eingenommen haben. Es kursieren zahllose Geschichten, wie sie mit zu lautem Widerspruch umgehen. Ihre beliebteste Methode soll es sein, ihren Widersachern ins Knie zu schießen.

Viele in Gaza hoffen nun, dass sich ihre politischen Führer nun endlich wieder auf eine Einheitsregierung einigen, in der die Hamas und die Fatah des Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas zusammenarbeiten.

Wiederaufbau als Hebel

„Als wir eine solche Einheitsregierung hatten, wurden andere Nicht-Hamas-Mitglieder der Regierung beauftragt, Verhandlungen mit Israel zu führen und dann dem Parlament zu berichten“, erinnert er. Und auch für den Wiederaufbau könnte eine Einheitsregierung den Schlüssel bilden. Saudiarabien beispielsweise hat eine Milliarde Dollar versprochen, allerdings unter der Bedingung, dass der Wiederaufbau von einer Einheitsregierung geleitet wird. Auch die EU drängt in diese Richtung.

Der Politologe Abu Saadeh gibt sich allerdings skeptisch. „Die Hamas hat Abbas Mittäterschaft am Krieg vorgeworfen und behauptet, der Palästinenser-Präsident wolle auf dem Rücken eines israelischen Panzers nach Gaza zurückkehren“, beschreibt er die Hamas-Anklage. „Keine guten Voraussetzungen für eine Nachkriegsversöhnung“, sagt Abu Saadeh.

Doch die meisten Menschen in Gaza sind ohnehin zu sehr damit beschäftigt, ihr Leben neu zu ordnen, als über zukünftige Politik nachzudenken. Ein Hotelbesitzer in Gaza erzählt bereits wieder den ersten Witz. „Die Hamas hat die teuersten Raketen der Welt, viel teurer als die ausgefeiltesten amerikanischen Lenkwaffen. Weißt du, warum? – weil als Antwort auf ihre primitiven Raketen der Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt wurde und sich der Schaden auf mehrere Milliarden Dollar beläuft.“

HINTERGRUND

Bilanz des Gazakriegs. Nach Angaben der Vereinten Nationen hat der Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen 1340 Menschen das Leben gekostet, darunter 460 Kinder und 106 Frauen. Verletzt wurden 5320 Menschen, darunter 1.855 Kinder und 795 Frauen. Auf israelischer Seite starben 13 Menschen, davon vier durch Raketen, 84 wurden verletzt. Nach Angaben des Palestinian Center for Human Rights waren 197 bewaffnete Hamas-Kämpfer unter den Opfern, alle anderen seien Zivilisten gewesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2009)


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