Der „Volkskanzler“, den sein Volk nicht wollte

Achteinhalb Jahre war er SPÖ-Chef, eineinhalb Jahre Bundeskanzler: Alfred Gusenbauer, einst ein vielversprechendes Talent, ist als Regierungschef gescheitert. An seiner Partei. Und auch an sich selbst.

Sie mochten ihn einfach nicht. Die eigenen Genossen machten Alfred Gusenbauer das Leben und Regieren schwer, sie zwangen ihn zu jenem Rückzug, den er letztendlich selbst vollzog.

Dabei war er für die Partei 2006, in einem Wahlkampf, der kaum noch zu gewinnen war, auch physisch bis an seine Grenzen gegangen. Nach eineinhalb Jahren „Startklar-Tour“, die ihn durch alle Bezirke des Landes geführt hatte, durchwanderte er Österreich im Frühsommer 2006 auch noch zu Fuß von Ost nach West. Ein fulminantes Wahlkampfsolo. Eine Kampagne, in der alles versprochen wurde, was danach nicht zu halten war. Am 1. Oktober siegte Gusenbauer völlig unerwartet und rief sich zum „Volkskanzler“ aus.

Doch das Partei-Volk arbeitete sich vom Tag seiner Angelobung an an ihm ab. Die gebrochenen Wahlversprechen – Abschaffung der Studiengebühren, Stornierung der Abfangjäger – wurden ihm zur Last gelegt. Die eigenen Genossen waren nicht gewillt, zu akzeptieren, dass ein Wahlkampf, in dem vieles versprochen wird, das eine ist, und Regieren, noch dazu mit einem nahezu gleich starken Koalitionspartner, das andere.

Gegner Gewerkschaft

Doch Gusenbauer hatte auch kapitale Eigenfehler gemacht. Schon in den Monaten und Jahren zuvor. Immer wieder hatte er seine Funktionäre spüren lassen, dass er wenig von ihnen hielt, dass er, der multilinguale Intellektuelle, der auch in Fragen der modernen Wirtschaftswelt firm ist, sich ihnen überlegen fühlt. So wird von Partei-Sitzungen berichtet, in denen Gusenbauer seine Parteifreunde, vor allem jene aus dem ÖGB, recht rüde abgekanzelt hat. Auch Gewerkschaftspräsident Rudolf Hundstorfer hat ihm nicht vergessen, wie er während der Bawag-Krise vorgeführt wurde. Erst hatten sie unter vier Augen ausgemacht, dass Hundstorfer auf sein Parlamentsmandat verzichtet, danach hatte Gusenbauer dies öffentlichkeitswirksam in einem Interview von ihm eingefordert.

Gerade mit seiner Personalpolitik hatte sich Gusenbauer Feinde gemacht: Josef Broukal und Gertraud Knoll engagierte er 2002 für sein „Kabinett des Lichts“. Als daraus nichts wurde, interessierte er sich nicht mehr für sie. Erst vor drei Wochen opferte er seinen langjährigen Mitstreiter Josef Kalina, um sein eigenes Überleben zu sichern. Es war nur für kurze Zeit. Dafür hatten Vertraute aus SJ-Tagen wie Doris Bures alle Freiheiten.

Der Aufsteiger aus Ybbs

Alfred Gusenbauer, Sohn eines Baupoliers und einer Putzfrau aus Ybbs/Donau, war ein Vorzeige-Aufsteiger der Sozialdemokratie. Dank Bruno Kreiskys Bildungsoffensive konnte der Arbeitersohn studieren. Schon in der Mittelschule, später auf der Uni begann er sich politisch zu engagieren. Er brachte es zum Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend, war Ende der 80er-Jahre sogar Stellvertreter von Willy Brandt als Vorsitzender der Sozialistischen Internationale.

Sein Aufstieg in der Parteihierarchie kam danach aber nicht so recht voran. Er galt bald als ewiges Talent, das im Europarat, in der Niederösterreichischen Arbeiterkammer und später im Parlament unterfordert war. Im Jahr 2000 ging es dann aber Schlag auf Schlag, ein „Window of opportunity“ hatte sich für Gusenbauer geöffnet: Er wurde Bundesgeschäftsführer der SPÖ. Als Viktor Klima abtrat, die Partei sich nicht zwischen dem rechten Karl Schlögl und dem linken Caspar Einem entscheiden konnte, wurde Gusenbauer weiter durchgereicht – und zum SPÖ-Chef gemacht. Drahtzieher der Aktion war Wiens Bürgermeister Michael Häupl, der nun maßgeblich an Gusenbauers Demontage beteiligt war.

Gusenbauers Performance, seine Abgehobenheit, seine Vorliebe für gute Weine und gutes Essen, machten ihn seinen Parteifreunden aber bald suspekt. Die Nationalratswahl 2002 verlor er, er blieb zwar im Amt, aber immer öfter stellten ihn seine Genossen nun öffentlich in Frage. An Gusenbauer prallte das ab. Von Selbstzweifeln schon von grundauf wenig angekränkelt, hatte er sich nun einen dicken Panzer zugelegt. Und der Erfolg schien ihm Recht zu gegen. Er saß die Kritik aus, gewann die Wahl 2006, und Anfang 2007 war er Kanzler, angeblich sein Sandkasten-Traum.

Doch jene Feinde, die er sich zuvor gemacht hatte, schlugen nun zurück. Dass die SPÖ im Begriff war, zu seinen Ungunsten zu kippen, nahm der in dieser Hinsicht wenig sensible Alfred Gusenbauer nicht mehr wahr. Der Panzer, der ihn schützte, hinderte ihn gleichzeitig daran, feine Strömungen in der Partei wahrzunehmen.

Leibthema EU – ausgerechnet

Im Ausland hingegen achtete man ihn. Dass Gusenbauer gerade über eines seiner liebsten Themen – die Europapolitik – gestolpert ist, mutet kurios an. Der Kehrtwende gemeinsam mit Faymann mangelte es an Glaubwürdigkeit, weil der begeisterte Europäer noch wenige Wochen zuvor alle Forderungen nach einer Volksabstimmung in den Wind geschlagen hatte. „Der Vertrag wird von EU-Gegnern missbraucht“, war seine Losung.

Für Gusenbauer war die Europapolitik ein Steckenpferd, das er gerne ausritt. Auf EU-Gipfeltreffen schien er sich wohl zu fühlen. Weit entspannter als sein Vorgänger Wolfgang Schüssel suchte er nach Allianzen und fand bald Bündnispartner – etwa in der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Und so ließ der erste Erfolg nicht lange auf sich warten. Bei der langjährigen Streitfrage mit der EU-Kommission über den Uni-Zugang in Österreich erreichte Gusenbauer eine wichtige Auszeit.

Bei seinem letzten EU-Gipfel im Juni bedauerte der Kanzler, dass er sich nicht stärker mit europäischen Themen befassen könne, sondern ständig zur innerparteilichen Lage Stellung nehmen müsse. Die Innenpolitik habe leider ihre Tiefen, vertraute er sich seinen Gesprächspartnern an. Da wirkte er auch schon angeschlagen und müde.

Etwas mehr als ein Jahr zuvor, im März 2007, war er auf europäischer Bühne noch der Strahle-Kanzler gewesen. Er flanierte durch das EU-Viertel, joggte durch die Parks von Brüssel und führte ganz nebenbei seine bilateralen Gespräche mit Amtskollegen. Er schreckte nicht einmal davor zurück, sich in der heiklen Frage der Atomkraft mit dem damaligen französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac anzulegen. Er gab sich aber auch als einer, der tief von der europäischen Idee überzeugt ist. So erwarb er sich eine Glaubwürdigkeit, die nach dem populistischen Schwenk in Richtung „Kronen Zeitung“ fast schon vergessen ist: Gusenbauer hatte für den EU-Vertrag gekämpft, er war eigens nach Polen gereist, um Premier Jaroslaw Kaczynski davon zu überzeugen.

Europa war sein Thema, nun ist es sein Fallstrick geworden – denn es offenbarte die ganze Zerrissenheit dieses Politikers, der in die Enge getrieben nicht mehr agieren, sondern nur noch reagieren konnte. Und das mit halben Herz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2008)

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