Ein Absprung ins Ungewisse

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Die Große Koalition ist gottlob Geschichte. Damit das so bleibt, müssen die Parteien dem Wähler bei der Herbstwahl die Möglichkeit geben, zwischen klaren Alternativen zu wählen.

Wilhelm Molterer, der sich eher selten durch politische Überinszenierungen hervorgetan hat, ist am Montag über sich selbst hinausgewachsen. Statt seinen Hang zur Politpädagogik auszuleben, sagte er zu Beginn der Pressekonferenz, mit der er die Regierungszusammenarbeit mit der SPÖ beendete, einfach nur: „Es reicht!“

Mit einiger Sicherheit traf der ÖVP-Chef und Vizekanzler mit seinem leicht verquälten Ausruf die Stimmung einer großen Mehrheit in der Bevölkerung. Noch genauer hätte er diese Stimmung freilich mit einer leicht abgeänderten Formulierung desselben Sachverhaltes getroffen:

„Es reicht mir mit uns!“

Ansehensverlust

Denn das ist das Hauptergebnis der eineinhalbjährigen Regierungszusammenarbeit von SPÖ und ÖVP: ein spektakulärer Ansehensverlust der Politik an sich. Schon während der Zeiten der schwarz-blau-orangen Koalition gehörten Hass und Verachtung zum Grundton der politischen Debatte. Aber sie bezogen sich, in einer erschreckend direkten Fortschreibung der Auseinandersetzungen der Zwischenkriegszeit, auf den jeweiligen politischen Gegner. Dass innerhalb kürzester Zeit die Politik als solche zur Projektionsfläche der aufgestauten Ressentiments wurde, hat sehr direkt mit der zwangsweisen Einebnung dieser lustvoll gepflegten Widersprüche durch das Korsett der Großen Koalition zu tun.

Es wäre unehrlich und weltfremd zu leugnen, dass die Medien, auch Die Presse, zu dieser Entwicklung ihren Beitrag geleistet haben. Der Hinweis auf korrekte Prognosen kann das nicht entschuldigen, aber vielleicht erklären: Am Tag nach der Wahl sagten wir unter dem Titel „Der Stillstand, den sie wollten“ voraus, was das Land erwarten würde: „Keine klaren Entscheidungen, kein klarer Kurs und die Illusion der Gemütlichkeit.“ Die laufende Bestätigung dieser Prognose hat vor dem Hintergrund der strukturellen Alternativenlosigkeit quer durch alle Medien zu einer Verschärfung der Tonart geführt.

Der Essayist Franz Schuh hat mir gegenüber vor wenigen Tagen sein Unbehagen an dieser Entwicklung so zusammengefasst: „Ich finde, dass einige deiner Kommentare, die unglücklichen Regierenden betreffend, von einer Verachtung getragen sind, die mir die Freude an der eigenen Verachtung vergällen; an diesen Kommentaren merke ich, wie schnell man von unserem politischen System den Eindruck erwecken kann, es wäre das inferiorste überhaupt. Vielleicht ist es das inferiorste überhaupt – aber dann müsste man es anders diskutieren...“

Dass unser politisches System das inferiorste überhaupt ist, wird man angesichts der ökonomischen und sozialen Grunddaten schwerlich behaupten können. Dennoch ist evident, dass dieses System sich überlebt hat. Die sozialpartnerschaftliche Konstruktion der österreichischen Wirklichkeit war das zentrale Instrument zur politischen Organisation der staatlich gelenkten Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik bis zum Ende der Kreisky-Ära. Als man ab Mitte der 80er-Jahre dem internationalen Trend zu Wettbewerb und Freihandel folgte, verabsäumte man es, die politischen Instrumente den neuen Verhältnissen anzupassen – und legte so den Grundstein für die heutigen Systemblockaden.

Sie durch eine grundlegende Staats- und Institutionenreform zu lockern wäre das „große Projekt“ gewesen, das SPÖ und ÖVP als Rechtfertigung ihrer „Elefantenhochzeit“ vor sich her trugen. Sie haben sich stattdessen in taktischen Volten und ideologischen Kleinkriegen verloren.

Den Aufgaben nicht gewachsen

Die Verantwortlichen beider Regierungsparteien müssen sich deshalb den Vorwurf gefallen lassen, ihren Aufgaben nicht gewachsen zu sein. Die beliebte österreichische Ausrede „Da kann man halt nix machen, das war schon immer so“ wird das Legitimationsdefizit, das in dieser kurzen Legislaturperiode entstanden ist, nicht auffüllen. „Mit Straches FPÖ nie“ taugt als Ausweg aus der gegenwärtigen Krise des Politischen genauso wenig wie die kuriose Ansage der Grünen, man wolle nach der Wahl den Vizekanzler stellen – egal in welcher Konstellation?

Wenn man sich als Bürger schon damit abfinden muss, dass sich an den Rahmenbedingungen nichts ändert, möchte man wenigstens wissen, woran man inhaltlich ist. Das wäre ein erster Schritt zur Lockerung der Blockaden: Dass man dem Bürger wirklich eine Wahl lässt zwischen Programmen und Konstellationen, von denen er erwarten kann, dass sie nach der Wahl umgesetzt werden: Rot-Blau oder Schwarz-Grün, Schwarz-Blau oder Rot-Grün.

Wenn sich die Parteien in diesem Sommer wieder auf das alte Spiel von Taktik und Unverbindlichkeit einlassen, wird es nach der September-Wahl ein böses Erwachen geben. Und dann wird in absehbarer Zeit die Mehrheit der Wählerschaft sagen: „Es reicht!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2008)

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