Sanktionen wird es nicht mehr geben. Doch Europa fürchtet, dass sich die Anti-EU-Stimmung ausbreitet. Österreich gilt nicht mehr als zuverlässiger Partner.
Brüssel/WIen (wb, pö, gau).Sorge, Kopfschütteln, noble Zurückhaltung: Ziemlich verhalten fielen die offiziellen Reaktionen aus Brüssel zu dem Wahltriumph von FPÖ und BZÖ in Österreich aus. „Der Rechtsruck ist besorgniserregend“, meint Martin Schulz, Chef der Sozialisten im EU-Parlament. Nur Daniel Cohn-Bendit wirft sich trotzig in die Schlacht: „Österreich hat sich seine rechte Mehrheit verdient. ÖVP, FPÖ und BZÖ sollen eine Regierung bilden“, empfiehlt der Co-Vorsitzende der europäischen Grünen überraschend.
Offenbar sind dem prominenten Abgeordneten klare Gegner lieber als wankelmütige Verbündete: „Das Schlimme an der SPÖ ist, dass ihre Leute auch ihre Großmütter verkaufen würden, um Erfolg zu haben.“ Für die EU sieht er in einem rechten Bündnis wenig Gefahr: „Schlimmer als in Italien kann es nicht werden. Eine große Koalition kann auch nicht zaubern und würde die Rechten weiter stärken.“ Notfalls müsse Europa eben wieder zu Sanktionen greifen, „aber diesmal müssen wir abwarten, ob Österreichs Politik wirklich gegen den Geist der EU-Verträge verstößt“.
Pelinka: „Resolution möglich“
Mit dieser Drohung steht Cohn-Bendit freilich allein auf weiter Flur. Ein Kommissionssprecher gab die Tonart vor: Er habe „keinen speziellen Kommentar zur Wahl, das Votum ist zu respektieren“. Auch diplomatische Kreise senden klare Signale aus, dass es diesmal „mit Sicherheit“ keine Sanktionen gegen eine Regierungsbeteiligung von FPÖ oder BZÖ geben werde – auch nicht in abgeschwächter Form. Zu schlecht waren 2000 die Erfahrungen mit den „Maßnahmen“ gegen die schwarz-blaue Regierung.
Zudem hat sich die politische Konstellation geändert. In Italien regiert Silvio Berlusconi, auch in Dänemark und der Slowakei sind rechtsgerichtete Regierungen an der Macht. Eine geschlossene Sanktionsfront aller 27 EU-Staaten schließt auch Politikwissenschaftler Anton Pelinka aus: „Aber das EU-Parlament könnte mit einer Resolution reagieren, und die konservative Fraktion dürfte etwas gegen die ÖVP unternehmen“, wenn die sich eine rechte Koalition bastle. Die Perspektive eines solches Bündnisses bereite ihm zwar „großes Unbehagen“, aber nicht aus europapolitischen Gründen: „Die ÖVP kann es sich einfach nicht leisten, ihre Pro-EU-Position aufzugeben, sonst kann sie sich gleich selbst auflösen.“
Pelinkas Hoffnung für den Fall des Falles: „Strache könnte geloben, er sei ohnehin für die EU, nur eben für ein Europa der Vaterländer.“ Die ÖVP müsste Kanzler und Außenministerin stellen und seine international geächteten Partner von Brüssel und EU-Themen fernhalten – wie es ihr schon 2000 mit Haiders FPÖ gelungen sei.
Mehr europäisches Bauchweh bereitet Pelinka die Vorstellung einer SP-Minderheitsregierung: „Sie wäre von zwei Seiten Druck ausgesetzt, von FPÖ/BZÖ und von der Kronen Zeitung.“ Für „durchaus möglich“ hält Pelinka, dass so auch der Vertrag von Lissabon letztlich an Österreich scheitert. Zwar ist an der bereits erfolgten Ratifikation nicht mehr zu rütteln. Aber wenn den Iren zuliebe „ein neuer Vertrag mit ein paar Zuckerln“ formuliert wird, der dann neu zu ratifizieren wäre, könnte in Österreich die Stunde der EU-Populisten geschlagen haben – mit dramatischen Folgen für Europa.
Überhaupt konzentriert sich die Sorge in Brüssel weniger auf das Erstarken der Rechten, sondern auf eine sich ausbreitende Europa-Skepsis. Man fürchtet, dass das EU-kritische Österreich-Virus andere Länder infizieren könnte. Der ansteckende Patient selbst braucht keine Quarantäne zu befürchten – aber gemieden wird er vermutlich doch: „Das Standing Österreichs in der EU hat sich nach diesem Wahlergebnis sicher verschlechtert“, fürchtet Pelinka.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2008)